Der amerikanische Großschriftsteller T. C. Boyle schildert in seinem Roman „No Way Home" die gegensätzlichen Welten in den USA. Am 19. 11. stellt er dieses Meisterwerk im Konzerthaus vor. Zuvor spricht er in News über die beängstigenden Zustände in den Vereinigten Staaten, die Macht der MAGA-Bewegung, Zensur und die Hoffnung auf einen Regimewechsel.
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Zwei Männer lieben dieselbe Frau. In der Wüste von Nevada lauern sie einander auf, der Rivale soll ins Verderben gestürzt werden. So lässt sich das Setting von T. C. Boyles jüngstem Roman „No Way Home“ beschreiben. Doch wer da glaubt, der amerikanische Meistererzähler gäbe sich mit seinen 76 Jahren mit einer herkömmlichen Dreiecksgeschichte samt Rache und Verfolgung zufrieden, irrt.
Denn Boyles Figuren repräsentieren im Roman die beiden Welten der heutigen USA. Der eine, Terry, ist ein angehender Arzt aus dem demokratischen Los Angeles. Der andere, Jesse, ist ein Englischlehrer und verkappter Schriftsteller aus Boulder City, jener Stadt in der Wüste, wo Männer der MAGA-Bewegung den Ton angeben.
Am 19. November stellt Boyle seinen Roman im Konzerthaus vor. Ben Becker wird aus Dirk van Gunsterens Übersetzung lesen. Zuvor nahm sich Boyle Zeit für ein Gespräch mit News. Das über die Jahre bewährte Prozedere bei Interviews mit diesem Schriftsteller wird auch bei diesem Roman eingehalten. Kommuniziert wird per Telefon.
Herr Boyle, was hat Sie dazu inspiriert, einen Roman über Vergeltung in Boulder City, einer Stadt in der Wüste Nevadas, zu schreiben?
Das Leben. Aber ehrlich gesagt habe ich die Handlung in Boulder City angesiedelt, weil ich zunächst dachte, es würde ein Umweltroman werden. Der Lake Mead, ein Stausee, und der gigantische Hoover Dam sind faszinierend. Aber wie bei allen meinen Romanen gab es auch für diesen keinen vorher festgelegten Entwurf. Alles entsteht Tag für Tag während des Schreibens. Ich weiß nie genau, in welche Richtung sich das Buch entwickeln wird. Aber dann fand ich diese Dreiecksbeziehung von Terry, Jesse und Bethany so spannend.
Repräsentiert Ihr Personal aus Boulder City die amerikanische Gesellschaft?
Ich habe das Buch im Vorfeld der katastrophalsten Wahl in der Geschichte der Vereinigten Staaten geschrieben. Die Spannung spiegelt sich in meinem Schreiben wider.
Die Frauen im Roman haben nur ein Ziel, sich gut zu verheiraten. Eine eigene Karriere ist ihnen nicht wichtig. Solche Lebensmodelle stellt sich doch auch die MAGA-Bewegung als ideal vor, nicht?
Hören Sie sich doch den Vizepräsidenten an. Diese MAGA-Leute wollen den Frauen sogar das Wahlrecht entziehen. Sie wollen zurück in eine alte Zeit, in der Hausfrauen in der Küche stehen, Kinder bekommen, das Haus putzen und dem Mann dienen. Genau das wollen die Rechten. Das alles geschieht in meinem Roman, aber unter der Oberfläche.
Welchen Eindruck hatten Sie von den Menschen in Boulder City? Gab es da Anzeichen, dass die Leute bald genug von diesen MAGA-Ideen haben?
Ich habe dort mit niemandem über Politik gesprochen. Die Arbeiterklasse und die untere Mittelschicht, die diesen Mann gewählt haben, werden diejenigen sein, die von ihm am meisten ausgequetscht werden. Irgendwann einmal werden sie sich gegen ihn wehren, aber dann ist es zu spät. Es ist jetzt schon viel zu spät. Meine einzige Hoffnung sind die Midterms. Ich kann mir vorstellen, dass die Wut über das Chaos im Land und den Zustand unserer Umwelt so stark wird, dass wir bei diesen Wahlen das Repräsentantenhaus zurückgewinnen. Wenn die Demokraten das schaffen, könnte man mit ganz legalen Mitteln die Herrschaft eines einzigen Mannes blockieren, der nur nach Lust und Laune regiert. Denn der schwächt die Kontrollmechanismen der Verfassung. Aber es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, ob wir in der Lage sein werden, ihn zu bremsen, oder ob er bis zu den Midterms bereits die vollständige Kontrolle hat. Es ist eine sehr beängstigende Zeit in Amerika.
Midterms
Bei den Midterms handelt es sich um die Wahlen zum Kongress und zum Repräsentantenhaus in den USA. Auch Halbzeitwahlen genannt, finden in der Mitte der Amtszeit des regierenden Präsi- denten statt. Die nächsten Midterms finden am 3. November 2026 statt.
MAGA ist so etwas wie Kult. Diese Leute wollen jetzt auch den Frauen das Wahlrecht entziehen
Wie wurde die MAGA-Bewegung so stark?
Die ist jetzt so etwas wie Kult. Trump hat die rechte Jugend mobilisiert, ihn zu wählen. Natürlich wird sie den Preis dafür zahlen. Aber leider wir alle anderen auch.
Auf Ihrer Website schrieben Sie von Zensur in Amerika. Haben Sie Bedenken, dass auch Sie zensuriert werden?
Ja, natürlich ist das zu befürchten. Noch hat mich niemand direkt angegriffen. Ich kann Ihnen aber dazu eine komische Anekdote erzählen. Bei McSweeney’s (amerikanischer Non-Profit-Verlag, Anm.) ist jetzt eine meiner jüngsten Kurzgeschichten, „Cold Summer“, erschienen. Die Bücher lässt dieser Verlag in China drucken. Wahrscheinlich ist es dort günstiger. Bevor es soweit war, rief mich der Verleger an und fragte mich, ob ich eine Zeile ändern könne. Es handelte sich um eine Passage, in der ich ganz beiläufig den Dalai Lama erwähnt hatte. In China aber gilt es als Beleidigung für die Nation, wenn man diesen Mann erwähnt. Dabei ist das Buch gar nicht auf Chinesisch erhältlich. Es gibt keine Übersetzung davon. Aber ein Buch, in dem der Name genannt wird, darf nicht einmal gedruckt werden. Das heißt, die schreiben ihre Geschichte um. Das versucht die Regierung hier auch. Wir bewegen uns auf eine vollständige Auslöschung der Vergangenheit zu. Das ist wie bei George Orwell.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Ich weiß, dass für diesen Verlag viel Geld auf dem Spiel steht. Daher tauschte ich den Dalai Lama aus. Aber wenn die Geschichte bei meinem Stammverlag in den USA erscheint, wird der Dalai Lama wieder drinnen stehen.
Was ist mit der Liste verbotener Wörter, die von der Trump-Regierung veröffentlicht wurde?
Das ist eine Richtlinie, aber kein Gesetz. Wir leben noch immer in einer freien Gesellschaft, in der jeder seine Meinung frei äußern kann. Anfang des Monats gab es in Amerika die „Banned Books Week”, in der aus verbotenen Büchern öffentlich gelesen wurde. Ich diskutierte in unserer örtlichen Bibliothek über Ray Bradburys Roman „Fahrenheit 451”, in dem es um Bücherverbrennungen geht. Diese Veranstaltung war sehr gut besucht, das war sehr ermutigend. Aber da fällt mir jetzt ein. Mein Roman „Tortilla Curtain“ steht bereits auf dem Index in einigen republikanischen Bundesstaaten. Wissen Sie weshalb? Sie begründeten das mit einem einzigen Wort „provokant“. Können Sie sich das vorstellen? Das erinnert an den Stalinismus, wo alles nach der Parteilinie ausgerichtet sein musste.
Werden Sie im nächsten Roman Ihre Themen vorsichtiger wählen?
Im Gegenteil. Ich will Ihnen noch nicht viel verraten, denn ich sammle erst Material. Aber es wird um Zensur gehen.
Kein vernünftiger Mensch würde Trump für den Friedensnobelpreis in Betracht ziehen
Was haben Sie sich gedacht, als Trump als Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt wurde?
Das war doch zum Brüllen komisch. Auch wenn er an dem Deal in Israel beteiligt war, würde ihn kein vernünftiger Menschen für diesen Preis in Betracht ziehen. Schauen Sie sich doch an, was er in Amerika anrichtet. Das ist total anti-pazifistisch. Er stiftet Chaos und Aggression. Und das stets auf Hochtouren.
Wie war das, als Trump Truppen nach Los Angeles geschickt hat?
Schrecklich. Das ist total unamerikanisch. Es ist verfassungswidrig. Aber natürlich macht er das, um uns vor den Midterms vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Aber Sie haben mich doch zu Beginn gefragt, was mich zu meinem Roman inspiriert hat. Es gibt noch eine Antwort. Es gibt einen Dr. Boyle jr.
Sie meinen Ihren Sohn, von dem Sie erzählten, dass er Arzt geworden ist. Ist er ein Vorbild für ihren Terry im Roman?
Er hat als junger Arzt wie Terry die Schattenseiten der Gesellschaft kennengelernt. Er hat mich in den Spitalsbetrieb eingeführt. Ich konnte mir dort alles ansehen. Als ich fertig war, hat er dann meinen Roman gelesen. Denn ich wollte, dass er sich genau ansieht, ob ich alle medizinischen Passagen richtig geschildert habe. Er fand sie okay. Aber wissen Sie, er hat seinen Job angetreten, bevor Corona zur Pandemie erklärt wurde. Er wusste aber schon vorher, dass es dazu kommen würde. Alle Obdachlosen, auch jene, die mit Stichwunden und anderen Verletzungen ins Spital kamen, wurden auf Covid getestet. Fast alle waren positiv. Heute haben wir in unserem rechten Amerika ein Voodoo-Gesundheitssystem. Die nächste Pandemie, wahrscheinlich die Vogelgrippe, wird uns alle vernichten.
Ich hoffe, Sie schreiben das nicht. Bis jetzt ist noch alles eingetroffen, was Sie angesagt haben. Vor 15 Jahren sagten Sie mir im Interview, dass es in den USA eine Diktatur geben wird …
Ich wünschte, ich hätte mich geirrt. Meine Romane wirken jetzt prophetisch, aber man kann die Augen nicht verschließen, und ich habe diese Entwicklungen kommen gesehen.


Das Buch
„No Way Home“ von T. C. Boyle: ein rasant erzählter Action-Thriller und furiose Bestandsaufnahme des gespaltenen Amerika. Deutsch von Dirk van Gunsteren. Im April erscheint bei Hanser das Original. € 25,–
Am 19. November 2025 stellt Boyle seinen Roman im Konzerthaus vor.
In Europa wird der Antisemitismus immer ärger. Festivals laden jüdische Künstler aus …
Wir haben früher schon über solche Dinge gesprochen. Ich sehe das so: Es gibt acht Milliarden Menschen auf der Welt aber nicht genug Ressourcen. Wir zerstören den Planeten in einem erstaunlichen Tempo. Das führt zum Aufstieg des Faschismus und Stammesdenken. Als Musk noch bei der Regierung stand, nannte er Amerikas Empathie ein Problem. Aber wir müssen alle Menschen aus allen Schichten unterstützen. Das hat die Regierung Biden versucht. Jetzt lässt man die Armen sterben und errichtet Mauern. Wie viele Tausende von Menschenleben hat die US-Hilfe gerettet? Das ist jetzt vorbei. Wir können nur auf einen Regimewechsel hoffen.
Was aber, wenn der Titel ihres Romans „No Way Home“ wahr wird und Sie nach ihrer Buchtour nicht mehr in die USA einreisen dürfen, weil Sie so kritisch sind?
Das sollte kein Problem sein, aber, wer weiß, vielleicht stülpen sie mir einfach eine Tüte über den Kopf und schicken mich in den Südsudan.
Dann bleiben Sie nach ihrer Lesung doch besser gleich in Österreich.
Das könnte ich, aber ich habe vor, so weiterzuleben wie bisher.

Steckbrief
T. C. Boyle
Tom Coraghessan Boyle wurde am 2. Dezember 1948 in Peekskill bei New York City als Sohn einer Sekretärin und eines Busfahrers geboren und ist einer der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart. Sein Literaturstudium schloss er in Iowa mit dem Doktortitel ab, arbeitete als Lehrer und wurde Professor an der University of Southern California. Gesellschaftspolitik, die Zerstörung der Natur und die Ausbeutung von Tieren sind seine zentralen Themen. Boyle ist Vater von drei erwachsenen Kindern und lebt mit seiner Frau, seinem Hund und seinem Kater in einem Haus des Architekten Frank Lloyd Wright in Montecito bei Santa Barbara in Kalifornien.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.






