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Nigl und Ofczarek: Von Karl Kraus und vom Krieg

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Nigl Ofczarek

Georg Nigl und Nicholas Ofczarek

©Nadine Poncioni Rusnov

Auf Wienerisch könnte man sagen: Die beiden haben sich gefunden. Der Opernsänger Georg Nigl und der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek verkörpern das Beste ihres Fachs und faszinieren sprachraumweit mit ihrem Karl-Kraus-Programm. Am 26. Oktober 2025 wieder in der Wiener Staatsoper.

Schon die Konstellation ist ein Ereignis. Der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek und der international gefeierte Wiener Bariton Georg Nigl sind kompromisslose Virtuosen, der eine im Umgang mit Sprache, der andere mit Gesang vom Barock bis in die Gegenwart. Seine Darstellung des Höllenfürsten Nekrotzar in György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ verschaffte ihm in diesem Jahr den österreichischen Musiktheaterpreis als Sänger des Jahres.

In der Staatsoper nehmen sie am 26. Oktober ihr Programm „Die letzten Tage der Menschlichkeit?“ wieder auf. Darin verschränken sie Ausschnitte aus Karl Kraus’ Weltkriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ mit Liedern von Hanns Eisler und Gustav Mahler. Der Pianist und Dirigent Vladimir Jurowski begleitet am Klavier.

Hymnen der Kritiker

Die Wiener Premiere im Jänner und die Aufführung bei den Münchner Opernfestspielen im Juli inspirierten Kritiker zu Hymnen. „Glorios“, resümierte die Süddeutsche Zeitung. Ständig steigt die Nachfrage. Als man sich für News in der Staatsoper trifft, hatte man bereits das mehr als 1.000 Plätze fassende Prinzregententheater in München zum zweiten Mal gefüllt.

Kraus’ Stoff brennt vor Aktualität in den heute weltpolitisch wieder sehr düsteren Zeiten. Ständig wird der Dritte Weltkrieg heraufbeschworen, ständig ist von Aufrüstung die Rede, die Preise steigen, die Macht des Mobs wächst. „Anscheinend ist das alles menschenimmanent“, sagt Ofczarek. Hat die Aktualität das Projekt inspiriert? Das sei allein Nigls Idee gewesen, stellt Ofczarek klar.

„Was ist das für ein Typ?“

Wie es dazu kam, klingt nach Pragmatismus und Sinn für das Besondere. Noch heute erinnert sich Nigl, wie er den Unterschiedspieler zum ersten Mal sah, mehr als 30 Jahre ist das her. „Wir waren beide blutjung“, blickt Nigl zurück. Er studierte Gesang an der Musikhochschule, seine Freundin trat in der Kulisse in Hernals auf.

Als er eine ihrer Vorstellungen besuchte, fiel ihm ihr Bühnenpartner auf. „Ich dachte mir: Was ist denn das für ein Typ? Der geht da durch wie das warme Messer durch die Butter. Ich war sofort Fan, schwerst verführt, und hatte die Hoffnung, irgendwann einmal etwas mit ihm machen zu können.“

Man begegnete einander immer wieder, aber ohne künstlerische Folgen. Als dann Staatsoperndirektor Bogdan Roščić Nigl einen Soloabend anbot, war für ihn klar, ein herkömmlicher Liederabend komme für ihn nicht in Frage. Für die Salzburger Festspiele hatte er bereits das Format „Nachtmusiken“ erdacht, eine Mischung aus Liederabend und Lesung mit dem Schauspieler August Diehl als Partner. Für die Cinemascope-formatige Staatsopernbühne befand er die Kombination von Karl Kraus’ Weltkriegsapokalypse mit Liedern von Gustav Mahler ideal.

Ich war sofort Fan, schwerst verführt, und hatte die Hoffnung, irgendwann einmal etwas mit ihm machen zu können

Georg Nigl

Nur mit dem Niki

„Aber nur mit dem Niki“, fügt er in die Schilderung des Entstehungsprozesses ein. Denn er wusste, kaum einer sonst würde die zahllosen Figuren und Idiome derart beherrschen, wie es der Text verlangt. Ofczarek retourniert unverzüglich: „Ein großartiger Sänger. Er interpretiert seine Lieder ganz auf den Inhalt bezogen. Das hört man so nicht oft.“

Wenn Ofczarek dann Figuren wie etwa den Lebensmittelhändler Vinzenz Chramosta darstellt, der Wucherpreise für seinen Käse und seine Gurken verlangt, oder die waffengeile Kriegsberichterstatterin Alice Schalk – lässt sich da das Geschehen nicht direkt auf unsere Gegenwart übertragen?

© Bild: News/Ricardo Herrgott

Steckbrief

Nicholas Ofczarek

Nicholas Ofczarek wurde am 30. Mai 1971 in Wien geboren. Sein Vater war der Volksopernsänger und -schauspieler Klaus Ofczarek. Der Sohn studierte am Wiener Konservatorium und wurde von Claus Peymann ans Burgtheater verpflichtet, das er seither an führender Stelle repräsentiert. Seine Film- und Fernsehkarriere umfasst u. a. „Braunschlag“ und „Wir Staatskünstler“, zuletzt die Sky-Serie „Der Pass“. Er ist mit der Schauspielerin Tamara Metelka verheiratet, auch Tochter Maeve Metelka ist in der Branche erfolgreich

„Wie Nachrichten schauen“

Nigl: „Diese verschiedenen Bilder finde ich so toll bei Kraus. Das ist ein bisschen, wie wenn wir heute Nachrichten schauen und dann wird uns gesagt, dort ist was passiert und dort ist was passiert und dann gehen wir trotzdem zum Kühlschrank und machen ein nächstes Bier auf. Da entsteht eine Unmittelbarkeit. Ich glaube auch nicht, dass all das nur etwas mit Österreich zu tun hat.“

„Bei Karl Kraus“, ergänzt Ofczarek, „beschreiben die Nachrichten keine Inhalte, sondern Stimmungen. Wir verwechseln heutzutage Stimmung mit Meinung und Haltung. Und da ist ein großer Unterschied zwischen Stimmung und Meinung.“ Die Deutung aber sei letztlich dem Publikum überlassen: „Es wird Leute geben, die sagen, es war wirklich eine furchtbare Zeit damals. Oder man sagt, es hat sich überhaupt nichts geändert, oder es ist eigentlich schlimmer geworden. Oder, ein Gedanke, den ich sehr mag: dass Geschichte sich nicht wiederholt, sondern sich reimt.“

Aber was die Gegenwart anlangt, habe er das Gefühl, dass zivilisierte politische Systeme gerade am Einbrechen seien. Im Umgang miteinander herrsche eine große Gewalttätigkeit. Die führt er vor allem auf soziale Medien zurück. „Sie befördern diese Grundstimmung, es herrscht eine Spaltung, nicht nur in Österreich. Es gibt wenig Hoffnung“, beschreibt Ofczarek seine Sicht auf die Welt heute.

Die Naivität und Freude der 80er- und 90er-Jahre

Anders sei es in den 80er- und 90er-Jahren gewesen. Die seien von Aufbruch, einer anderen Naivität und von Freude geprägt gewesen. Dennoch: „Dem Diktum, wir leben in einer Vorkriegszeit möchte ich mich gar nicht anschließen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich glaube schon auch an das Gute, ich bin ein positiver Mensch.“ Andererseits herrsche eine ständige Übersättigung. Zu viele Informationen würden täglich auf uns eindringen, von denen das meiste Schrott sei.

Nigl stimmt ihm zu: „Man muss nur Tageszeitungen lesen oder die Website eines Fernsehsenders, es gibt nichts als Bedrohung. In allen Segmenten, Innenpolitik, Außenpolitik.“ Womit sich das Gespräch wieder Karl Kraus zuwendet. „Da ist der Vorwurf, den er bereits vor über hundert Jahren der Presse gemacht. Da sah er die eigentlichen Kriegstreiber.“ Der Vergleich mit den USA liege nahe. „In Amerika kann man beobachten, dass Nachrichtensender wie Fox News Trump unterstützen. Das hat schon eine Wirkung auf die Menschen und auf die Rhetorik, denn die wird immer ärger.“

© Anita Schmid

Steckbrief

Georg Nigl

Georg Nigl wurde am 2. Mai 1972 in Wien geboren. Als Sopransolist der Wiener Sängerknaben trat er früh auf bedeutenden Bühnen auf. Er studierte Gesang an der Wiener Musikhochschule und am Konservatorium. Nigl ist heute einer der zentralen Sänger im Bariton-Fach mit einem Repertoire vom Barock bis zur Avantgarde, auf die er spezialisiert ist. In diesem Jahr wurde er mit dem österreichischen Musiktheaterpreis in der Kategorie beste Hauptrolle gewürdigt. Nigl lebt mit seiner Familie in Wien

Die Macht des Mobs

Lässt sich das nicht an der ständig wachsenden Macht des Mobs erkennen? Aus Angst vor pro-palästinensischen Protesten werden heute schon Auftritte jüdischer Künstler storniert.

Nigl erinnert an die beginnenden 2000er-Jahre. Als die FPÖ gegen Künstler kampagnisierte, sprach er mit seiner Lehrerin Hilde Zadek, was er da tun könne. „Diese Frau war nicht nur meine Lehrerin, sondern eine der prägendsten Persönlichkeiten in meinem Leben, der ich alles verdanke“, erklärt er. Die Tochter einer jüdischen Familie konnte vor den Nazis fliehen und wurde eine große Opernkünstlerin. „Sie sagte mir, Georg, du kannst gar nichts machen. Du kannst nur dafür sorgen, dass deine Freunde, deine Familie so etwas nicht zulassen und dass sie nicht einmal daran denken würden, einen Juden dafür zu verurteilen, dass er Jude ist.“

Das Gespräch kommt auf das Festival in Gent, das den israelischen Dirigenten Lahav Shani nicht auftreten ließ. Es sei schon arg genug, zu vergessen, was am 7. Oktober passiert sei. Aber noch schlimmer sei es, einen jüdischen Künstler zur Verantwortung zu ziehen, weil er sich angeblich nicht gegen die Gräuel in Gaza ausgesprochen habe. „Wenn ich in Gent engagiert gewesen wäre, hätte ich sofort meinen Auftritt abgesagt.“

Roboterhund und Trump-Videos

Das Gespräch wendet sich der künstlerischen Zukunft zu. Ofczarek probt Shakes­peares Richard III. am Akademietheater, eine Gigantenrolle. Regisseur Johan Simons musste sich aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen Die Premiere soll dennoch wie geplant am 21. November 2025 stattfinden. Simons’ Bühnenbildner Wolfgang Menardi übernimmt und brachte eine Idee mit: Ein Roboterhund soll Ofczarek in seiner Königsrolle begleiten. Doch der begegnet dem Vierbeiner mit Skepsis. „Es hat etwas Beängstigendes, weil es ein seelenloser Roboter ist, der auch etwas mit artifizieller Energie zu tun hat.“ Ob dieser Hund über das Dasein einer Idee hinauskommt, blieb bis Redaktionsschluss ungeklärt.

Einen König studiert derzeit auch Nigl ein: Ab 1. Februar verkörpert er diese Figur, die Librettistin Elfriede Jelinek deutlich an Donald Trump angelehnt hat, in Hamburg in Olga Neuwirths Oper „Monster’s Paradise“. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass der allen Berufsextremen zugewandte Nigl in Gordon Kampes Oper „Die Kreide im Mund des Wolfs“ zuletzt auch Putin darstellte: Dessen Reden im deutschen Parlament samt aberwitziger Ergebenheitsbekundungen der Zuhörer haben es damit schon in die Kulturgeschichte geschafft. Nigl diagnostiziert scharf: Während des Rollenstudiums sei ihm klar geworden, wie wir alle hier, auch Österreich, davon profitiert hätten, dass wir den Mann so groß werden ließen. Für sein Trump-Studium wiederum versorgt ihn nun Ofczarek täglich mit Videos aus dem Netz.

„Wir sind jetzt“, resümiert Ofczarek, „tatsächlich im Leben des anderen angekommen. Wir kommunizieren sehr viel.“ Beste Voraussichten also für weitere Projekte. Ein Abend über die anarchische Wiener Gruppe (1947 formierten sich die österreichischen Künstler Gerhard Rühm, Friedrich Achleitner und Oswald Wiener als lose Vereinigung um den Lyriker H.C. Artmann, Anm.) ist in Planung.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2025 erschienen.

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