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Susanne Marosch: Die Frau hinter 800 geretteten Menschenleben

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Susanne Marosch

©Weissengruber & Partner

Es gibt Momente, die ein Leben für immer verändern. Für Susanne Marosch war es die Leukämie-Diagnose ihrer Cousine. Aus Ohnmacht wurde Handeln, aus einer Typisierungsaktion der Verein „Geben für Leben“, der über 800 Leben gerettet hat. Im Interview spricht sie über Mitgefühl, warun „Ich würd ja gern helfen“ reicht nicht und das Konkurrenzdenken im Spendenbereich, bei dem nicht immer fair gespielt wird.

von Julia Weninger

Jährlich erhalten hierzulande über 1.000 Menschen die Schockdiagnose Leukämie – eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems, bei der unkontrolliert wachsende Zellen die gesunde Blutbildung im Knochenmark verdrängen. Eine Heilung ist oft nur durch eine Stammzellspende möglich.

Genau hier setzt „Geben für Leben“ an. Seit 25 Jahren kämpft der Verein dafür, dass aus der Ohnmacht dieser Krankheit echte Überlebenschancen werden. Mit rund 200.000 durchgeführten Typisierungen hat die Organisation die Suche nach dem „genetischen Zwilling“ revolutioniert.

800 gerettete Leben – können Sie überhaupt begreifen, wie groß diese Zahl ist? Oder denken Sie eher: „800 sind schön – aber es müssten Tausende sein“?

Wenn ich die Zahl höre, ist das jedes Mal ein emotionaler Moment. 800 Menschenleben – das ist keine Statistik, das sind 800 Familien, die Hoffnung bekommen haben, 800 Menschen, die nun eine reale Chance haben weiterleben zu dürfen. Und ja, natürlich wünsche ich mir, dass es Tausende wären. Aber ich weiß auch, dass jedes einzelne dieser Leben zählt. Es geht nicht um große Zahlen, sondern um das, was dahintersteht – echtes, gerettetes Leben.

Wann hatten Sie den Moment, an dem Sie dachten: „Jetzt rette ich die Leben anderer“?

Der Moment war nicht laut, sondern leise und tief. Als vor über 25 Jahren meine Cousine an Leukämie erkrankte und einen passenden Stammzellspender suchte, erfuhren wir als Familie was eine Schockdiagnose wie Leukämie bedeutet. Anfangs fühlten wir eine Ohnmacht. Wir konnten nichts tun, alles war in den Händen der Ärzte.

Als wir erkannten, dass wir sehr wohl was tun konnten, nämlich Geld zu sammeln und Typisierungen durchzuführen, spürten wir eine starke Kraft und Hoffnung. Dann kam der Tag der großen Erleichterung, dass eine passende Stammzellspenderin gefunden wurde und als es auch noch gut ausging und sie gesund wurde, verspürten wir die tiefe Dankbarkeit. So etwas bewegt und dieses Geschenk der Dankbarkeit wollten wir auch an andere weitergeben.

Wir haben damals aus Liebe und Verzweiflung gehandelt – nicht mit einem großen Plan

Susanne Marosch

Ihre Familie startete 1998 also aus purer Verzweiflung die Typisierungsaktion. Wie fühlt es sich an, dass daraus heute die größte private Stammzelldatei Österreichs geworden ist?

Es fühlt sich gleichzeitig surreal, überwältigend und zutiefst demütig an. Wir haben damals aus Liebe und Verzweiflung gehandelt – nicht mit einem großen Plan. Dass daraus etwas so Großes entstehen konnte, ist für mich ein Zeichen, wie viel Kraft in echter Betroffenheit steckt. Und wie viele Menschen bereit sind, mitzugehen, wenn man sie wirklich erreicht.

Was war der emotionalste Moment Ihrer bisherigen Arbeit – ein Spender, ein Empfänger, ein Wiedersehen?

Da gibt es viele Beispiele und besonders berührend ist es, wenn sich Spender und Empfänger dann auch persönlich kennenlernen können. Ich war zB dabei als ein junger Mann auf seine Stammzellspenderin traf – beide zum ersten Mal, beide mit Tränen in den Augen. Da steht man daneben und weiß: Ohne unser gemeinsames Tun gäbe es dieses Wiedersehen gar nicht. Diese Dankbarkeit, diese Verbindung – das geht tief.

Was wollen Sie Menschen sagen, die ständig „Ich würd ja gern helfen“ sagen – aber nie handeln?

Ich sage: Dann tu es. Jetzt. Nicht irgendwann. Du brauchst keine Superkraft, keine Unmengen an Zeit oder Geld. Du brauchst nur ein Herz, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Worte retten keine Leben. Taten schon.

Was entgegnen Sie Menschen, die erst helfen, wenn es jemanden in ihrem eigenen Umfeld trifft?

Ich sage das ganz offen: Ich verstehe es – aber ich wünsche mir, dass wir davor handeln. Denn wenn alle erst dann helfen, wenn es zu spät ist, kommt für viele jede Hilfe zu spät. Wir müssen uns als Gemeinschaft sehen, nicht nur als Einzelne.

Ihr Verein finanziert alles zu 100 % aus Spenden – bedeutet das ständige Existenzangst?

Ja, manchmal schon. Es gab Zeiten, da fragt man sich, wie es weitergeht. Aber wir haben gelernt, mit Unsicherheit zu leben und uns auf das zu konzentrieren, was wir beeinflussen können: Menschen berühren, Vertrauen aufbauen, Hoffnung geben. Und Gott sei Dank gibt es viele, die uns dabei unterstützen. Mein Bruder ist Pastor und er sagte zu mir: „Gott muss dich und Geben für Leben wirklich sehr lieben. Immer wenn ihr denkt, es geht nicht mehr, dann passieren wahre Wunder und ihr könnt weitermachen!“

Ich hatte schon viele schlaflose Nächte, aber ich lernte mit den emotionalen Belastungen zu leben

Susanne Marosch

Wie schwer ist es, jeden Tag um Spenden zu kämpfen, obwohl Sie wissen: Wenn das Geld ausgeht, sterben Menschen?

Ich hatte schon viele schlaflose Nächte, aber ich lernte mit den emotionalen Belastungen zu leben. Es geht hier nicht um ein Projekt oder eine nette Idee – es geht ums Überleben von Menschen. Und genau deshalb kämpfe ich jeden Tag mit vielen wunderbaren, engagierten Menschen weiter. Weil ich weiß, was auf dem Spiel steht. Aufgeben ist keine Option.

Sie sagten in einem Interview: „Es gibt ein Konkurrenzdenken im Spendenbereich.“ Wie schlimm ist dieser Kampf ums Geld wirklich – und wer spielt da schmutzig?

Es ist traurig, aber ja, der Kampf ist da. Oft geht es nicht mehr um die Sache, sondern um Sichtbarkeit, Marktanteile, Einfluss, Macht. Manche Organisationen setzen auf aggressive Strategien, andere halten sich nicht an Fairness oder Transparenz. Wir machen da nicht mit. Wir bleiben unserem Weg treu: ehrlich, authentisch, respektvoll und verbindend. Mein Ansinnen ist es so viele Organisationen wie möglich zu vereinen und zu vernetzen, denn gemeinsam kann viel mehr bewegt werden. Wir haben wunderbare Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Vereinen und wir unterstützen uns gegenseitig.

Warum gibt es nach 25 Jahren immer noch so viele Mythen rund um Stammzellspenden?

Weil Ängste und Halbwissen sich hartnäckig halten. Viele Menschen glauben, es sei gefährlich oder schmerzhaft, weil sie es irgendwann mal so gehört haben. Aber Aufklärung braucht Zeit, Geduld und Menschen, die darüber reden. Genau deshalb sind unsere Botschafter:innen, Spender:innen und Betroffenen so wichtig.

Was denken Sie, wenn jemand sagt: „Das bringt doch eh nichts“ – obwohl Sie 800 Gegenbeweise haben?

Dann sage ich: Komm mit und schau einem Menschen in die Augen, der dank einer Spende lebt. Wenn du dann immer noch sagst „Das bringt nichts“, fehlt dir leider das Wichtigste: Mitgefühl. Aber die meisten Menschen spüren bei solchen Begegnungen sehr schnell, wie falsch diese Aussage ist.

Wie erklären Sie einem skeptischen Menschen in 10 Sekunden, dass eine Typisierung nicht weh tut – aber Leben rettet?

Ein einfacher Wangenabstrich schenkt einem schwerkranken Menschen Hoffnung auf Überleben und du bist damit Teil von etwas viel Größerem.

Welche technologischen Fortschritte werden die Stammzellensuche revolutionieren?

In der Zukunft wird die Digitalisierung eine noch größere Rolle spielen – zum Beispiel bei der weltweiten Vernetzung von Spender:innendaten oder bei der KI-gestützten Spendersuche sowie beim Fundraising. Auch in der Transplantationsmedizin selbst gibt es laufend Fortschritte. Aber das Wichtigste bleibt: Menschen, die bereit sind zu helfen.

Wenn Sie auf das Jahr 2040 blicken: Sehen Sie ein Land voller Spenderinnen und Spender oder ein Land, das das Helfen verlernt hat?

Ich sehe ein Land voller Spender:innen – weil ich jeden Tag Menschen begegne, die helfen wollen und die ihre wertvolle Zeit, ihr Geld oder ihr Wissen ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Die solidarisch sind, mutig und empathisch. Wir dürfen das Positive nicht aus den Augen verlieren. Aber wir müssen aktiv daran arbeiten – denn Helfen ist nicht selbstverständlich. Es ist eine Entscheidung. Jeden Tag aufs Neue.

© Geben für Leben

Steckbrief

Susanne Marosch

Susanne Marosch (* 11. März 1973 in Schruns) ist eine österreichische Sozialunternehmerin und seit 2011 Obfrau des Vereins Geben für Leben – Leukämiehilfe Österreich, der bundesweit Stammzellspenderinnen und -spender für Leukämiepatienten vermittelt. Aufgewachsen im Montafon absolvierte sie zunächst eine Ausbildung an einer Tourismusschule, bevor sie die Polizeischule in Gisingen besuchte und anschließend als Polizistin in Bregenz tätig war. Später wechselte sie in den Bereich Personalmanagement und übernahm dort leitende Funktionen.

Der Verein Geben für Leben wurde 1999 von ihrer Mutter Herlinde Marosch gemeinsam mit zwei Mitstreiterinnen gegründet, ausgelöst durch einen Leukämiefall in der Familie. Unter der Leitung von Susanne Marosch entwickelte sich die Organisation zu einer österreichweit aktiven Initiative, die regelmäßig Typisierungsaktionen durchführt, eine eigene Spenderdatei aufgebaut hat und mit internationalen Stammzellspenderdateien zusammenarbeitet.

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