Dass Klaus Albrecht Schröder 70 wird, gefällt ihm vermutlich nicht. Er reagiert, indem er das von Cancel-Kretins bedrängte Wiener Aktionismus-Museum übernimmt. Solche wie ihn brauchen wir. Und solche wie Rudolf Buchbinder auch. Das hat er uns in Grafenegg gelehrt.
Dass sich Klaus Albrecht Schröder nach dem Abschied aus der Albertina seiner Schwerersetzbarkeit bald bewusst werden würde, war zu erwarten. Sich aber dermaßen in medias res zu positionieren wie mit der Geschäftsführung des Wiener Aktionismus-Museums: Das ist eine neue Eskalationsstufe in einer Berufsbiografie, die unter Einsatz maximalen Selbstvertrauens ihren glücklichen Weg genommen hat.
Denn das einzige Lebenszeichen, mit dem sich die österreichische Kunst nach dem Krieg überregional bemerkbar machte, ist in Bedrängnis. Bedroht wird der Wiener Aktionismus im Namen einer globalen Vertrottelungsoffensive gegen das Schaffen moralisch inopportuner Künstler. So nahm ein von den diesjährigen Wiener Festwochen ausgerichtetes Tribunal das Aktionismus-Museum in den Fokus. Der Abschaffung anempfohlen wurde das Werk des 2013 verstorbenen Otto Muehl, dessen Freiheits- und Gerechtigkeitsvision sich – kein Einzelfall – in ihr Gegenteil pervertiert hatte.
Dem in den Siebzigerjahren ikonisierten Psychiater Wilhelm Reich sind damals viele auf schwankendem Boden gefolgt. Muehl hat für die Vorgänge in seiner Kommune die vollen ihm zugedachten sieben Jahre abgesessen. Seine kunsthistorische Bedeutung steht außer Streit. Ich bin nicht einmal sicher, ob man seine Werke „kontextualisieren“ muss. Das Museum hat bisher davon Abstand genommen, Schröder will es tun.
Führungspersönlichkeiten fehlen
Dass sich hier, nach dem Ableben der Identitätsstifter Hermann Nitsch und Günter Brus, eine markante Persönlichkeit gegen das natürliche Verlöschen und das gezielte Auslöschen stellt: Das kommt keinen Tag zu früh. Während nämlich die Festwochen linken Schniedel-ab-Erotikern Gehör verschafften, hatte der steirische Landeshauptmann Kunasek die Schließung des Grazer Brus-Museums schon in sein Wahlprogramm geschrieben.
Starke Führungspersönlichkeiten werden der Zeitgeistopportunität geopfert. Das ist fatal
In dieser Situation ist es fatal, dass starke, zum Abducken unbegabte Personen wie Schröder aus zeitgeistopportunen Gründen kaum noch in Führungspositionen berufen werden.
Seit er 1987 ins Büro der Wiener Kulturstadträtin Pasterk bestellt wurde, hat Schröder unumkehrbar in die Geschicke der Stadt eingegriffen. Das von ihm gegründete Kunstforum Länderbank – soeben namens des Nachfolge-Instituts liquidiert – hat nichts Geringeres als das Leopold-Museum auf den Weg befördert. Während sich die Öffentlichkeit noch mit den mittlerweile bereinigten Restitutionskalamitäten befasste, zeigte Schröder zum ersten Mal Exponate aus der singulären Privatsammlung. 200.000 Besucher drängten in die überschaubaren Räumlichkeiten, Kanzler Vranitzky erkannte das Potenzial für Größerdimensioniertes.
1999 wurde Schröder an die Spitze der abwicklungsreifen Albertina berufen. Dass dann zu van Gogh 600.000 in elf Wochen (statt wie zuvor 7.000 im Jahr) drängten, war aber auch nicht recht, weil die Exklusivität des Graphischen Kabinetts beschädigt worden sei.
Auch andere frequente Bewässerungen seitens des selbstnobilitierten Qualitätsfeuilletons haben am Hosenbein keine Spuren hinterlassen. Helnwein hat in der Albertina ausgestellt und 300.000 Besucher erreicht, gleich, wem das gepasst oder nicht gepasst hat. Die Guggenheim-Führung ließ sich von Schröder leider nicht für Wien interessieren. Aber zwei Dependancen der Albertina, eine im Künstlerhaus, eine im wieder bespielten Essl-Museum, sind auch nicht nichts. Ich gratuliere in Zuneigung zum 70. Geburtstag.
Und Salut für Buchbinder
Lassen Sie mich noch schnell das Thema wechseln – und auch wieder nicht, denn auch hier geht es um Führungsstärke. Am Sonntag hat Rudolf Buchbinder in Grafenegg sein drittes Beethoven-Konzert in vier Tagen gespielt. Vorgesehen war zunächst das erste Klavierkonzert von Brahms. Der 89-jährige Zubin Mehta, einer aus der winzigen verbliebenen Gigantenpopulation, hätte sich (keine Selbstverständlichkeit) Buchbinder zuliebe ans Pult der Tonkünstler gestellt. Er konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht reisen, da erfüllte sich das nächste Wunder: Der augenhohe Daniel Barenboim, 82 Jahre alt und in prekären gesundheitlichen Umständen, wollte einspringen.
Als er am Tag vor der Abreise schwer stürzte, schien das Unsterblichenreservoire ausgeschöpft. Aber in Grafenegg amtiert eben auch noch ein Intendant aus der Weltliga. Und so übernahm Buchbinder, auch kein Teenager, binnen zwei Tagen als Solist und Dirigent zweier Beethoven-Konzerte. Kein anderer Intendant der Welt hätte Krisenmanagement auf dieser Höhe leisten können.
Pöbeln gegen Humanisten
Bleiben die sorgenvollen Wünsche für zwei maßstabsetzende Musiker und Humanisten. Mehta hat als Chef in Tel Aviv über Jahre das heute schandbar außer Kraft tretende „Nie wieder“ in die Welt getragen. Und Barenboim lebt mit seinem West Eastern Divan Orchestra aus israelischen und arabischen Musikern unbeirrt den unmöglichen Traum.
Was, glauben Sie, las man dazu ungelöscht im Qualitätsforum? Die geriatrischen Wedler mögen sich nach Lainz verziehen, man hätte besser gleich „jemanden jungen“ genommen, natürlich „eine Frau!!!“. Vom praxisfernen Schwachsinn, einen Dirigierschüler halbgeprobt am Pult zu vernichten, einmal abgesehen: Darf tatsächlich jeder, der eine Tastatur bedienen kann, publizieren? Mit wessen Genehmigung? Und wie lange noch?
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.







