Bereits vor seiner Wahl zum Präsidenten der USA kündigte Donald Trump eine Diktatur an. Jetzt geht er auf Intellektuelle und Universitäten los. Eine der führenden Trump-kritischen Stimmen, die Schriftstellerin Siri Hustvedt, analysiert im Gespräch, was das in der Praxis bedeutet.
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Die amerikanischen Eliteuniversitäten Harvard und Yale sind in arger Bedrängnis. Präsident Donald Trump sieht diese Institutionen als „Gefahr für die Demokratie“ (News berichtete in der Ausgabe 19/25).
Das Bildungsministerium ist abgeschafft. Frauen bangen um ihre Rechte. Anlass für ein Gespräch mit Siri Hustvedt, einer der führenden Intellektuellen der Vereinigten Staaten und Witwe des Schriftstellers Paul Auster, über das Versagen der Eliten, Trumps Angriff auf die Universitäten, Faschismus in den USA und den Hoffungsschimmer Wall Street, den „Spielplatz der Reichen“.
Frau Hustvedt, sind Sie überrascht von dem, was seit Donald Trumps Amtsantritt geschehen ist? War es wirklich vorhersehbar, dass er das Bildungsministerium abschaffen und die wichtigsten Universitäten angreifen würde?
Was meinen Sie, ob es unmöglich war, das vorherzusagen? Gleichzeitig bin ich nicht überrascht. Es ist ja im Wahlkampf fast alles ausgesprochen worden. Ich habe mich sehr bemüht, zu verstehen, was passieren wird, wenn all die angekündigten Vorhaben – Massendeportationen, die Abschaffung des Bildungsministeriums, wie es im Wahlkampf hieß, Kampf gegen Verschwendung und Betrug sowie die Verkleinerung der Regierung – umgesetzt werden. Trump sagte auch, die Verfassung solle außer Kraft gesetzt werden, wenn sie dem im Wege stehe.
Ich als Harris-Wählerin bemühe mich, zu verstehen, inwieweit Menschen, die für Trump gestimmt haben, tatsächlich eine brutale, autoritäre Regierung wollen. Das ist eine Frage, die nicht oft genug gestellt wird. Die etablierten Medien neigen dazu, diese massiven faschistischen Tendenzen, die in den USA schon seit einiger Zeit wirksam sind, zu entschuldigen. Und ich denke, es ist angemessen, zu fragen, inwieweit Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Donald Trump ins Amt gebracht haben. Es gab viele Diskussionen darüber, ob es sich beim Trumpismus um eine faschistische Bewegung handelt oder nicht.
Ich arbeite gerade an einem Vortrag dazu, den ich im Juni in Palermo halten werde. Eines der großen Probleme, das auch seinerzeit in Deutschland und Italien zu beobachten war, ist, das Versagen der Eliten. Damit meine ich Konzerne, Großkapital, Leute aus dem Technologiesektor. Und jetzt können wir das auch an den Universitäten beobachten. An meiner Alma Mater, der Columbia University, wo ich promoviert habe, waren es nicht die Fakultäten, sondern die Universitätsverwaltung. Sie wollen dort ganze Abteilungen schließen.
Trump will die Finanzierung der Harvard University kürzen. Er nennt sie eine Bedrohung für die Demokratie. Die Universität will nun einen Rechtsstreit mit dem Präsidenten führen. Kann sie den gewinnen?
Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Antwort darauf. Aber ich bin froh, dass Harvard sich wehrt. Es ist die reichste Universität in den Vereinigten Staaten. Sie hat ein enormes Vermögen, Milliarden von Dollar. Doch das Problem ist, dass Harvard agiert, als ob das Rechtssystem noch intakt wäre. Es gibt nun aber eine Flut von Gerichtsurteilen unterer Instanzen. Wir wissen nicht, was davon legal oder verfassungswidrig ist. Die Frage ist, was durchgesetzt wird, ob überhaupt etwas davon durchgesetzt wird. Das große Problem, das ich vorhin angesprochen habe, ist: Wenn dies eine breite Volksbewegung ist, wie viel Unterstützung braucht die Trump-Regierung von der Bevölkerung, um diese drakonischen, zerstörerischen Maßnahmen, die alle Rechtsstaatlichkeit untergraben, umzusetzen?
Timothy Snyder, der Autor von „Bloodlands“, wollte bereits nach Kanada auswandern. Er sagte, dass Trump alle Kriterien eines Faschisten erfülle. Können Sie sich vorstellen, dass die Trump-Regierung in der Lage sein wird, Professoren und Intellektuelle aus den USA zu vertreiben?
Meine Mutter lebte während der Nazi-Besatzung in Norwegen. Um die Weihnachtszeit, einige Monate nach Beginn der Besatzung im April 1940, demonstrierten sie und einige ihrer Klassenkameraden aus der Sekundarschule in ihrer kleinen Stadt unweit von Oslo gegen die Deutschen. Sie wurde neun Tage lang inhaftiert. Mein Onkel war drei Monate lang in einem viel schlimmeren Gefängnis in Oslo. Meine Mutter erzählte mir, dass danach bald niemand mehr offen zu demonstrieren wagte. Der Widerstand ging in den Untergrund. Wir müssen uns bewusst sein, dass dies auch hier passieren kann. Vielleicht wird es eine Massenflucht von Intellektuellen geben. Ich halte die Situation für sehr ernst. Und ich hoffe, dass sie nicht so ernst ist, wie ich befürchte.
Wenn das so weitergeht, dann sind wohl alle Trump-kritischen Intellektuellen in diesem Land gefährdet
Wollen Sie damit sagen, dass die Vereinigten Staaten auf dem Weg sind, ein faschistischer Staat zu werden?
Robert Paxton, ein renommierter Historiker, hat bereits am 6. Jänner 2021 Anzeichen von Faschismus ausgemacht. Ich habe gerade einen Text für Le Monde geschrieben, in dem ich zeige, dass wir es jetzt tatsächlich mit Faschisten zu tun haben. Aber Faschismus ist kein eindeutig definiertes Phänomen. Der deutsche Faschismus ist anders als der italienische oder der spanische Faschismus. In ganz Europa gab es faschistische Bewegungen. Viele von ihnen gelangten nicht an die Macht, aber die populistische, antiintellektuelle, antielitäre Tendenz faschistischer Bewegungen ist auch hier enorm präsent. Und sie erfährt, fürchte ich, viel Unterstützung. Wenn man also Harvard angreift, verliert man nicht viele Trump-Wähler. Eins noch zum Faschismus: In jedem faschistischen Staat war einer der ersten Schritte, alle Rechte, die Frauen gewonnen hatten, wegzunehmen.
Meinen Sie die Liste der „199 verbotenen Wörter“, die von der Trump-Regierung herausgegeben wurde?
Es ist bereits durchgesickert, dass „weiblich“, „Frau“ und „Geschlecht“ gebrandmarkte Wörter sind. Dokumente, in denen sie vorkommen, gelten als potenziell verdächtig.
Ist diese Liste eine rechte Reaktion auf das woke Streben nach Gleichheit und Vielfalt? Im Zuge dieser Bestrebungen wurden sogar Klassiker der Weltliteratur umgeschrieben. Vielen hielten das für übertrieben, und das zu Recht.
In der Linken war man besorgt über Rassismus, Sexismus, Homophobie, und das führte zu Sprachregelungen, aber Gesetzescharakter hatte das nie. Es gibt also einen großen Unterschied zwischen diesen Bestrebungen und der Macht des Staats, die zu einem Werkzeug für das Verbot von Büchern, das Vorgehen gegen Universitäten und die totale Unterdrückung der Meinungsfreiheit werden kann wie etwa bei den 199 Wörtern.
Was ist mit den antisemitischen Protesten an den Universitäten? Haben sie Trump geholfen, den Universitäten Schwierigkeiten zu bereiten?
Einerseits gibt es diesen schrecklichen Hamas-Angriff vom 7. Oktober und andererseits Israels Reaktion darauf. Die Menschen versuchen, diese beiden Dinge irgendwie zu verarbeiten. Wenn man sich ansieht, was die meisten dieser propalästinensischen Demonstranten, die hier verhaftet wurden, gesagt haben, wird man feststellen, dass keiner von ihnen Antisemit ist. Nicht ein einziger. Es gab einen Vorfall an der Columbia, wo ein Mann „Tötet die Juden“ rief. Er wurde sofort von einem anderen in die Schranken gewiesen. Tatsache ist, dass die größten Antisemiten in diesem Land sicherlich nicht auf der Linken zu finden sind, sondern auf der Rechten. Die Behauptung der Trump-Regierung ist, sie ginge wegen des Antisemitismus gegen diese vor, ist absurd. Das ist völliger Unsinn, eine Ausrede. Es hat nichts mit dem tatsächlichen Antisemitismus zu tun, der natürlich auch hier an vielen Orten existiert und entsetzlich ist. Aber der Grund, warum Intellektuelle ins Visier genommen werden, ist, dass Intellektuelle kritische Stimmen sind.
Wie fühlen Sie sich als kritische Stimme?
Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, die ich hier nie zuvor erlebt habe. Alles sieht unverändert aus. Wenn ich nach draußen gehe, sieht meine Nachbarschaft genauso aus wie vor ein paar Monaten. Die Geschäfte sind geöffnet. Überall Business as usual, aber die Bedrohung ist da. Und natürlich braucht es in gewisser Weise Menschen, die sich wirklich Sorgen machen, nicht wahr? Ich zähle mich dazu. Es braucht Menschen, die so informiert sind, wie wir es sein können, über das, was passiert, die ein gewisses historisches Gespür dafür haben, was vor sich geht und warum es so gefährlich ist. Ich glaube, dass viele Menschen das nicht wahrnehmen. Und wenn das der Fall ist, dann imprägniert diese Art von faschistischer Kontrolle das Land als Ganzes. Ich frage mich, ob es noch Wahlen geben wird, denke aber, dass diese autoritären Regierungen heute so funktionieren, dass sie Wahlen abhalten.
Ist zu befürchten, dass diese Wahlen dann auf eine gewisse, vielleicht versteckte Art manipuliert werden?
Der Kongress versucht gerade, ein Gesetz durchzudrücken, demzufolge Geburtsurkunde oder Reisepass zum Wahllokal mitzubringen wären. Der Name auf der Geburtsurkunde muss mit dem aktuellen Namen übereinstimmen. Nun frage ich Sie, was für Menschen haben ihren Namen mit größter Wahrscheinlichkeit geändert? Verheiratete Frauen natürlich. Absicht ist also, das Frauenwahlrecht so weit wie möglich zu beseitigen. Das geht schon seit vielen, vielen Jahren so. Wissen Sie, es wird auch so eine Art neue Jim-Crow-Wahlgesetzgebung sein, es sollen also auch Schwarze so gut wie möglich am Wählen gehindert werden.
Jim-Crow-Gesetze
Mai 2022: Nach Abschaffung der Sklaverei in den USA 1865 kam die Rassentrennung. Das heißt, getrennte Eingänge in öffentlichen Einrichtungen, getrennte Sitzplätze in öffentlichen Verkehrsmitteln für Weiße und Menschen anderer Hautfarbe. Ehen zwischen Weißen und Menschen aus anderen Ethnien waren verboten.
Wäre es eine Option für Sie, die USA zu verlassen?
Vielleicht. Ausgeschlossen ist nichts. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das öffentlich sagen sollte, aber bei meiner Geburt war meine Mutter norwegische Staatsbürgerin. Sie behielt die Staatsbürgerschaft lange nach der Einwanderung in die Vereinigten Staaten und nach der Heirat mit meinem Vater. Ich wurde also geboren, bevor sie sie aufgab. Denn vor 1979 war es möglich, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu haben. Ich habe einmal ein T-Shirt geschenkt bekommen, auf dem stand „Norweger gegen Trump“. Das war lustig gemeint. Aber jetzt ist das nicht mehr lustig.
Die Pianisten András Schiff und Christian Tetzlaff haben ihre Konzerte in den USA aus Protest gegen Trump abgesagt. Halten Sie das für richtig?
Ich verstehe das voll und ganz und unterstütze solche Maßnahmen. Künstler wissen selbst, ob sie wegen der Trump-Regierung Aufführungen in den Vereinigten Staaten einfach boykottieren können. Ich denke, jeder sollte das bisschen Macht, das er oder sie hat, nach Möglichkeit einsetzen. Einige meiner Freunde haben ihre Reise in die Staaten abgesagt. So gerne ich diese Menschen auch wiedersehen würde, ich verstehe es. Die meisten sind Künstler oder Intellektuelle, Wissenschaftler, Philosophen, Menschen, die ihr Leben mit Schreiben und Denken verbringen. Sie haben Angst, dass sie hier aufgehalten werden. Jeder Mensch, der sich aktiv gegen Trump stellt, muss vorsichtig sein. Man weiß nicht, was passiert, wenn jetzt sogar Menschen, die legal hier leben, abgeschoben werden.
Verstehe ich das richtig, dass Sie Ihre regierungskritischen Essays lieber außerhalb der USA veröffentlichen?
Ich habe einfach mehr Möglichkeiten, in Europa zu veröffentlichen, aber wenn das so weitergeht, dann sind wohl alle Trump-kritischen Intellektuellen in diesem Land gefährdet. Trotzdem veröffentlichen viele immer noch hier.
Könnte Musk Trumps Macht beenden, wenn er sich von ihm zurückzieht?
Gute Frage. Ich denke, Musk wird sich Trump wahrscheinlich nicht vollständig entgegenstellen, weil sein Unternehmen gewaltige staatliche Subventionen erhält. Trump möchte die Einkommensteuer abschaffen. Das ist aber sehr unsicher. Am Ende wird es eine Oligarchie der Reichen geben.
In einem Ihrer jüngsten Artikel forderten Sie zum Widerstand auf. Wie stellen Sie sich das vor?
Die MAGA-Bewegung kann nicht überleben, wenn es keinen sehr starken Rückhalt in der Bevölkerung gibt. Die Umfragen haben jedoch gezeigt, dass Trump an Unterstützung verliert. Viele Arbeitskräfte sind durch die Abschiebungen verloren gegangen. Die Zölle sind äußerst unpopulär. Man muss bedenken, dass die Wall Street der Spielplatz der Reichen ist. Viele haben wie ich in die Sozialversicherung eingezahlt, die Auszahlungen waren garantiert, aber nun stoppt die Regierung sie einfach. Ich war am 5. April in New York City auf der Straße. Als ich mich umschaute, sah ich Menschenmassen, die sich über 20 Blocks verteilten. Menschen in der Opposition müssen an so vielen dieser friedlichen Proteste wie möglich teilnehmen, weil es ihnen hilft, sich besser zu fühlen. Abgesehen davon, dass Massendemonstrationen zumindest zeigen könnten, wie unpopulär viele dieser Maßnahmen sind, hilft es den Menschen auch, sich nicht allein und unterdrückt zu fühlen. Das ist entsetzlich. Aber der Grund, warum Intellektuelle ins Visier genommen werden, ist, dass Intellektuelle kritische Stimmen sind.
Über Siri Hustvedt
Siri Hustvedt wurde am 19. Februar 1955 in Northfield, Minnesota, als Tochter einer norwegisch-amerikanischen Familie geboren. Sie studierte Literatur und wurde an der Columbia University promoviert. 1982 heiratete sie den Schriftsteller Paul Auster, der 2024 verstarb. Das Paar hat eine Tochter. Ehepaar lebte in Brooklyn. Ihre bekanntesten Romane sind „Die Verzauberung der Lily Dahl“ (1997) und „Was ich liebte“ (2003). Zuletzt erschienen: „Mütter, Väter und Täter“, Rowohlt, € 28,80