In ihren surreal anmutenden Bildwelten thematisiert Angela Eisenköck die Verwandlung ihrer Protagonisten. Ein Entwurfsprozess, in dem der konkrete Ursprung ihrer Motive nicht selten an Gegenständlichkeit verliert.
Atelierbesuch bei Angela Eisenköck
© VGN | Osama Rasheed
„Inspirierend, nicht?“, schweift Angela Eisenköcks Blick feststellend über das malerische Panorama, das die großzügige Glasfront eröffnet. Der weitläufige Ausblick auf die Grazer Natur, die einem von hier oben aus zu Füßen liegt, nimmt die Antwort stillschweigend vorweg. Schon bald muss die Aussicht eine noch schönere sein, wenn die ersten warmen Sonnenstrahlen die Vegetation allmählich aus ihrem Schlaf kitzeln und alles ringsum zu blühen beginnt. „Eigentlich hat jede Jahreszeit ihren eigenen Reiz“, relativiert die Künstlerin. Wenn etwa dicke Flocken das Landschaftsbild in sanftes Weiß hüllen, schwere Tropfen stürmisch gegen das Glasdach trommeln, einem eine laue Brise etwas zu flüstern versucht oder die ansässige Fauna orchestral die Stimmung eines lauen Sommerabends untermalt. Festlegen könne man sich da nur schwer. So kommt es, dass sie jede freie Minute hier verbringt.
Der Innenraum des sich auf Stelzen erhebenden, kubistischen Flachbaus, der Eisenköck seit 2015 als Atelier dient, ist mit hellem Holz vertäfelt. Äußeres und Inneres treten somit in perfekte Symbiose. Der gemeinsame Nenner dieses Wechselspiels: die Natur. Zufall? Keinesfalls. Das moderne Gebäude ist Sinnbild ihrer künstlerischen Wurzeln – ein Gemeinschaftsentwurf von ihr, ihrem Mann und ihrem Sohn.


Gratwanderung. Eisenköcks fragments bewegen sich zwischen Konkretem und Abstraktem – der Grad der Verfremdung entsteht im Prozess
© Angela EisenköckArchitektur und Autodidaktik
Letztlich war es nämlich die Architektur, die Eisenköck als Türöffner in die Welt der bildenden Künste diente. Eine Vorliebe, die sich bereits während des Studiums zunehmend abzeichnete: Ihr damaliger Professor, der österreichische Jazzmusiker Adelhard Roidinger, der sie die Grundlagen der Gestaltung lehrte, entdeckte früh ihr künstlerisches Talent. Doch bis Eisenköck der Architektur schließlich den Rücken kehrte, vergehen Jahre. Heute ist eine Rückkehr ins Architekturbüro undenkbar. Zu groß wäre die Sehnsucht nach der Kunst. „Durch meinen Mann bleibe ich ja ohnehin auf dem Laufenden“, scherzt sie. „Die Kunst ist für mich längst eine Notwendigkeit, ohne die ich heute nicht mehr leben möchte.“
Ihren Lauf nahm diese vor gut zwei Jahrzehnten, als die Kinder noch klein waren und das Verlangen nach künstlerischer Entfaltung – fernab technischer Realisierbarkeit – immer weiterwuchs. „Als Autodidaktin habe ich damals bei null begonnen“, sinniert sie. Kurzerhand habe sie damals bei einem Grazer Künstlerbedarf das Notwendigste gekauft und einfach mit dem Malen begonnen. Der anfänglichen Malerei mit Acryl entwuchs sie rasch – „die Farbe verliert im Trocknungsprozess ihr Leuchten“. Eine Qualität, auf die Eisenköck bei Betrachtung ihrer heutigen Arbeit nicht verzichten kann. Außerdem sei der Arbeitsprozess bei Acryl zeitlich zu sehr begrenzt. „Mein Malprozess ist ein langsamer – ein Herantasten; ein Hinspüren.“


© Angela Eisenköck
Wenn Neues entsteht
Früh wechselt sie somit zur altmeisterlichen Ölmalerei und schafft erste Arbeiten in Tusche – die Techniken dafür erlernt sie in zahlreichen Kursen. So entstehen kurze Zeit später erste, dem Realismus zuzuordnende Porträts ihr nahestehender Personen. Der starke, teils verletzliche Blick wird zum entscheidenden Narrativ dieser Arbeiten: „Ich hatte die Sehnsucht, Familienmitglieder sehr genau, in ihrer Tiefe, zu erfassen – ein Stück ihrer Seele einzufangen.“ Dem gegenüber stehen ihre Tuschezeichnungen, denen Köpfe aus Zeitungen als Vorlage dienten. „Die waren teils so klein, dass man ihre Physiognomie kaum erkennen konnte. Der finale Kopf entstand erst im Malprozess – einem Annäherungsversuch.“
2018 markiert schließlich den Beginn einer neuen Werksgruppe: fragments. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Eisenköck gerade einen operativen Eingriff hinter sich. Einige Wochen verbringt sie infolgedessen im Krankenhaus – war damals fast taub. „Genetik“, erklärt sie ihr Hörleiden. „Die Schwierigkeit des Hörens hat die Qualität des Spürens in den Vordergrund gerückt – fällt ein Sinn aus, werden die anderen geschärft.“ Ihre ganze Aufmerksamkeit wird so unweigerlich den unzähligen, sie umgebenden Blumengrüßen zuteil. Sie beobachtet die vermeintliche Vergänglichkeit von deren Schönheit; den Prozess der Verwandlung, der Neues entstehen lässt. Es ist nicht länger die üppige, florale Pracht, sondern die Imperfektion, die sie fasziniert: „Letztlich sind es Destillate; destillierte Formen gelebter Erfahrung, unterwegs in Neues, bisher Unbekanntes. Der sich damit wandelnde und vergrößernde Reichtum an Farben und Formen ist schlicht spannender“, stellt sie fest. „Wenn das Eindeutige plötzlich mehrdeutig wird.“


© Angela Eisenköck
Die transmediale Genese
Gesehenes dokumentiert sie zunächst in all seiner Detailvielfalt in ihrem Zeichenblock. Später beginnt sie die Bleistiftzeichnungen in ihrem Atelier auf größeres Format zu übersetzen und stößt dabei rasch an die Grenzen ihrer Geduld. Mit den vorhandenen Pastellfarben war eine neue Technik rasch gefunden.
Doch ehe die pudrige Pastellfarbe in einem langwierigen, detailverliebten Malverfahren mit zahlreichen Schwämmchen auf die geeignete Leinwand getupft wird, ist einiges an Vorarbeit zu leisten. Der Weg dahin? Ein transmedialer: „Meine Kunst ist ein Spiel mit Dingen, auf die ich in der Natur oder meiner unmittelbaren Umgebung stoße und die mich zunächst einmal ansprechen müssen“, holt sie aus. „Etwas, wo ich sage, ‚komm‘ her und schauen wir, was aus uns wird‘.“ So bekommt das Ding die Chance, zum Motiv zu werden; wird im nächsten Schritt ins rechte Licht gerückt und fotografiert, ehe Licht sowie Schatten überzeichnet werden und wieder ein neues Foto entsteht. „Ein Entwurfsprozess“, so die Künstlerin, „der jenem in der Architektur ähnelt und sich so oft wiederholt, bis etwas völlig Eigenständiges entsteht, das mit mir in Korrespondenz tritt.“ Ist dieser Punkt erreicht, überführt sie das Fragment, losgelöst aus dessen ursprünglichem Kontext und oftmals in neuer Dimension, auf dem Bildträger in einen neuen Raum und damit in eine neue Realität; eine zumeist surreale Welt. Was folgt, sind unzählige Schichten Pastellfarbe. Und – im Falle eines Großformats – gut und gerne an die zehn Dosen Fixativspray. Die sich daraus ergebende, dynamische, meist rätselhafte Formensprache stellt Unwissende oft vor die Frage: Abstrakt oder konkret?
Von zweiten Chancen
Nicht selten verliert der konkrete Ursprung während des Malens an Gegenständlichkeit. „Die Verwandlung meines Motivs, der Grad der Verfremdung“, so Eisenköck, „ist Resultat des Malprozesses und erst dann abgeschlossen, wenn das Bild fertig ist.“ Der Weg dahin ist für die Feldenkrais-Lehrerin bewusste Wahrnehmung. „Das Malen ist ein stetiger Dialog zwischen mir und der Leinwand – eben ein Herantasten; ein permanentes Hinterfragen.“ Bleibt die Antwort offen, ist die Arbeit abgeschlossen. Oder eine Sackgasse erreicht. Denn davon gibt es entlang des Weges einige. Ärgerlich wird es dann, wenn sich eine solche erst im weit fortgeschrittenen Prozess auftut. Aber selbst dann wird man zusehends entspannter: „Mittlerweile bin ich nicht mehr ganz so radikal“, lacht sie. „Ein jedes Bild bekommt seine zweite Chance, ehe ich zur Schere greife.“