Monika Wogrolly unterhält sich tabulos und kritisch mit dem Facharzt für Ästhetische und Plastische Chirurgie Thomas Rappel über Normen in der Ästhetik, aber auch den sozialen Druck zur Alterslosigkeit und die Grenzen des Machbaren
Die Schönheitsindustrie boomt. Gibt es überhaupt noch Grenzen des Machbaren?
Es gibt immer Grenzen des Machbaren. Problematisch ist, dass heutzutage diese Grenzen permanent überschritten werden. Und das zeigt sich vor allem auf Social Media, wo einfach alles an Möglichkeiten plakativ und überbordend ausgelebt wird. Die Grenzen fallen komplett oder werden immer verwaschener.
Bei manchen Celebrities überlegt man sich, was sie nur für Schönheitschirurgen haben, die ihnen bis zur Groteske das ganze Gesicht aufgequollen gestalten.
Das ist in der ästhetischen Chirurgie so ähnlich wie in der Kunst, wo auch nicht jeder ein begabter Maler oder Musiker sein kann. Das Ergebnis beruht nicht allein auf dem medizinischen Know-how; es sind Kunst und Imaginationsgabe in hohem Maße verantwortlich für den Erfolg. Ein weiterer Punkt ist, dass vieles in Wochenendkursen quasi erlernt und dann umgehend angeboten und angewendet wird. Das führt zu fehlgeleiteten Konzepten, die dann diese sehr skurrilen Bilder hinterlassen.
Wogrollys Couch mit Thomas Rappel: Das Interview zum Ansehen
Diesmal auf Wogrollys Couch: Dr. Thomas Rappl
Wie sind Sie eigentlich zur Schönheit als Berufung gekommen?
Die Ästhetik verfolgt mich eigentlich schon mein ganzes Leben. Ich habe als Kind schon gemalt und als Student auch in Auftrag gegebene Bilder verkauft. Ich wollte an der Kunstakademie Malerei studieren. Mein Schlüsselerlebnis war ein Artikel in einer Tageszeitung über einen plastischen Chirurgen, der das Gesicht eines Kindes in einer bestermöglichen Art und Weise rekonstruiert hatte. Ich bin noch immer in der Rekonstruktion tätig, das war faktisch der Bahnbrecher.
Es geht aber nicht nur um Schönheit. Die Ausbildung beginnt mit rekonstruktiver Chirurgie. Es gibt diese drei Säulen „plastisch, rekonstruktiv und ästhetisch“ – und diese drei Säulen tragen sich gegenseitig. Ein rekonstruktiver Chirurg muss auch ein richtiges Maß an Ästhetik mitbringen und ein ästhetischer Chirurg muss ein richtiges Maß an rekonstruktiven Fähigkeiten mitbringen. Nur so wird gewährleistet, dass die operativen Ergebnisse optimal ausfallen, und hat man auch sämtliche Tools in der Hand, sollten einmal Komplikationen auftreten, hier auch selbst erfolgreich zu intervenieren.
Auf diese Weise sind Sie doch bei der Kunst gekommen. Es ähnelt der Tätigkeit eines Bildhauer, wenn Sie Brüste gestalten und modellieren.
Das ist eigentlich Bildhauerei mit „lebendem Material“, wenn man es sehr salopp umschreiben möchte. Und ja, es ist Kunst. Man kann es betrachten, wie man will, aber der Zugang und das Gespür für Ästhetik oder für Proportionen, wie sie zusammengehören, ist die Basis der Ästhetik.
In meine Praxis kommen Frauen, die unzufrieden mit sich sind, zum Beispiel weil ihnen ihre Brüste zu klein sind. Und die Partner dieser Frauen sagen aber, ich liebe dich so, wie du bist. Wie wichtig ist es, sich selbst zu gefallen?
Das ist ein gutes Thema und auch eine gute Frage. Bei meinen Patientinnen, die mit dem Partner kommen, höre ich genau das, was Sie gesagt haben: „Naja, du gefällst mir so, wie du bist und für mich brauchst du das nicht machen.“ Der Wunsch zur Veränderung kommt zu neunzig Prozent oder sogar mehr direkt von der Patientin selbst. Sie sagt, es geht um mich und ich fühle mich nicht wohl. Das ist auch der wichtigste Aspekt, den man ins Kalkül ziehen muss. Man muss immer bedenken, dass es wirklich dieser Einschnitt, im wahrsten Sinne des Wortes, auch in die Psyche ist und in das Wohlbefinden. Es geht um das Selbstwertgefühl. Dessen Stärkung durch die ästhetische Chirurgie ist zentral.
Durch Social Media hat das Facelift an Schrecken verloren, aber es ist die Königsdisziplin der plastischen Chirurgie
Viele kann man altersmäßig gar nicht mehr zuordnen, weil sie gestrafft sind. Was halten Sie davon?
Man sieht auf Social Media nur mehr facegeliftete Patienten, und es scheint einfach zu sein, nur ist es das nicht. Meistens erkennt man das Alter noch an den Händen oder auch ab und zu beim Hals. Der Trend zur Facelift-Chirurgie – wir sprechen eigentlich schon von den Facelift-Behandlungen – steigt. Als ich 2008 in Paris gearbeitet habe, hatten wir im Jahr 200 Facelifts. In Österreich war dieses Bedürfnis damals noch nicht gegeben.
Ich werde älter, meine Patientinnen, die über Jahrzehnte treu mit mir mitgegangen sind, werden auch älter. Man erkennt, die konservativen Maßnahmen greifen nicht mehr so. Da ist natürlich der Weg zum Messer ein schneller. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass heutzutage durch Social Media das Facelift an Schrecken verloren hat, aber es ist die Königsdisziplin der plastischen Chirurgie. Es sollte nicht als so einfach dargestellt werden, weil es ist ein Eingriff, der den Menschen am meisten verändert. Das ist jetzt keine Lunchtime-Surgery, wie man so schön sagt.
Ist ja oft wundersam, dass Leute, die sich das finanziell leisten können, manchmal nach Schönheitseingriffen so überspannt, aufgequollen oder skurril ausschauen.
Das ist schwer zu beurteilen: Ist es der falsche Zugang der Celebrity-Person an sich, die den Chirurgen dazu treibt, in eine Richtung zu gehen, die er möglicherweise gar nicht möchte, aber dann doch macht, um den Patienten nicht zu verlieren? Oder ist es die schlechte Einschätzung des Chirurgen? Das ist schwer auszumachen.
Ist es eine Standard-OP geworden, dass man auch die Geschlechtsorgane verschönert?
Die Geschlechtsorganverschönerung ist ein großes Thema – bei Männern Hodensackstraffungen und Penisvergrößerungen. Bei einer Penisvergrößerung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, zum Beispiel, indem man ein Bändchen durchtrennt und dann auch den Penis mit Eigenfett unterspritzt. Es gibt andere Chirurgen, die das vielleicht gerne machen, ich mache es nicht.
Bleibt da die Funktion voll erhalten?
Ja, unbedingt. Bei manchen Frauen entsteht oftmals auch ein Leidensdruck. Es gibt soziokulturelle Standards der Ästhetik bei den Geschlechtsorganen: Dieser Virgin-Style-Look etwa, wo man beispielsweise nach einer Geburt bei ästhetisch stark veränderten Schamlippen chirurgisch eingreifen kann. Von betroffenen Frauen bekommt man häufig das Feedback, dass dadurch sich in deren Sexualleben vieles zum Besseren wandelt. Es ist ein Standardeingriff, der vom Risiko überschaubar ist bezüglich der Komplikationsraten, und einen hohen Benefit im Selbstwertgefühl der Frau hinterlässt. Das ist es auch für die Partnerschaft nur positiv.
Manche machen sich ja schon Schönheitsoperationen zum Geschenk.
Zu mir kommen doch Damen, die sagen, wissen Sie, in drei Monaten heirate ich. Also es ist durchaus etwas, was sich mittlerweile so entwickelt.
Wo nehmen Sie Ihre Ressourcen her, Ihre Kraft für die Arbeit?
Man muss immer seine Auszeit finden. Für mich kommt die Kraft auch von den vielen Reisen, die ich mache, ob privat oder zu einer Ausbildung in ein anderes Land, wo ich dann arbeite. Gerade da kommt so viel positives Feedback zurück, dass das einen pusht und aufbaut. Dazu mache ich Sport und beschäftige mich mit Kunst. Kickboxen hatte ich betrieben und habe einen Sandsack zu Hause, an dem ich mich quasi austoben kann.
Was würden Sie Paaren raten, um Ihre Liebe, ihr Liebesleben zu erhalten?
Mein Tipp ist einfach, den anderen zu überraschen. Nicht unbedingt mit materiellen Geschenken. Ein materielles Geschenk ist meist nur ein kurzfristiger Moment. Man nimmt es an; man freut sich; das war's. Vielleicht freut man auch länger, wenn man was wirklich Tolles bekommen hat. Aber ich glaube, es geht vielmehr um gemeinsame Erlebnisse. Das wirkt weitaus nachhaltiger, wenn man sich kreative Events ausklügelt, wie beispielsweise Überraschungen im Reisebereich, in der Zweisamkeit. Natürlich, wenn es dann dort noch ein Geschenk gibt, umso besser. (lächelt)
Das sind die Momente und Zeiten, die man miteinander verbringt. Das macht eigentlich mehr aus. Man muss immer für Überraschungen sorgen und sollte fröhlich sein und humorvoll. Also sich eine gewisse Leichtigkeit erhalten und vor allem auch die andere Person gut genug kennen, um zu wissen, womit man sie angenehm überrascht.
Steckbrief
Thomas Rappl
Thomas Rappl ist seit 2004 Oberarzt an der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie an der Medizinischen Universität Graz. Er hat Diplome in Sportmedizin und Notfallmedizin sowie das staatliche Trainerdiplom in Kickboxen. Er ist Vortragender und Ausbildner für internationale Aus- und Weiterbildungen im Bereich Plastische & Ästhetische Chirurgie und Key-Opinion-Leader für internationale Firmen im Bereich der Ästhetischen Chirurgie.


