Ärztinnen, Gynäkologinnen und Psychotherapeuten zögern vielfach noch immer bei der Frage nach dem Liebesleben. Ist das denn zu indiskret? Dabei kann Sex nachweislich das ganze Leben auf den Kopf stellen.
Sigrid erzählt, nach ihrer Scheidung zunächst nicht viel an Sex gefunden zu haben. Aber dann: Kurt kam, schlief mit ihr und überzeugte. Zunächst war er ihr ungefährlich, fast langweilig erschienen. Nie hätte sie das für möglich gehalten, ihm buchstäblich zu „erliegen“: Seit dem ersten Mal sei alles anders. Sigrid möchte verstehen, was passiert ist. Der Sex mit diesem Mann hat ihre Wahrnehmung verändert: Was aber weder an seiner Liebestechnik noch an seinem Äußeren liegt.
Hier die wichtigsten Erklärungen für „Life Changing Sex“ – Sex, der so erfüllend ist, dass er das Leben verändert.
Intensität der Gefühle
„Life Changing Sex“ geht über oberflächliche Berührungen und ein klischeehaftes Beischlafszenario hinaus. „Das habe ich noch nie empfunden“, „Ich werde das nie vergessen“, „Es war so schön“, sind typische Qualitätsurteile der Superlative. Somit zeichnet sich solch ein Sexerlebnis durch Exklusivität aus und steht als unvergleichlich da, ist gefühlt nie dagewesen, nicht zu toppen.
Biochemische Prozesse
Vor allem das Bindungshormon Oxytocin erzeugt ein Gefühl tiefer Vertrautheit, das erst mit großer Nähe und Verschmelzung offenbar wird. Profan gesagt, „matcht“ sich das Immunsystem der Liebenden, wodurch eben aus Sex im Nu Liebe wird – und damit einhergehend Dopamin bedingte Glücksgefühle und Stressabbau förmlich überschwappen. Wonach man auch sehr schnell süchtig werden kann.
Idealisierung
Nachdem die Pheromone stimmen und jeder Handgriff buchstäblich sitzt, eins zum anderen führt, wird die totale Hingabe möglich. Wie in Sigrids Fall setzt eine Idealisierung ein und löst ihr zunächst kritisch-differenziertes Screening ihres Gegenübers ab. Nach dem Sex erscheint Kurt ihr wie verwandelt. Schier unbemerkt hat Sigrid die Idealisierungsbrille auf- und die Coolnessbrille abgesetzt.
Verdeckte Sehnsucht
Wenn Sex zum lebensverändernden Ereignis wird, müssen schon, wenngleich nur insgeheim, bestimmte Voraussetzungen bestehen. Bei Sigrid war es eine längere Durststrecke ihres Beziehungslebens. Sie hatte ihre Wünsche nach Nähe und Verschmelzung vor sich und ihrer Umgebung so gekonnt versteckt, dass sie selbst vollkommen überwältigt war von dem emotionalen Dammbruch, der durch Kurt ausgelöst wurde. Folglich liegt nur die halbe Miete bei Kurts Leidenschaft.
Fazit: Der richtige Anstoß im richtigen Moment
Sex, der das Leben verändert, wird als spirituelle Erfahrung wahrgenommen, als transzendentales Überschreiten von Grenzen, als Befreiungsakt und Unsterblichkeitserfahrung. Positive Auswirkungen, nicht nur auf das Liebesleben, sondern auf das Selbstwertgefühl und das Stressmanagement sind zu erwarten.
Im schlimmsten Fall entsteht daraus ein Machtgefälle aus Abhängigkeit, Unterwerfung und Missbrauch. Aber eins ist dieser Sex bestimmt nicht: Die perfekte Liebestechnologie; sondern eher, wie beim Golf, der richtige Anstoß im richtigen Moment. Wobei dieser Vergleich hinkt, aber Ihnen hoffentlich ein Grinsen auf die Lippen zaubert. Darum lächeln Sie über sich selbst, wenn Sie mal aus der Routine ausbrechen und Gefühle Sie umhauen. Nur entspannte Menschen können glücklich lieben.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/2025 erschienen.




