Er war ein Unentrinnbarer, dessen Abwesenheit man sich nicht einmal vorstellen wollte. Harald Serafin ist gestorben, ein Kunstwerk seiner selbst, nicht festzulegen und in jedem seiner Leben ein riesiger Erfolg
Ein Jahr und ganz wenige Tage ist das her, da haben wir – Kulturjournalisten hiesiger und deutscher Medien – den nur durch sich selbst definierbaren Harald Serafin mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis geehrt. In der Volksoper war das, und die Disziplin konnte keine andere als die des Lebenswerks sein. Denn wo wollte man diesen Unentrinnbaren, Unvermeidlichen, dessen Abwesenheit sich gleichwohl niemand vorstellen wollte, einzuordnen wagen?
Ein weiteres Jahr zuvor hatten wir, nach mehreren Legenden in Bestverfassung, einen ebenfalls Universalgenialen, aber doch weit Festlegbareren ausgezeichnet. Otto Schenk war das, der seine letzten Kräfte für das Furioso einer Dankesrede sammelte.
Harald Serafin saß im Publikum, und wenig später kam mit erstaunlicher Dringlichkeit und Unverblümtheit das Aviso aus seinem engeren Kreis: Sollten wir ins Auge fassen, auch ihn zu ehren, so wäre er nicht abgeneigt. Aber Beeilung sei angezeigt. Er stand lang und mehrfach eingehegt auf unserer Liste, aber als ich ihn dann zur Vorbereitung der Zeremonie traf, blieb keine Frage mehr, in welchem Ausmaß die Zeit drängte.
Der verdammte Tumor
Der Tumor, der sich vor 30 Jahren auf einem Stimmbandknoten niedergelassen und der Gesangskarriere ein Ende gesetzt hatte, sei nur schlafen gegangen, sagte er. Erst kürzlich sei er wieder aufgewacht, habe den Standort gewechselt und arbeite sich nun den Rücken hinauf, deshalb der gebückte Gang. Mit 92 sei man da nicht mehr zur Panik verpflichtet, fuhr er fort, meine Betretenheit genießend.
Vier, fünf gute Jahre dürfe man bei entsprechender Medikation schon erwarten, und man habe sich ja auch über nichts zu beschweren. Hell sei das Leben geworden, sagte er und nannte als Lichtquelle seine dritte Ehefrau, die ihn nach zwei Narben verursachenden Fehlversuchen das Glück gelehrt habe.
Franz Vranitzky war es, der ihm, einer über Nacht aus der Karriere geworfenen Weltautorität in Operettenbelangen, den Weg aus der Berufsdepression zeigte: Die bankrotten Festspiele von Mörbisch hätten noch eine Chance verdient. Der Spezialist möge sich bewerben.
Serafin bewarb sich und sein erblühendes Reich wie von einer tarantelgroßen österreichisch-ungarischen Süßwassergelse gestochen. Mörbisch wurde riesig, zuletzt zu riesig für die sich dem Lärm verpflichtenden Zeiten. Da begab sich der vom Erfolg Müde, der als neunjähriger litauischer Flüchtlingsbub eine lange Odyssee angetreten hatte, in ein neues Fach, das man im Englischen „as himself“ nennt. Der läppische Anlass eines Jurorenpostens bei „Dancing Stars“ entrückte ihn in abstrakte Höhen der Geliebtheit. Mein Mitgefühl gilt seiner Frau, seiner Tochter und seinem Sohn, die beeindruckende Wege als Sängerin und Intendant genommen haben.
Und das war meine Laudatio, gerade ein Jahr ist es her.
Es gab einmal eine Zeit, da musste man, um berühmt zu sein, etwas können

Lieber Harald,
ein junger Mensch kann sich’s vermutlich gar nicht mehr vorstellen, aber es gab einmal eine Zeit, da musste man, um berühmt zu sein, etwas können. Das ist seit dem Ausbruch der sozialen Medien nicht mehr so, heute kann einer, der sich beim Zehennägelschneiden filmt, die 5000fache Abonnentenzahl von Anna Netrebko erreichen.
In den kleinen österreichischen Dimensionen gedacht, sichern sich Popularitätsnassauer die Seitenblicke-Präsenz: die notorischen Nebenerwerbsanwesenden, von denen sich jeder fragt, wer sie überhaupt hereingelassen hat. In dieser Zeit bist du ein Phänomen, ein Überlebender, die bald schon letzte Ausnahme. Wenn man mit dir ein Kaffeehaus betritt, frischt gleich so eine Glücksbrise auf, die kollektive Laune bessert sich sofort. Dann laufen die Kellner zusammen, und vom Ober bis zum Piccolo rufen alle wunderbar.
Vermutlich hätte schon dieses Vorzeit-Wunderbar genügt, um sämtliche Dancing-Stars-Staffeln vorher und nachher mit der Existenzberechtigung auszustatten.
Aber da waren ja noch ein paar Kleinigkeiten. Du warst eine erste, wirklich erste Adresse im Operettenfach, hast dich, aus Zürich kommend, in Wien gegen Eberhard Waechter und Peter Minich behauptet.
Dann hast du die mit Gerichtsfolgen heruntergewirtschafteten Seefestspiele von Mörbisch brachialsaniert. Du hast die Holzruine abgerissen und die Gelsenweide brutal niederbetoniert, ein erfolgreiches Beispiel von Denaturierung. Das hat dir der berühmte Antal Festetics empfohlen, als Biologen noch nicht auf der Straße gepickt sind.
Du hast dann 20 Jahre lang dem Weltkulturerbe Wiener Operette eine Metropole errichtet. Heute spielt man dort Musicals, und sollte ich darüber jetzt in Ovationen ausbrechen, soll bitte jemand die Rettung rufen, ich müsste mir über mich dann ernste Sorgen machen.
Lieber Harald, du bist ein Kunstwerk auf Haxen, die immer noch tragen, eine Erscheinung, ein Riesenkomödiant. Deine Pointen sind von einer Geschliffenheit, als wäre die goldene Zeit stehen geblieben, und trotzdem versteht sie jeder Trottel. Nur der mit den Zehennägeln nicht.
Und dir hier diesen Preis auszuhändigen, in deinem Haus, in dem die Operette immer noch ernstgenommen wird, auch wenn mancher sie nicht wiederzuerkennen glaubt: Das ist mir eine große, leuchtende, sentimentale Ehre.
Wir alle, die wir hier sitzen, haben dich nämlich unglaublich lieb.
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