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Alleine zu zweit: Die stille Zäsur des Elternseins

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©Unsplash / Gregoire Bertaud

Erst Lärm, dann Stille: Wenn die Kinder erwachsen werden, beginnt für viele Paare eine neue Phase. Zwischen Routinen, Zukunftsangst und stillem Lachen formt sich ein neues Miteinander.

Ruth sitzt vor einer Tasse Tee am Frühstückstisch: „Jetzt sind es zwei Monate, seit Alex ausgezogen ist.“

„Eine Woche und zwei Monate“, antwortet Robert. Er legt sein Telefon auf den Tisch.

„Niemand bittet mich, ihn schnell zur Uni zu bringen, weil er zu spät aufgestanden ist“, sagt Ruth.

„Und niemand bittet mich um mehr Taschengeld, um an Sonntagen, früh am Morgen, nach einer langen Nacht ein Taxi zu nehmen“, antwortet Robert.

„Nach 30 Jahren sind wir alleine, alle drei sind weg.“ Ruth nimmt einen Schluck Tee, „Brr, der ist schon kalt.“ Sie schiebt die Tasse weg.

Was bleibt uns

„Und? Was bleibt uns?“, fragt Robert. Er geht zum Kaffeeautomat, wählt einen Espresso.

„Das ist schon dein dritter Kaffee“, sagt Ruth. „Nein, der vierte“, sagt Robert und gießt etwas Milch in die Tasse.

Sie schweigen, dann sagte Ruth: „Sie brauchen uns nicht, ganz plötzlich, ohne uns zu warnen.“

„Ich bin doch noch da“, sagt Robert lachend, doch es klingt nicht heiter. „Du brauchst mich doch auch nicht“, sagt Ruth. Robert antwortet nicht.

„In ein paar Jahren sind wir in Pension, dann können wir endlich Tango ­lernen“, sagt Ruth.

„Darauf freue mich seit Jahren“, sagt Robert. Sie schauen beide aus dem Fenster vom Küchentisch aus in den sonnigen Herbst.

„Wir haben bald ein Enkelkind von unserer Tochter, vielleicht versuchst du es als Großmutter?“, sagt Robert.

„Ich bin zu alt als Mutter und zu jung als Großmutter“, antworte Ruth, „wie machen das Ehepaare, die keine Kinder haben?“

„Die waren nie jung und werden nie alt“, sagt Robert, sie lachen beide.

„Nach Dienstschluss im Krankenhaus hab ich Angst, nach Hause zu fahren, in diese große Wohnung, mit leeren Kinderzimmern, die auf Besuch warten“, sagt Ruth.

„Also was tun mit den nächsten Jahrzehnten?“, fragt Robert.

„Ich könnte wie meine Mutter leben, frühmorgens schwimmen, nachmittags Kaffee mit Freundinnen, drei Wochen Kur, zwei Wochen Cruise mit Vollpension, alles wiederholt sich immer wieder“, sagt Ruth.

Konzerte und Reisen

„Wir denken zu viel darüber“, sagt Robert, „Was uns bleiben wird, sind Konzerte, Restaurants, wandern und Reisen.“ „Das klingt nach Verzweiflung, unterbrechen wir die Langweile mit Aktivitäten, die uns langweilen?“, fragt Ruth. Sie lachen beide.

„Die Kinder zwischen uns waren wie ein Puffer.“ Robert trinkt den letzten Schluck aus der Tasse: „Jetzt prallen wir aufeinander und es macht uns hilflos.“ Zwei leere Teller stehen auf dem Tisch, auf dem sich Brotbrösel verteilen, zwei Tassen, die Butterschale, der eingewickelte Käse und das geschlossene Marmeladenglas.

„Ich muss gehen, sonst komm ich zu spät“, sagt Robert. Ruth steht auf und sagt: „Ich muss auch los.“

„Und? Was machen wir heute Abend?“, fragt Robert „Wir langweilen uns“, antwortet Ruth, geht auf Robert zu, nimmt seinen Kopf mit beiden Händen und sagt: „Langweile dich mit mir, ist doch besser, als sich alleine zu langweilen, und ich verspreche dir, niemand kann dich so langweilen wie ich.“ Robert lächelt und küsst sie.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2025 erschienen.

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