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Barbara Coudenhove-Kalergi: „Das ist doch kein Ausländer, das ist der Mustafa“

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©Bild: Matt Observe

Die Autoritäten, denen man sich in Zweifelsfällen anvertraut, sind rar geworden. Barbara Coudenhove-Kalergi, legendäre Publizistin und ORF-Größe, hat in ihrem 93. Jahr den klaren Blick über fast ein Jahrhundert. Im Jahresgespräch wendet sie sich gegen Kleinmut und das leichtfertige Verspielen der Zweiten Republik.

Frau Coudenhove-Kalergi, abgesehen vom eben lukrierten Innsbrucker Ehrendoktorat – konnten Sie dem Jahr 2025 noch etwas Positives abgewinnen?

Freilich! Alle bezeichnen die Regierung als furchtbar, weil sie keine Reformen zusammenbringt und nur dazu da ist, Kickl zu verhindern. Ich hingegen finde es wunderbar, dass es eine Mehrheit gibt, die eine Kanzlerschaft der FPÖ verhindern kann. Dazu brauche ich gar keinen falschen Doktor. Ich erinnere mich an eine Rede von Bundespräsident Van der Bellen: Der Kompromiss, nicht der faule, sondern der vernünftige, sei ein österreichisches Kulturgut. Das ist alles nicht sehr spektakulär, aber ein Positivum, das man dem Jahr abgewinnen kann.

Ich glaube, es ist das Prinzip „break the rule“, das ankommt.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Aber der FPÖ geht es quasi stündlich besser, nicht?

Ja, und man fragt sich, was weltweit, von Trump bis Kickl, die Attraktion der rechtspopulistischen Rechtsaußenkräfte ausmacht. Ich glaube, es ist das Prinzip „break the rule“, das ankommt. Man kann nicht einfach ein Land überfallen? Doch, Putin kann. Man kann nicht einfach eine Wahl nicht anerkennen? Trump kann, und das hat einen gewissen Reiz. So wie die schlimmen Kinder sich Sachen herausnehmen, die man eigentlich nicht darf. Und so können auch Leute, die ihre schlechten Eigenschaften sonst verbergen müssten, sagen: Der ist genauso wie ich. Man kann sozusagen seinen schlechten Instinkten freien Lauf lassen.

Das kann uns in Österreich auch blühen, nicht?

Nächstes Jahr haben wir keine Wahl, da kann sich vielleicht noch einiges ändern. Aber es ist ja tatsächlich so, dass es vielen Leuten schlecht geht. Und es ist menschlich, dass die der Regierung die Schuld geben und sich ein anderes System wünschen.

Wie schlecht geht es den Leuten denn tatsächlich?

Wir beide haben leicht reden, aber es gibt einfach viele Leute, die zu wenig Geld haben. Die Mindestsicherung liegt bei etwa 1.300 Euro, und die wären mit allen Gebühren, mit Heizung, Miete und so weiter schon weg, bevor ich noch eine einzige Semmel gekauft habe. Wenn man bedenkt, dass viele davon leben müssen, kann ich mir schon vorstellen, dass es viele Unzufriedene gibt. Der Wohlstand ist gut für die demokratische Mitte, schlechte Zeiten sind gut für die Ränder. Vor allem für den rechten.

Für meine Generation ist die Sozialpartnerschaft so ungefähr das Beste, was der Menschheit bisher eingefallen ist.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Würden Sie die AfD verbieten? Oder im Fall einer Radikalisierung gar die FPÖ?

Das ist nicht einmal in Betracht zu ziehen. Damit muss man leben, und wie, das ist eine der Aufgaben, die Gesellschaft und Politik lösen müssen, so gut sie können.

Aber wie sieht es denn mit den linken Gegenmodellen aus? Ist es tatsächlich naiv, Reiche besteuern zu wollen?

Für mich ist Wien so ein Modell. Nicht alles ist ideal, aber es gibt ein halbwegs funktionierendes Sozialsystem, und die Migration wird immer noch besser gemanagt als anderswo. Viel ist das nicht, aber wenn ich zum Beispiel nach Deutschland schaue, ist es immer noch relativ gut.

Jetzt ist aber durch den Fall Mahrers die Sozialpartnerschaft unter Druck geraten. Hat uns die nicht gut durch die Zeiten gebracht?

Ich bin uralt und aufgewachsen in einer Zeit, in der die Sozialpartnerschaft faktisch das Land regiert hat. Für meine Generation ist die Sozialpartnerschaft so ungefähr das Beste, was der Menschheit bisher eingefallen ist. Ungebremster Kapitalismus führt zu schrankenloser Ausbeutung und der real existierende Sozialismus führt zur Diktatur.

Und trotz der Kritik an der Kammer weiß wahrscheinlich jeder vernünftige Unternehmer, dass er gute Mitarbeiter braucht und die nur kriegt, wenn er sie halbwegs anständig bezahlt und halbwegs anständig behandelt. Dafür steht die Gewerkschaft. Andererseits will kein Arbeitnehmer, dass die Firma, in der er arbeitet, pleite geht. Also potenziell ist das eine Win-win-Situation. Und mir kommt die Aufregung über die Kammer ein bisschen übertrieben vor.

Ich möchte in keinem Kickl-Land leben.

Barbara Coudenhove-Kalergi
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 © Bild: Matt Observe

Das gezielte Destabilisieren der Regierung gefällt Ihnen also nicht?

Ich bin ja dafür, dass alte Leute den Mund halten und keine großen politischen Meinungen von sich geben. Aber ich kann mich an eine Zeit erinnern, wo man über Stagnation und Proporzwirtschaft und die lange Herrschaft von ÖVP und SPÖ geschimpft hat. Nun haben die NEOS und die Grünen sicher frischen Wind in das Ganze hineingebracht, auch ich habe oft Grün gewählt, aber sie sind doch letztlich etwas wie Luxusparteien. Die historischen Blöcke sind nun einmal weltweit Konservative und Sozialdemokraten, und das hat bei allen ihren Fehlern auch etwas für sich, weil man sich auskennt. Jetzt ist als dritter wichtiger Block die FPÖ dazugekommen, wobei es diese sozusagen naziaffine Strömung immer gegeben hat. Das gehört auch zu Österreich und ist die Realität.

Wäre es eine Katastrophe, wenn die FPÖ den Kanzler stellt?

Ich möchte in keinem Kickl-Land leben.

Wie sähe das denn aus?

Das Hauptthema ist die Zuwanderung. Ich habe selber Migrationshintergrund, für mich ist Österreich wie meine Familie ein einziges Mischmasch und besonders Wien ein Einwanderungsland und damit das Gegenteil von Provinzialität und Isolation, die Österreich immer drohen. Ich habe viele Jahre Migranten unterrichtet, Erwachsene und Kinder, und habe nicht ein einziges negatives Erlebnis gehabt. Ich habe eine Menge hervorragend brauchbarer Leute kennengelernt, die alle nichts lieber getan hätten als arbeiten.

Aber das durften sie nicht, sondern sie mussten in irgendwelchen Flüchtlingsquartieren herumhängen. Aber ich glaube, dass es hier trotz allem eine gewisse integrative Tradition gibt. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung pro Migranten, der von fern eine Gruppe von Wiener Parkarbeitern zugehört hat. Wir kamen ins Gespräch, und da sagten die: „In unsere Partie kommt jedenfalls kein Ausländer herein!“ Als wir sie darauf hingewiesen haben, dass einer von ihnen schokoladebraun war, kam die ganz empörte Antwort: „Das ist doch kein Ausländer, das ist der Mustafa!“ Das ist für mich ein bisschen Wien und hat etwas Tröstliches.

Besser hätte man den Stier bei den Hörnern gepackt und gesagt: Jawohl, wir sind eine Einwanderungsgesellschaft und sagen das auch.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Lassen Sie uns noch bei der Realität einer Kanzlerschaft Kickls bleiben. Wohin würde uns das führen?

Wir haben die Nazizeit erlebt, und es wird keine Massenmorde geben. Aber es wird sicher ungemütlicher werden und das Abschieben von Ausländern wird ein Hauptthema. In der Steiermark sieht man außerdem, dass es gegen freie Medien, Kunst und Kultur geht. Aber man muss nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Ich glaube schon, dass es immer noch eine funktionierende Zivilgesellschaft gibt.

Haben aber die Großparteien die existierenden Migrationsprobleme aus Feigheit und Bequemlichkeit nicht immer an die Ränder delegiert?

Freilich. Die SPÖ in Wien war in der Praxis nicht so schlecht, aber sie hat das Thema gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Besser hätte man den Stier bei den Hörnern gepackt und gesagt: Jawohl, wir sind eine Einwanderungsgesellschaft und sagen das auch.

Aber die dänischen Sozialdemokraten waren da rigider, nicht?

Ich sehe schon ein, dass nicht ganz Afrika, ganz Asien nach Europa kommen kann. Dass beim Grenzschutz etwas passieren muss, kann ich mir schon vorstellen. Aber ich finde es besorgniserregend, wie man mit den Leuten umgeht, die schon hier sind und zum Teil hier geboren wurden.

Dass ein Fünftel der Österreicher und ein Drittel der Wiener nicht wählen dürfen, ist ein Demokratiedefizit. Und ich habe einen guten Bekannten, einen Syrer, sehr erfolgreicher Typ, der hat den Verein „Syrische Österreicher“ gegründet. Der hat einen 20-jährigen Sohn, integrierter kann man nicht sein, erfolgreicher Student, Muttersprache Deutsch. Und der sagt: Nein ich bin kein syrischer Österreicher, ich bin ein Syrer. Weil er es einfach satt hat, sich fortwährend für seine Wurzeln, seine Religion entschuldigen zu müssen.

Im Koran steht, man muss die Gesetze des Landes beachten, in dem man lebt. Ich finde, das genügt. Wenn man mit dem Messer auf Ungläubige losgeht, wird man eingesperrt, klarer Fall. Aber die Kopftuchfrage wird sicher nicht nur zum Schutz armer Hascherln aufgeworfen. Unter dem Schah-Regime in Persien haben selbstbewusste Frauen sogar dafür demonstriert, das Kopftuch tragen zu dürfen.

Insel der Seligen, und wir schauen zu, wie die Völker aufeinanderschlagen, und sitzen friedlich beim Heurigen? Das ist wahrscheinlich zu Ende.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Die Zweite Republik mit der Neutralität wird allgemein als Auslaufmodell qualifiziert. Wie sehen Sie denn das?

Ich sehe nicht, dass sie in Auflösung ist. Österreich ist eines der reichsten und funktionierendsten Länder Europas. Wir sollten nicht so tun, als ob wir hier in der Hölle leben würden.

Aber die Neutralität wird infrage gestellt. Schützt sie uns noch?

Als Zeichen der Verbindung zwischen Osteuropa und dem kapitalistischen Westeuropa war sie in Stein gemeißelt, und für mich hat sie mit der Offenheit nach beiden Seiten zu tun. Aber wenn man unter ihr versteht, dass man nichts tun soll, um sich gegen russische Machtansprüche zu wappnen, ist das nicht gut. Ich kann schon verstehen, dass es den Leuten nicht recht ist, wenn jetzt jede Menge Geld in die Rüstung gesteckt wird, weil alles getan werden muss, um diese Gefahr zu bannen.

Gibt es denn die? Weshalb soll Putin ein Gelüst auf Österreich verspüren?

Der Rekurs auf die großen Zaren oder auch auf die Sowjetunion scheint im Denken mancher Russen schon eine Rolle zu spielen. Der Gedanke, dass Europa als Einheit, als Block zwischen Amerika und Russland mehr Selbstbewusstsein gewinnt, ist mir sympathisch. Wir können nicht nur auf unserem kleinen Österreich bestehen, sondern müssen auch so etwas wie einen europäischen Patriotismus, ein europäisches Selbstbewusstsein gewinnen.

Das soll auch in Österreich militärischer Art sein?

Das gehört auch dazu.

Soll sich Österreich denn deshalb der NATO anschließen?

Die NATO war bisher immer etwas, das mit Amerika zusammengehangen ist. Da hat sich offenbar was geändert. Und eine europäische Armee, die weder ein Anhängsel Russlands noch Amerikas ist, halte ich für wünschenswert. Dafür muss man auch Geld ausgeben. Und ehrlich gestanden waren mir Soldaten immer sympathischer als Pazifisten.

Weshalb denn das?

Wir haben uns bisher darauf verlassen, dass uns andere beschützen. Und wenn jetzt so langsam die Erkenntnis durchsickert, dass wir uns selber wehren müssen, kommt mir das einleuchtend vor.

Dass man uns in Ruhe lassen könnte so wie die Schweiz, ist Illusion?

Ferien von der Geschichte? Insel der Seligen, und wir schauen zu, wie die Völker aufeinanderschlagen, und sitzen friedlich beim Heurigen? Das ist wahrscheinlich zu Ende. Wenn Europa sich auf sich selber besinnt, beinhaltet das auch, dass man sich wehren kann.

Was passiert, wenn man die öffentlich-rechtlichen Medien und die Qualitätsmedien an den Rand schiebt, sieht man in Ungarn.

Barbara Coudenhove-Kalergi

Halten Sie einen Dritten Weltkrieg für vorstellbar?

Der wäre ein Atomkrieg, und weder die Russen noch die Amerikaner können sich wünschen, dass plötzlich der ganze Kontinent in die Luft fliegt. So weit kann ich nicht denken.

Wie betrachten Sie denn den wieder hochlodernden Antisemitismus?

Wenn ich aus Gaza wäre, würde ich auch die Israelis hassen. Mir kommt es übertrieben vor, wenn man Leute, die Sympathien für die Palästinenser äußern, als Antisemiten bezeichnet. Man kann es schrecklich finden, was den Leuten in Gaza passiert, ohne Israel das Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen.

Die meisten meiner jüdischen Bekannten wünschen sich einen palästinensischen Staat, der mit Israel zusammenarbeitet: Es ist ja Platz genug, also teilt euch das Land! Nur wollen das weder die Israelis noch die Palästinenser. Deshalb ist es leicht, gemütlich von Wien aus zu sagen, vertragts euch halt. Ich habe da kein Urteil zu sprechen.

Lassen Sie uns noch auf die Krise der traditionellen Medien kommen. Der ORF wird schwer attackiert, Kickl macht schon sein eigenes Fernsehen, und die gedruckten Medien waren auch schon gefragter, nicht?

Also ich bin uralt, lese gedruckte Zeitungen, was ja auch schon ein Auslaufmodell ist, und bin nicht auf den sozialen Medien. Das ist nichts, wozu ich etwas sagen kann, sondern es betrifft die Jungen, von denen ich höre, dass sie sich ausschließlich aus den sozialen Medien informieren und gedruckte Zeitungen und den ORF nicht mehr konsumieren.

Ich halte es immer noch für wichtig, die Meinungshoheit nicht irgendwelchen obskuren Influencern zu überlassen. Ich finde nach wie vor die Nachrichtensendungen und auch die Korrespondenten im ORF gut. Ich glaube auch, dass immer noch viele ­Leute ein Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Die Gebühren abzuschaffen, wäre eine ganz schlimme Sache.

Was passiert, wenn man die öffentlich-rechtlichen Medien und die Qualitätsmedien an den Rand schiebt, sieht man in Ungarn. Dann gibt man die öffentliche Meinung in die Hände von Leuten wie dem Elon Musk. Ich will mir gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn diese Säule der Demokratie fällt.

© Bild: Matt Observe

Steckbrief

Barbara Coudenhove-Kalergi

geboren
15.01.1932

Geboren am 15. Jänner 1932 in Prag, wuchs sie als deutschsprachige Bürgerin der Tschechoslowakei auf. Ihr Onkel Richard war Begründer der Paneuropa-Partei. 1945 floh die Familie vor dem sich anbahnenden Chaos nach Wien. Barbara, eines von vier Kindern, begann bei der Presse, wechselte zur Arbeiterzeitung und zum Profil. In den Siebzigerjahren prägte sie maßgeblich Gerd Bachers Osteuroparedaktion beim ORF, war Korrespondentin in Prag und heiratete den Reformkommunisten Franz Marek. Sie ist Mitbegründerin der Bürgerinitiative „Land der Menschen“ und lebt in Wien. Unter ihren zahlreichen Auszeichnungen ragen der Kreisky-Preis und das soeben verliehene Ehrendoktorat der Universität Innsbruck hervor.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 51+52/2025 erschienen.

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