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Koloniale Raubkunst: Die komplizierte Geschichte mit der Restitution

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Gedenkköpfe aus dem Palast des Oba von Benin. Sie zählen zu den prächtigsten Exponaten des Weltmuseums.

©Matt Observe

In europäischen Museen befinden sich Exponate, die in der Kolonialzeit geraubt wurden. Die Bereitschaft zur Restitution ist da, doch die Rückgabe an die Nachfahren der früheren Besitzer ist schwieriger als gedacht. In Österreich liegt ein entsprechendes Gesetz aus der schwarz-grünen Regierungszeit in der Schublade. Die Grünen wollen es nun endlich ins Parlament bringen.

Ein kleines Schwarz-Weiß-Foto in jenem Raum des Weltmuseums Wien, der dem Königreich Benin gewidmet ist. Es zeigt Ovonramwen, den Oba von Benin, der, in Ketten gelegt, ein Schiff der britischen Marine besteigt. 1897 hatten britische Truppen in einer „Strafexpedition“ das Königreich eingenommen und aus dem Palast die erlesensten Kunstschätze geraubt. Bald darauf landeten diese auf dem europäischen Kunstmarkt, in Museen und damit auch in Wien.

Als News vor bald fünf Jahren über die Benin-Bronzen berichtet, sagt der damalige Direktor des Museums, Christian Schicklgruber: „Das ist eindeutig koloniales Raubgut.“ Er hätte „kein Problem“, sie in ihre Herkunftsländer ziehen zu lassen. Die schwarz-grüne Bundesregierung hatte erstmals das Thema Restitution kolonialer Raubkunst im Programm, es gibt Geld für Provenienzforschung.

2025 hängt das Foto immer noch im Museum, und Besucherinnen und Besucher können die makellose Schönheit der hunderte Jahre alten Kunstwerke bestaunen. Doch die Diskussion, wie man mit ihnen umgehen soll, ist komplizierter geworden. „Oft werden vorschnell Schlüsse gezogen und man meint zu wissen, wohin die Reise gehen soll oder muss, ohne wirklich ausreichende Gespräche mit den beteiligten Personen bzw. deren Nachfahren geführt zu haben“, sagt Jonathan Fine. Er war nach Schicklgruber Direktor des Weltmuseums und ist heute Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, zu dessen Museumsverband das Weltmuseum gehört. Zudem war er Mitglied jenes Beirats, der für die schwarz-grüne Regierung einen „Handlungsrahmen zu Beständen österreichischer Bundesmuseen aus kolonialen Kontexten“ erarbeitet hat.

Fine hält fest: Nur ein Teil der Afrikasammlung des Museums aus Benin habe einen kolonialen Kontext aus dem 19. Jahrhundert. Es gibt ältere Elfenbeinarbeiten, die schon viel früher für die Habsburgische Kunstkammer erworben wurden, und es gibt Gegenstände, die durch Forschungen im 20. und 21. Jahrhundert ins Haus gekommen sind.

Es gibt auch Fälle – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht –, wo diese sagen: ,Nein, wir wollen gar nicht mit euch darüber sprechen, weil für uns ist das kein Problem.‘

Claudia Banz

Fehler der Vergangenheit

Fine und die aktuelle Direktorin des Weltmuseums, Claudia Banz, kritisieren, dass die Diskussion um die Benin-Bronen meist einseitig geführt wird. Fine: „Ich bin keiner, der sagt, der weiße Museumsmensch in Europa oder Nordamerika weiß ganz genau, was mit diesen Beständen passieren soll und braucht keine Diskussion mit Leuten aus den Herkunftsgesellschaften, um das zu bestimmen.“

Banz ergänzt: ­„Mittlerweile stehen die Benin-Bronzen summarisch für das Thema Restitution. Wenn man mit Akteurinnen und Akteuren aus anderen afrikanischen Ländern spricht, kritisieren die, dass anderes gar nicht wahrgenommen wird. Es gibt auch ganz andere Herkunftskontexte. Was ich mittlerweile gelernt habe: Jeder Fall ist anders und man muss jeden Fall einzeln in Bezug auf Provenienzforschung und Diskussion mit den Herkunftsgesellschaften betrachten. Es gibt auch Fälle – ob wir es wahrhaben wollen oder nicht –, wo diese sagen: ,Nein, wir wollen gar nicht mit euch darüber sprechen, weil für uns ist das kein Problem.‘“

Richtig Fahrt aufgenommen hat die Restitutionsdebatte 2017, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einer Rede vor Studierenden in Burkina Faso erklärt hatte, dass Raubgut zurückgegeben werden müsse. Für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ging es damals auch um den eigenen Ruf am afrikanischen Kontinent.

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Museum: In einem eigens errichteten Museum in Benin City sollen restituierte Kunst- und Kulturgüter ausgestellt werden. Bei der Eröffnung gab es Proteste.

 © Bild: Getty Images

Viele andere europäische Politiker und Museumsleiter wollten da nicht nachstehen, weswegen Fine kritisch anmerkt: „Der Großteil dieser Restitutionsdebatte ist von europäischen und nordamerikanischen Akteuren gesteuert. Ich erinnere mich an einen Fall aus einem Museum, das ein Objekt zurückgeben wollte. Doch der Nachfahre der damaligen Besitzer hätte viel lieber Unterstützung beim Aufbau einer Schule in seinem Dorf gehabt. Da ihm das Museum keine Schule verschaffen konnte, sollte er sein Objekt nehmen. Wenn Kolonialismus auch darin besteht, Menschen ihre Entscheidungshoheit zu nehmen, dann sollte man in der Rückgabediskussion nicht den Fehler machen, genau das wieder zu tun.“ Banz erklärt: „Es gibt auch viel Kritik an den Rückgabediskursen, denn es ist auch ein Diskurs der akademischen und institutionellen Eliten. Eine wenig inklusive Bubble-Diskussion, wenn es um Öffentlichkeit und demokratische Beteiligung geht.“

Das Problem bei diesen Restitutionsdebatten: Anders als etwa bei NS-Raubkunst, bei der man konkrete Nachfahren der damaligen Eigentümerinnen und Eigentümer suchen und finden kann, haben die Kunstobjekte aus Afrika eine andere Geschichte. Fine: „Oft geht es nicht um private Objekte, sondern um Objekte, die einer politischen Einheit – sei es ein Königtum, ein Dorf, eine Gesellschaft – gehört haben. Dazu kommt auch, dass in der Zwischenzeit Grenzen anders gezogen worden sind, als es vor 120 Jahren der Fall war. Dann steht man vor der Frage: Geht das Objekt jetzt an das Land X oder an das Land Y?“

An wen wird restituiert?

Im Fall von Benin gibt es zwar auch heute einen Oba, das Gebiet des früheren Königreichs liegt aber mittlerweile im Staat Nigeria. Dort wurde in den vergangenen Jahren mit Unterstützung mehrerer europäischer Länder ein Museum of West African Art errichtet, in dem die restituierten Objekte gezeigt werden sollen. Bei der Eröffnung vor wenigen Wochen kam es zu Protesten durch Anhänger des Oba, die ihn als rechtmäßigen Eigentümer sehen, während etwa Deutschland Bronzen an den Staat Nigeria übergeben hat.

Fine meint dazu: „Gerade im Fall der Benin-Bronzen sieht man: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto komplizierter wird die Geschichte. Bei der Frage, wem gehört was, gibt es sehr starke Meinungsunterschiede. In manchen Fällen hat das zu wirklich komplizierten und gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt.“ „Sehr viel bei diesen Prozessen wird letztendlich wieder durch die Kolonialisatoren und Kolonialisatorinnen definiert. Dabei werden in den Herkunftsländern bestimmte politische Debatten forciert, ohne dass man vorher gefragt hätte, ob sie das überhaupt wollen“, kritisiert Banz.

Die Debatte um koloniales Raubgut hat aber auch etwas bewirkt, meint die Direktorin: „Die Museen haben entscheidend dazu beigetragen, ab dem Ende der Nullerjahre die Aufmerksamkeit hinsichtlich des Themas Restitution im kolonialen Kontext anzuschieben. Das spricht für sie, auch wenn sie davor viel verschlafen haben. Es passiert auch sehr viel Provenienzforschung durch einzelne Forscherinnen und Forscher, die ein Objekt untersuchen wollen, ohne dass es ein groß angelegtes Projekt ist.“ Doch zuvor, so kritisiert Fine, „haben viele Museen in den letzten Jahrzehnten ihre Hausaufgaben nicht gemacht: die eigenen Sammlungen zu untersuchen, zu erforschen, ihre Geschichte zu kennen und offenzulegen.“

Österreich hat einiges dazuzulernen

Aber auch Österreich als Staat hat einiges dazuzulernen. Lange genug hat man sich hier in Fragen der Kolonialgeschichte in die Zuschauerposition begeben. Die Habsburger seien keine Kolonialmacht gewesen. Stimmt so nicht, schreibt der Beirat in seinen Empfehlungen. Die Habsburger-Monarchie sei auf vielfältige Weise am europäischen Kolonialprojekt beteiligt gewesen – über Handel, das Sammeln von Materialien für Schatzkammern und auch durch Sklaverei. Für kurze Zeit habe die Monarchie zudem die Nikobaren und Teile Mosambiks, Südost- und Ostasiens kolonisiert.

Doch wie steht es um die politische Restitutionsdebatte? Im Regierungsprogramm der aktuellen Koalition findet sich das Thema nicht mehr. Dass er dort unter Schwarz-Grün zu finden war, erklärt der damalige Kunstminister Werner Kogler damit, dass „globale Gerechtigkeit und Vergangenheitsaufarbeitung der grünen Tradition entsprechen“. Ein fast fertiger Gesetzesentwurf der früheren Regierung liegt allerdings seit dem Frühjahr 2024 in der Schublade. Kogler führt das unter anderem darauf zurück, dass in der damaligen Koalition nicht mehr viel Gemeinsames ging.

Das Außenministerium, das damals auf ÖVP-Seite das „Bundesgesetz über die Rückgabe von beweglichen Kulturgütern aus kolonialen Kontexten“ verhandelte, habe nicht mehr auf den Letztentwurf aus dem grünen Ministerium geantwortet, so Kogler, der aber auch inhaltlichen Diskussionsbedarf zugesteht, eben weil man am Beispiel Benin/Nigeria sehe, dass die Frage, wem was restituiert wird, nicht einfach zu beantworten ist. Die Grünen wollen aufgrund der News-Recherche den Entwurf des Kolonial-Rückgabegesetz jetzt jedenfalls ins Parlament bringen. „Dann sehen wir ja, wie die ÖVP und der Rest der Regierung dazu stehen.“ Als Oppositionspartei waren die NEOS noch mehrfach zu dem Thema aktiv.

Museen warten auf Gesetz

Wie dringend brauchen die Museen das Gesetz? Fine sagt: „Es wäre wünschenswert für die Museen zu wissen, wie sie handeln sollen. Nach welchen Kriterien sollen wir für den politischen Träger die Entscheidung vorbereiten, ob etwas zurückgegeben werden soll oder nicht. Wir Museen sind nur die Verwalter der Sammlungen, die der Republik gehören. Eine Entscheidung über Restitutionen muss die Politik treffen, wir können nur wissenschaftliche Empfehlungen geben.“ Zudem, meint Banz: „Um im internationalen Vergleich bestehen zu können, fände ich es extrem wichtig, dass die Republik Österreich ein solches Gesetz verabschiedet.“

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Restituiert: Das Francisco Carolinum in Oberösterreich hat in seinen Beständen menschliche Überreste aus einem Maorigrab entdeckt und zurückgegeben.

 © OÖ LKG / OTS

Dass auch ohne eigenes Bundesgesetz Rückgaben möglich sind, zeigt ein aktueller Fall aus Oberösterreich. Dort wurden im Bestand des Francisco Carolinum menschliche Überreste identifiziert, die der Forscher Andreas Reischek (1845-1902) Ende des 19. Jahrhunderts aus Maori-Gräbern in Neuseeland geplündert hatte. „Es ist unser klarer Auftrag, diese Überreste respektvoll und würdevoll an ihre Herkunftsgemeinschaft zurückzuführen“, meinte Museumschef Alfred Weidinger. Eine Ausstellung, die für 2027 geplant ist, solle „neue Perspektiven auf den Umgang mit kolonial belasteten Sammlungen eröffnen und den Dialog mit Herkunftsgesellschaften in den Mittelpunkt stellen“.

Doch wie oft gibt es eigentlich Anfragen aus Herkunftsländern, die koloniales Raubgut zurückhaben wollen? Fine, der das in früheren Jahren am Berliner ethnologischen Museum öfter erlebt hat: „Es kommen erstaunlich wenige Anfragen aus Herkunftsländern. In Wien zumindest nicht.“

Das Ende der Geschichte ist das freilich nicht.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2025 erschienen.

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