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Wie Angst beginnt (und endet)

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©Gettyimages

Rund 16 Prozent aller Österreicher leiden an einer behandlungsbedürftigen Angststörung, mehr als 40 Prozent erleben zumindest einmal im Leben eine Panikattacke. Besonders betroffen sind junge Erwachsene, Teenager und Frauen: Angst entwickelt sich zunehmend zur Volkskrankheit. Neurobiologe Marcus Täuber erklärt, wo Angst entsteht, weshalb sie nicht ausschließlich negativ ist und wie Betroffene mit ihr umgehen können.

Migräneartige Kopfschmerzen, Allergien, gereizter Darm, Schlafprobleme oder anhaltendes Grübeln: Angst zeigt sich in vielen körperlichen und psychischen Facetten, oft ohne sofort erkennbaren Zusammenhang. Dabei sind die Auswirkungen von Angst weitreichend – und in manchen Fällen sogar lebensbedrohlich.

Der Neurobiologe Marcus Täuber hat seine jüngsten Beobachtungen in einem Buch zusammengeführt. „Ich merke in der Coachingpraxis, dass sich hinter vielen Lebensthemen letztlich Ängste verbergen: Schüchternheit, Prüfungsstress, Entscheidungsschwäche, das nagende Gefühl, nicht gut genug zu sein. Die Angst ist immer und überall. Gerade jetzt, in einer Zeit der großen globalen Umbrüche, spüre ich, wie sehr Menschen nach Werkzeugen suchen, um aus unangenehmen Gefühlen herauszutreten. Das war für mich der Moment, diesem Thema ein eigenes Buch zu widmen.“

Gute Angst, schlechte Angst

Angst gilt als unser inneres Alarmsystem, das uns primär vor Gefahr schützen will. Doch manchmal entgleist sie. Ein genauer Blick auf das meist unangenehme Gefühl lohnt sich, um es besser verstehen zu können. „Es gibt die gute Angst – sie lässt uns zur Darmspiegelung gehen. Es gibt die neutrale Angst: Sie lässt uns einen Eckplatz im Café suchen. Und es gibt die schlechte Angst.“ Diese äußert sich dem Forscher zufolge häufig in Form von Hyperkortisolismus, einem pathologisch erhöhten Cortisolspiegel im Blut.

Angst ist nicht nur ein Gefühl. Sie ist ein physiologischer Prozess, der den ganzen Organismus betrifft

Marcus Täuber

„Wenn das Stresshormon Cortisol dauerhaft erhöht ist, steigt das Entzündungsgeschehen im Körper, das Immunsystem gerät ins Wanken. Das Risiko für Erkrankungen wie Depressionen, Reizdarm, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Demenz und sogar Krebs kann dadurch steigen“, erklärt der Forscher. „Chronisch erhöhtes Cortisol beeinflusst Entzündungen, Immunsystem, Hormone, Muskelspannung und die Art, wie das Gehirn Stress verarbeitet. Angst ist nicht nur ein Gefühl. Sie ist ein physiologischer Prozess, der den ganzen Organismus betrifft.“

Neben körperlichen Auswirkungen führt Angst häufig zu Einschränkungen im Alltag. Betroffene vermeiden Reisen, Präsentationen oder soziale Situationen, oft leiden die Beziehungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Amygdala, jene Hirnregion, die für die Entstehung und Verarbeitung von Angstreaktionen zuständig ist. Neurobiologisch betrachtet läuft dieses Bewertungszentrum unter großer Angst gewissermaßen „heiß“. Täuber bezeichnet diese Gehirnregion deshalb als „Alarmanlage“.

Kurzzeitiger Stress kann zwar hilfreich sein – zum Beispiel dann, wenn man den Bus erwischen oder eine Deadline einhalten muss –, gesundheitsschädlich wird er jedoch, wenn er chronisch wird. Genau das beobachtet Täuber leider zunehmend. „Krieg, Klima, Teuerung: Unser Gehirn wird überreizt, und tut sich schwer, diese Flut an möglichen Bedrohungen zu verarbeiten“, erklärt er. „Die Amygdala, unsere innere Alarmanlage, feuert übermäßig. Der präfrontale Cortex – speziell der Bereich oberhalb der Augen – sendet zu viele ‚Was wäre, wenn …‘-Gedanken.“ Eine Sorgenschleife entsteht.

Pause vom Stress

Soziale Medien befeuern solche Angstspiralen in vielen Köpfen. Vor allem junge Menschen sind, seit dem Aufkommen von Social Media, übermäßig von Angsterkrankungen betroffen. „Soziale ­Medien präsentieren ein Hochglanz-Ich, das mit der Realität wenig zu tun hat. Besonders junge Menschen entwickeln dadurch soziale Ängste.“

Genutzt werden diese Plattformen dennoch, auch wenn immer mehr Menschen sie als schädlich für ihre eigene psychische Gesundheit erachten. Täuber beobachtet ein paradoxes Muster: „Wir verstärken Angst, indem wir ihr nachgeben und uns immer stärker in der Komfortzone einrichten.“

Er warnt: „Viele Wege führen aus der Angst, aber keiner führt an ihr vorbei. Die Konfrontation ist der Schlüssel. Was man lassen sollte: Ständiges Vermeiden, Doomscrolling, Selbstvergleiche und Überarbeitung. All das ist Benzin fürs Angstfeuer.“

Auswege aus der Angst

Der Neurobiologe hält allerdings wenig davon, gesellschaftliche Krisen allein für steigende Angstwerte verantwortlich zu machen. „Angst entsteht nicht durch Krisen. Krisen sind der äußere Rahmen, der Angst begünstigt, wenn wir unsere Psyche nicht darauf vorbereiten. Die eigentliche Angst entsteht im Kopf – und genau dort können wir auch ihre destruktiven Seiten beenden.“

Genetische Faktoren spielen bei der Entstehung von Angststörungen zwar eine Rolle, aber keine alleinige. Je nach Störungsbild liege der Einfluss der individuellen Genetik zwischen 30 bis 50 Prozent. „Dazu kommt das Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus, also die Tendenz, intensiver auf Stress zu reagieren. Aber Gene sind kein Schicksal, sondern ein Startpunkt.“

Der Neurobiologe plädiert für aktives Resilienztraining. Dafür hat er eigens eine Methode entwickelt, die unser Gehirn im wahrsten Sinne verändern soll: die „Brain-Changer-Methode“. „Unser psychisches Fundament entsteht aus den drei Säulen Genetik, Stresserfahrung und Glaubenssätzen. Und an zwei dieser Säulen können wir aktiv arbeiten.“ Die Methode kombiniert Tiefenfokus, emotionale Bilder und stärkende Suggestionen und ist im Buch ausführlich beschrieben.

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 © Goldegg

Resilienz durch Spiritualität?

Durch kontinuierliches Training können neuronale Verbindungen moduliert werden, erklärt Täuber. Diesen Prozess nennt die Neurowissenschaft Neuroplastizität. Bei Angststörungen werden häufig Medikamente oder Verhaltenstherapie empfohlen. Täuber sieht ihren Nutzen, aber auch Grenzen: „Durchaus wertvoll, aber oft konservativ und nicht für jede Form von Alltagsangst gedacht.“ Coaching setze stattdessen auf Achtsamkeitsübungen, Atemtechniken, Visualisierungen und Suggestionen.

„Ich favorisiere einen Methodenmix. Und etwas, was noch tiefer greift als schnelle Hacks: eine echte Veränderung der Denkmuster. Darum widme ich auch Philosophie und Spiritualität Raum. Sie bieten Perspektiven, die das Denken weiten.“ Der Neurobiologe möchte mit seinem Buch vor allem eins bewirken: „Mentale Stärke sollte so selbstverständlich trainiert werden wie körperliche Fitness.“ Er betont jedoch, dass mentale Techniken bei psychischen Erkrankungen nur in Absprache mit Fachpersonal Anwendung finden dürfen. Professionelle, persönliche Begleitung während einer Krise ersetzt selbst der beste Ratgeber nicht.

Angstforschung und KI

Der Zugang zu Therapie bleibt in Österreich vielerorts erschwert. Täuber sieht jedoch Entwicklungen, die Hoffnung machen. „Wir werden eine noch engere Verzahnung von Neurobiologie und Psychologie erleben, etwa maßgeschneiderte Angsttherapien, die auf individuellen Genprofilen und neuronalen Mustern basieren.“

Künstliche Intelligenz und andere digitale Hilfsmittel könnten bei der Bekämpfung von Angst eine zentrale Rolle spielen: „Durch Apps, Virtual Reality und KI stehen wir an der Schwelle zu einer therapeutischen Revolution. Interventionen werden präziser, persönlicher und alltagsnäher.“ Für Täuber ist aber klar: Die Prävention muss künftig stärker in den Fokus rücken. Nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch im Interesse des Gesundheitssystems.

Steckbrief

Marcus Täuber

Marcus Täuber ist promovierter Neurobiologe, Hochschuldozent, Autor und Leiter des Instituts für mentale Erfolgsstrategien (IFMES). Er erforscht, wie Denken Verhalten und Leistung prägt, und vermittelt wissenschaftliche Erkenntnisse für praktische Anwendungen im Alltag, im Beruf und darüber hinaus.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/2025 erschienen.

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