1724 wurde Margaret Dickson in Edinburgh wegen Kindsmordes gehängt. Stunden später erwachte sie im Sarg. Was zunächst wie ein Fehler des Henkers wirkte, wurde zu einem Präzedenzfall: Juristisch tot, lebte sie noch 40 Jahre weiter – und wurde zum Stoff für Balladen und Bücher.
Als mein Sohn in St. Andrews studierte, übernachtete ich oft in Edinburgh, wenn ich ihn besuchte. Ich mochte diese dunkle, kalte Stadt, die schwarzen Steine der Fassaden. An einem Abend saßen wir in Grassmarket, einer lebhaften Gegend von Edinburgh, in einem Pub mit dem Namen ‚Maggie Dickson‘. Auf der bebilderten Speisekarte mit ungenießbarem Haggis im Angebot, jedoch auch herrlichen Fish and Chips sowie einem Maggie-Sandwich stand die ungewöhnliche Geschichte der Maggie Dickson:
Verlassene Ehefrau
Vor mehr als 200 Jahren lebte die junge Maggie mit ihrem Ehemann, einem Fischer, in Musselburgh in der Nähe von Edinburgh, verkaufte Fische und Salz. Eines Nachts verschwand ihr Ehemann, kam nach einer Ausfahrt von der See nicht zurück oder desertierte, um dem Militärdienst zu entgehen. Die Gemeinde erklärte Maggie zur ‚verlassenen Ehefrau‘ – mit dem Verlust aller Unterstützungen.
Sie zog nach Kelso, wo sie in einer Schenke aushalf und ein Verhältnis mit dem Sohn des Wirts begann. Als sie schwanger wurde, versuchte sie, die Schwangerschaft zu verbergen – aus Angst vor dem Gesetz ‚Concealment of Pregnancy Act‘ von 1690, das die Schwangerschaft einer unverheirateten Frau zu einem schweren Verbrechen erklärte.


Das nach Maggie Dickson benannte Pub liegt direkt am Grassmarket, dem Alten Markplatz von Edinburgh.
© IMAGO / Jürgen SchwenkenbecherDas Kind verstarb nach einer Frühgeburt. Maggie legte den kleinen Körper am Ufer des Flusses Tweed ab, wurde verhaftet und wegen Kindesmord angeklagt. Trotz Beteuerung ihrer Unschuld kündigte das Gericht die Vollstreckung des Todesurteils für den 2. September 1724 an. Am Tag der Hinrichtung sammelten sich Tausende Schaulustige in Grassmarket.
Unter Gejohle wurde das Todesurteil durch den Strang vollstreckt, Maggie von einem Arzt für tot erklärt und in einem Sarg der Familie übergeben, die ihn nach Musselburgh bringen wollte. Während einer Rast in einer Straßenschenke hörten die Angehörigen ein Klopfen aus dem Sarg. Sie öffneten den verschlossenen Deckel, Maggie kroch aus dem Sarg und klagte über Halsschmerzen. Die begleitende Wachmannschaft brachte Maggie zurück nach Edinburgh. Die Menge jubelte ihr zu und verlangte eine Freilassung, nachdem sie kurz zuvor noch ihr Todesurteil gefeiert hatten.
Freispruch
Der Scharfrichter bestand auf eine Wiederholung der Hinrichtung, da das Urteil lautete: „To be hanged by the neck until dead“. Die Anwälte argumentierten, das Urteil sei vollstreckt worden, der Arzt hätte sie für tot erklärt. Lord Provost von Edinburgh entschied auf Freispruch, mit der Begründung, sie sei ‚legally dead‘ (juristisch sei sie tot).
Maggie heiratete den Besitzer einer Gaststätte und änderte den Namen auf ‚Maggie Dickson’s Pub‘. Angeblich zeigte sie den Gästen gerne ihre Narbe am Hals, die der Strick zurückließ. 40 Jahre nach ihrer Hinrichtung starb sie. Auf ihrem Grabstein steht: „Margaret Dickson, who was hanged in the Grassmarket 1724 and lived 40 years after.“
In dem berühmten Gedichtband ‚Quines‘ von Gerda Stevenson ist ihr mit ‚Hauf-Hingit Maggie‘ ein Gedicht gewidmet. In dem neuen Buch ‚The Mourning Necklace‘ beschreibt Kate Foster die Geschichte von Maggie Dickson.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2025 erschienen.







