Wer ist der Mann, der in der Gletscherlandschaft des Rettenbachferner Kunst in den Boden rammt? Im Ötztaler Skigebiet bei Sölden zeigt Alexander Maria Lohmann Kunst, die den Klimawandel sichtbar macht. Die Betonung liegt auf Kunst, denn der Tiroler versteht sich nicht als Umweltaktivist.
Fertig sind die sieben großformatigen Kunstwerke erst in einem Jahr. Wenn die Umwelteinflüsse auf den Bildern ihre Spuren hinterlassen haben, hat die Natur die Kunst vollendet. Alexander Maria Lohmann wartet gespannt, was zwölf Monate im eisigen Wind, im Schnee, Blitzschlägen und Sonne auf fast 3.000 Metern Seehöhe ausgesetzt, mit seinen überlebensgroßen Gemälden und 13 Menschensilhouetten aus Stahl anstellen werden. Dann sind sieben Unikate geschaffen, deren untere Hälften im Permafrostboden vergraben wurden.
Zwischen Schock und Schönheit
Sie tragen Namen wie „Mensch“, „Regenwald“ oder „Hitze – Heat Has No Mercy“ und thematisieren im Collagenstil Bevölkerungsstatistiken, Urwaldzerstörung oder weltweit zunehmende Brände. „Gletscherschmelze“ zeigt anhand von Diagrammen den gefährlichsten Kipppunkt unserer Zeit – mitten im nördlichen Teil der Gletscherskiarena. Überklebte Buchseiten berühmter Klimawerke werden im Werk zum Symbol für das Wissen, das wir längst haben, aber in unserem Handeln ignorieren.
Kunst kann sichtbar machen, was leicht übersehen wird. Das muss nicht mit erhobenem Zeigefinger sein
Das Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur beschäftigt den 53-jährigen Fotokünstler aus Obergurgl seit Langem. Mit dem aktuellen Zyklus „The End of Human Race“ erreicht es einen vorläufigen Höhepunkt. „Ich will niemanden belehren. Das ist gar nicht der Punkt“, sagt Lohmann. „Was ich zeige, sind längst bekannte Tatsachen. Kunst kann sichtbar machen, was leicht übersehen wird“, präzisiert er. Die Folgen von 1,1 Grad Celsius zu viel auf dieser Welt sind am Rettenbachgletscher abzulesen: 2022 verlor er 127 Meter an Länge. „So etwas muss man nicht mit erhobenem Zeigefinger thematisieren. Es darf auch so geil sein, dass es sich jemand gerne an die Wand hängt“, erklärt Lohmann.
Fotokunst und -collagen von abschmelzende Gletschern, blühendem Urwald und rauchenden Schloten durchzieht er mit Metallstücken, Spiegelglas, verkohlten Holzsplittern und Textil und schafft die Basis für ein Kaleidoskop an Gefühlen beim Betrachter. Weitblick will der Künstler erzeugen und Horizonte öffnen, auch wenn es – wie in einem Bild an der Uhr abzulesen – in seinen Augen längst für vieles zu spät ist. Hoffnung hat er dennoch. „Sonst hätte ich nicht einen einjährigen Sohn“, stellt Lohmann fest.


„Regenwald“ ist der Titel dieses Objekts. Halb im Boden versenkt wartet es auf die Witterungseinflüsse der nächsten Monate.
© Stefanie Maria LohmannEine Biografie voll tiefer Kerben
Seine Biografie prägt den Schöpfer der Galerie im Eis. Als gelernter Fotograf in vierter Generation arbeitete er zuerst im elterlichen Betrieb – Sportgeschäfte und Hotellerie – und war als Geschäftsführer für 80 Mitarbeitende verantwortlich. Dann brachten ihn grobe familiäre Unstimmigkeiten zurück zu seinen Wurzeln. Als Fotograf fing er bei „minus eins“, wie er sagt, neu an und versorgte gleichzeitig zwei Töchter, von denen eine mit einer seltenen Genkrankheit zur Welt kam.
Architekturfotografie für Hotels, zuerst beauftragt von fürsorglichen benachbarten Hoteliers, diente dem reinen Überleben. Dann sprach sich die Qualität seiner Arbeit über die Landesgrenzen hinaus herum, bis Aufträge von großen Hotelketten kamen. Er verlor seine Tochter, die im Alter von 16 Jahren an den Folgen ihrer Krankheit starb.
Karlheinz Böhm von der Stiftung „Menschen für Menschen“ wurde Lohmann zum Freund. Ein „sauteurer“ Onlinekurs über digitale Fotokunst veränderte sein Leben. Lohmann ging als Fotograf ins syrische Kriegsgebiet, nach Äthiopien und nach Südafrika und erntete Erlebnisse, die weitere tiefe Kerben in die Biografie des Tirolers aus Obergurgl schlugen. Von Kindesbeinen an hatte er immer weg aus der Heimat gewollt. Die Enge der Bäume, die hinter seinem Elternhaus zum Wald wurden, hatte er erdrückend empfunden. Auf seinen Reisen sah er später fast zu viel.


Kinder, wie Lohmanns einjähriger Sohn (o.), sind als Erben dieser Welt im Fokus der Kunst.
© Stefanie Maria LohmannCarpe diem als Leitspruch – erst recht
„Ich habe Dinge gesehen, die man nicht sehen will. Und das sehr oft“, sagt er unter anderem über die Zeit, als er in Aleppo seine Kamera-Speicherkarten in Socken, Schuhsohlen und Unterwäsche versteckte, um mit ihnen heil nach Hause zu kommen. „Ich habe wenig Empathie für Menschen und sehr viel Empathie für Tiere“, beschreibt er sich heute. Der Schock, als er in Südafrika ungewollt Zeuge der Schlachtung eines Rhinozeros wurde, sitzt tief: „Ich hab mich sofort übergeben. Diese Tiere sind so gut wie ausgestorben …“
Lohmann hat seitdem „so ziemlich alle“ Bücher und Dokumentationen über den Klimawandel konsumiert, die es gibt. „Es ist alles viel schlimmer gekommen als befürchtet. Es hat eine Woche gegeben, da hat es in 17 verschiedenen Ländern gebrannt. Aber das ist immer noch nicht genug. Es muss wahrscheinlich erst New York abfackeln, damit sich wirklich etwas ändert“, sagt er. Der Künstler hört sich dabei nicht ängstlich an. „Für mich macht diese Feststellung den Leitspruch ,carpe diem‘ nur noch wichtiger“, stellt er fest. Auf die Frage, ob er sich durch die Kunst angekommen fühle, verneint er: „Ich bin noch immer auf der Suche, aber die Kunst ist mein Weg, das ist klar.“
Eines seiner Bilder heißt „Künstliche Intelligenz“ und bildet den ambivalenten Blick in die Zukunft ab: die KI als größte Bedrohung der Menschheit und gleichzeitig als ihr größtes Potential zur Rettung.
The End of Human Race
Bis August 2026 sind am Rettenbachferner (Gletscher im Ötztal) sieben großformatige Werke, 2,5 bis 4,5 m groß und bis zu 300 kg schwer, sowie zehn menschliche Silhouetten teilweise im Boden versenkt. Die Ausstellung, die den Klimawandel thematisiert, entstand mit Unterstützung der Bergbahnen Sölden, des Ötztal Tourismus und der Baugesellschaft HTB. Nächste Projekte entstehen beim Burning Man Festival in Nevada und in der Wüste der VAE.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.