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Spitzentöne: Wenn Kulturpolitik verstimmt – und die Wiener Staatsoper den Ton hält

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Heinz Sichrovsky

©Bild: Matt Observe

Während Bablers Ministerium den Bedürftigen unter den Künstlern Unterstützung zusichert, streicht Wien die oft existenzentscheidende Weihnachtsbeihilfe. Der Großteil dieser Kolumne gehört allerdings der jubilierenden Staatsoper, die meinem Leben die Richtung gewiesen hat.

Jetzt wollte ich mich, von Ihnen verdienstvoll gemahnt, einmal volle zwei Seiten lang über das einzig Dafürstehende verbreiten. Und wieder grätscht mir die Politik dazwischen, gegen deren Relevanz jede Eintagsfliege ein Methusalem ist. Machte doch der hellwache Autorenvertreter Gerhard Ruiss eine Schändlichkeit öffentlich: Künstler aller Disziplinen wurden in diesen Tagen per Amtsschreiben der Stadt Wien von der Abschaffung der Weihnachtsbeihilfe in Kenntnis gesetzt. Mit diesen paar Hundert Euro wurden viele aus der verletzlichsten aller Berufsgruppen an der Schwelle zwischen Bedürftigkeit und Prekariat abgefangen.

Kontrastierend zu dieser Kundgebung städtischer Gefühlsarmut skizzierte mir namens des Kunstvizekanzlers Babler dessen Chefberater Scholten den Sanierungspfad des Bundes: „Wenn wir beginnen, Sozialzahlungen, Stipendien und dergleichen deutlich zu reduzieren, wäre das unserem Anspruch gegenüber eine Niederlage.“ So stelle ich mir in diesem Fall eine verantwortungsvolle Kulturpolitik vor (ich will sie nicht einmal mit der Platitüde „links“ dekorieren).

Ich glaubte ohnmächtig zu werden vor Glück und Aufregung über so viel Glanz

Kurz zuvor gab die Wiener Kulturstadträtin bekannt, alle müssten sparen, nur nicht die ihr freundschaftlich verbundenen Festwochen (Tage später dankte der Intendant mit einem Antisemitismus-Eklat). Auch hier verdient Scholtens Empfehlung Aufmerksamkeit: Die Festwochen sollten als Ausgleich für das Budgetprivileg gegenüber heimischen Institutionen „eine kompensatorische Haltung einnehmen“.

Wie wahr: Statt jeden aktionistischen Krawall zwischen St. Gallen und Timbuktu zu importieren, hätte man z. B. im Karl-Kraus-Jahr Paulus Mankers furiose „Letzte Tage der Menschheit“ zeigen können. Und was da noch alles an Können und Eigensinn verborgen ist! Man müsste sich nur aus der hippen Welterlöserattitüde in die betörende, verstörende Realität unserer freien Szene bemühen.

Liebeserklärung an die Staatsoper

So, und jetzt von den erstbesten bzw. allerletzten zu den letzten Dingen. Denen, die das Leben erhellen, womöglich verändern können. Die Wiener Staatsoper hat in diesen Tagen den 70. Jahrestag ihrer Wiedereröffnung gefeiert. Ich war damals (Verschweigen ist aussichtslos) ein knappes Jahr alt, aber schon 14 Jahre später wurde die Oper unübertrieben das Zentrum meiner Sehnsüchte und Hoffnungen.

Den 19. Jänner 1969, auf den Tag einen Monat nach meinem 14. Geburtstag, trage ich als Lebensschrittmacher im Herzen. Mein Schulkollege Georg Klee, heute Diplomingenieur, hatte mich im Foyer des Wasagymnasiums angesprochen: Ob ich nicht einmal das Stehparterre in der Oper ausprobieren wolle? Der Sonntag war eiskalt, als ich mich zu Mittag unter den kärntnerstraßenseitigen Arkaden in eine Schlange schrulliger, sich an den eigenen Fachdisputen berauschender Gestalten arrangierte. Das Warten wollte nicht enden.

Als ich um 17.30, eingeklemmt zwischen klaustrophobischen Eisenstangen, auf den Beginn der „Meistersinger“ wartete, war ich am Ende meiner Kräfte. Dann trat Horst Stein ans Pult der Philharmoniker. Und dann der C-Dur-Akkord des Vorspiels! Ich glaubte ohnmächtig zu werden vor Glück und Aufregung über so viel Glanz. Die Tränen liefen mir über die Wangen, und ich wusste: Wenn ich während der nächsten fünfeinhalb Stunden nicht kollabiere, gehe ich hier nie wieder weg.

Operngeschichten

Dass ich einem Stück Operngeschichte im Gewand einer Repertoireaufführung beiwohnte, unter dem kreuzbiederen Arrangement Paul Hagers, das habe ich erst Jahre später rekonstruiert: Wolfgang Windgassen, Theo Adam, Gundula Janowitz? Der einzige Mitwirkende, von dem ich gehört hatte, war der Tenor Kurt Equiluz in der Halbsatz-Partie des Bal­tha­sar Zorn (er besang eine Wienerliederplatte im Familieneigentum).

Aber dass ich nicht kollabiert bin: Das würde man heute im Sebastian-Kurz-Pidgin den „Gamechanger“ nennen. Ich habe auf dem Stehplatz mehr für den Beruf gelernt als in Jahren des Studiums. Als ich meine erste professionelle Kritik schrieb, konnte ich mich aus dem Fundus von 1.000 Vorstellungen bedienen (das war früher Voraussetzung, Karl Löbl, Franz Endler, der Jungspund Karlheinz Roschitz – keiner wäre ohne diese Art Ausbildung in Berufsnähe gelangt).

Auf dem Stehplatz habe ich meine erste Partnerin und meine Künstlervernarrtheit gefunden. Und der junge Redakteur Paul Flieder, später ein unterschätzter Opernregisseur, hat mich beim Anstellen gefragt, ob ich, Inhaber eines hyperaktiven Mundwerks, nicht einmal eine Glosse für die Arbeiterzeitung versuchen will.

Ermutigen Sie ihre Kinder, wenn es sie in die Netze der Kunst und der Geisteswissenschaft zieht

Seien wir selbstbewusst!

Fortan wollte ich nichts anderes als all das zusammen. Ich habe in der Schule nichts mehr gelernt und meine Eltern zu Tode geängstigt, weil ich dreimal die Woche um Mitternacht auf den finsteren Wilhelminenberg heimkehrte. Aber ohnmächtig wurde ich infolge Schlafmangels nur in der Lateinstunde.

Wozu diese doch arg eitlen Privatheiten? Erstens als Wiedergeburtstagsgruß an die Oper. Und zweitens, weil ich Sie bitte, Ihre Kinder, Ihre Enkel zu ermutigen, wenn es sie in die Netze der Kunst, der Philosophie, der Geisteswissenschaften zieht. Denn glauben Sie mir: So sicher sich die Millionen Computerprogrammierer, denen man nicht viel weniger als die Welt versprochen hat, in einer halben Generation wegprogrammiert haben werden – so sicher schafft der Blechtrottel keine „Meistersinger“.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/25 erschienen.

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