Es geht wieder los gegen den Dirigenten Teodor Currentzis. Weil ihm eine Kurie aus der Weltliga der Kunst das höchste österreichische Ehrenzeichen zugesprochen hat, betreiben Profi-Randalierer – sogenannte Click-Arretierer – wieder ihr Geschäft.
Um zu wissen, was ein Tschick-Arretierer ist, müssen Sie entweder Mundarthistoriker sein oder, wie ich, in fortgeschrittener Reife stehen. In meiner Kindheit habe ich diese beklagenswerten, oft obdachlosen Gestalten noch durch die Straßen wanken sehen: den Blick auf den Gehsteig geheftet, um sich ausrauchbarer Zigarren- und Zigarettenstummel zu versichern.
Zu Zeiten zusammenbrechender Sozialsysteme bin ich zuletzt schon wieder einigen begegnet (wobei sich die Begehrlichkeit heute eher auf Pfandflaschen richtet). Aber ein Derivat beginnt sich durchzusetzen, und ich kann ihm kein Mitgefühl entgegenbringen: Auch der Click-Arretierer steht am Rand seiner Gesellschaft, die man im weiteren Sinn journalistisch nennen kann. Er verdingt sich digital in undefinierbaren Berufen wie „Influencer“ und „Blogger“. Und wenn er es geschickt anstellt, erreicht er mit Videos, die ihn beim Zehennägelschneiden zeigen, ein Vielfaches der Abonnenten Anna Netrebkos.
Der Click-Arretierer muss zum Überleben ständig Skandale erfinden und Radau stiften
In halbwegs seriösen Branchenkreisen hingegen geht er ein riskantes Spiel ein: Weil er vom Aufruf seiner Hervorbringungen (vulgo: Click) lebt, muss er ständig Skandale erfinden und Radau stiften. Mancher hat sich auf diese Weise selbst aus der zivilisierten Gemeinschaft der Printmedien, Radio- und Fernsehstationen intrigiert. Man bestellt bei ihm immer weniger Gastkommentare, verpflichtet ihn zu immer weniger Moderationen. Umso verzweifelter ist er auf digitale Zugriffe angewiesen, weshalb er immer noch eins draufsetzen muss, was ihn andererseits noch weiter isoliert.
Sein Schicksal hängt daran, ob wir, die kundigen, der Kunst verpflichteten Fachjournalisten, ihn aus seiner Blase freilassen. Heißt: Seine Skandale detonieren im besten Fall wirkungslos unter einigen Tausend Zwangsempörten. Greift aber auch nur ein seriöses Medium eine seiner Geschichten auf, ist sie in der Welt, und kleinmütige Politiker und Kulturveranstalter geraten in Panik vor schädlicher Nachrede.
Currentzis und das Ehrenzeichen
Weshalb ich Ihnen das erzähle? Weil es wieder soweit ist. Die Causa könnte skurriler nicht sein. Der griechisch-russische Weltdirigent Teodor Currentzis soll mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst geehrt werden, der höchsten Kulturauszeichnung des Landes. Nur je 18 In- und Ausländern darf diese Ehre zuteilwerden. Nominiert werden sie von der Kurie, formiert aus den bereits Ausgezeichneten. Die Regierung unterzeichnet dann das entsprechende Dokument.
Babler ist dazu selbstverständlich entschlossen, denn wie wollte sich ein olitiker erdreisten, sein Urteil über das von 36 Weltautoritäten der Kunst zu stellen? Mein Kompliment geht dafür an ihn.
Die Inquisition arbeitet
Aber plötzlich regt sich Empörung in der Sache, die an der Öffentlichkeit sonst als Internum unter Höchstligisten vorübergegangen wäre. Ein auf Tumulte spezialisierter „Blogger“ belästigt mit inquisitorischen Fragebögen die Kurienmitglieder: wie sie denn einen Putin-Knecht hätten vorschlagen können, und warum? Gleichzeitig hat er es mit der Sache unglücklicherweise in ein seriöses Medium geschafft. Und schon geht es wieder los. So wie 2024, als ein solcher „Blogger“ die Wiener Festwochen mit ganz ähnlichen Anfragen- und Verlautbarungsbombardements in eine blamable Situation brachte.
Sie erinnern sich? Eine mit Anrufen drangsalierte ukrainische Dirigentin weigerte sich damals, mit dem bedeutenderen Kollegen Currentzis bei ein und demselben Festival aufzutreten. Doch statt ihr höflich für ihr gesellschaftliches Engagement zu danken und sie generös ohne Strafzahlung aus dem Vertrag freizugeben, wurde Currentzis mit einem deutschen (!) Orchester aus dem Programm geworfen (dafür durften sich im nämlichen Jahr tingelnde Antisemiten beim Festival produzieren, und die Situation ist seither nicht besser geworden).
Um nun die Rahmenbedingungen zu klären: Currentzis ist Gründer und Leiter des großartigen Chor-Orchesteruniversums MusicAeterna mit Sitz in St. Petersburg. Ihm ist nie ein freundliches Wort über Putin entkommen. Er hätte sich auch mit seiner Weltprominenz nur flügelschlagend zu einem westlichen Spitzenorchester davonmachen müssen, als Putin die Ukraine überfiel. Aber dann wären 200 meist junge Musiker aus 16 Nationen vor dem Nichts gestanden. Also hat er sich auf kluge Friedensappelle beschränkt und arbeitet teils in St. Petersburg, teils weltweit mit dem neu gegründeten, großartigen Utopia-Orchestra, dessen Entstehen der Freigeist Dietrich Mateschitz mit seiner Stiftung unterstützte.
Indikator für Duckmäusertum
Der Umgang mit Currentzis ist mittlerweile ein Indikator für vieles, vor allem, was Anfälligkeit für bzw. Resistenz gegen Duckmäusertum betrifft. Der Maestro, eine der wenigen herausragenden Erscheinungen inmitten einer bedrängenden Dirigentenkrise, bestreitet sogar mit seinem russischen Ensemble Tourneen durch Spanien und Italien. Mit dem Utopia Orchestra steht er jährlich im Mittelpunkt der Salzburger Festspiele, während ihn vormals enge Verbündete aus renommierten Wiener Konzerthäusern geworfen haben.
Was nun final die Click-Arretierer betrifft: Sie haben sich mit unüberblickbaren Zerstörungsoffensiven – gegen Anna Netrebko, Salzburgs Festspielintendanten Hinterhäuser, Opernchef Roscic, den Dirigenten Christian Thielemann und viele mehr – selbst in die Bredouille befördert. Dass ihnen ausgerechnet Currentzis heraushelfen soll, ist zu viel verlangt.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2025 erschienen.







