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Liebes Leben: „Herr Kaufmann, kann Liebe bedingungslos sein?“

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Paul Kaufmann

©Christine Wurnig

Sigmund Freud sprach von Übertragungsliebe. Salopp gesagt, übertragen wir Eigenschaften früherer – „so ähnlich auf uns wirkender“ Bezugspersonen – auf fremde Menschen. Und verlieben uns. Was die Liebe ist, besprach Monika Wogrolly mit Paul Kaufmann, einem Experten der Psyche.

Wie erklärt man jemandem, was in einer psychiatrischen Rehabilitationsklinik passiert?

Zu uns kommen Menschen eigentlich wie Sie und ich, die über viele Jahre eine Überlastung haben. Einerseits aus inneren Faktoren heraus, zum Beispiel mit Neigung zur Depression oder Angst, oder sie haben schwierigste Lebensumstände gehabt – oder auch von außen, wenn die Arbeitswelt oder das familiäre Umfeld aufgrund der Summe der Belastungen zu viel wird.

Was meinen Sie, wenn Sie von Selbstmitgefühl sprechen?

Diese Fähigkeit haben wir in unserer Kultur interessanterweise nicht so ausgeprägt, nämlich uns selbst mitfühlend gegenüberzutreten. Wir neigen eher dazu, wenn uns etwas passiert, wenn uns etwas nicht gelingt, uns dafür zu kritisieren. Aber es geht darum, sich selbst als Liebesobjekt wiederzuerkennen. Nicht nur den anderen, sondern sich selbst. Und es ist in Wirklichkeit sehr einfach, das wiederherzustellen: Allein dieses sich bewusst machen, ich bin auch mein eigenes Liebesobjekt.

Die bedingungslose Liebe ist eine Sehnsucht von uns allen. Und ich glaube aber, dass sie zugleich auch eines unserer größten Probleme heute ist

Paul Kaufmann

Ist die Liebe bedingungslos? Ist sie ein Deal? Gibt es sie nur auf Zeit? Was ist denn eigentlich Liebe?

Die bedingungslose Liebe ist eine Sehnsucht von uns allen. Und ich glaube aber, dass sie zugleich auch eines unserer größten Probleme heute ist. Ich habe manchmal den Eindruck, als würden wir auch als Erwachsene irgendwie glauben, dass wir ein Recht auf bedingungslose Liebe haben. Und vielleicht ist sogar, verzeihen Sie mir diesen Exkurs in die Religion, deswegen Gott erfunden worden oder vielleicht gibt es Gott deswegen, weil das so übermenschlich ist – bedingungslos zu lieben. Und ja, es wäre schön, wenn Liebe bedingungslos wäre. Ich glaube, wir Menschen lieben nicht bedingungslos. Wir leben mit Bedingungen und das ist auch in Ordnung so. Es ist auch in Ordnung, wenn wir es aushalten, dass unsere Bedingungen nicht immer erfüllt werden. Wenn wir es aushalten, dass der andere nicht genauso ist, wie wir uns das wünschen und der andere uns auch nicht genauso liebt, wie wir es gerne hätten. Ich glaube, es geht eher darum, Toleranz zu entwickeln für das, was nicht perfekt ist, auch in der Liebe, als unbedingt die bedingungslose Liebe zu suchen, die wir sicher nicht finden werden.

Was ist Verliebtheit?

Wir sehnen uns nach Verliebtheit, weil, ob man es jetzt Psychose nennen will oder nicht, es uns eine kurzfristige Illusion gibt, dass der andere nur gut ist. Das gibt es also doch! Der andere ist nur gut! Er ist die Erfüllung all meiner Träume. Und ich glaube wirklich, dass es neurologisch so funktioniert, dass wir den anderen Teil (den für uns schwierigen) in diesem Moment wirklich so ausblenden, als wäre er nicht existent. Ich nehme diesen Teil also nicht wahr. Ich nehme ihn wirklich so wahr, als wäre der andere so gut. Deswegen ist es ja für viele Menschen so frustrierend, wenn dann das Verliebtsein nachlässt, wenn dieser Hormoncocktail sich ein bisschen beruhigt, plötzlich sehe ich die anderen Seiten auch. Das auszuhalten, ist nicht leicht. Viele gehen dann sofort zur nächsten Verliebtheit. Man könnte auch sagen, es ist ein reifer Prozess, mit dem zu leben, dass ein anderer eben mehrere Seiten hat. Das heißt, wir konstruieren uns immer den anderen, wir konstruieren uns die Welt. Natürlich gibt es die Welt da draußen, aber sie wird immer durch die subjektive Brille wahrgenommen und diese Brillen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Video: Monika Wogrolly im Gespräch mit Paul Kaufmann

Wenn ich die ganze Zeit nur abgewertet wurde, dann vielleicht auch mich selbst abwerte, fühle ich mich schnell angegriffen. Ist das so gemeint?

Genau. So ist es gemeint. Oder wenn ich positive und stabile Beziehungserfahrungen sehr früh gemacht habe, vielleicht sogar in die Nähe von bedingungsloser Liebe oder sagen wir mal bedingungsärmerer Liebe, wenn ich wirklich vielfältig geliebt wurde, dann werde ich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit viel mehr Vertrauen in die Welt gehen, als wenn ich zum Beispiel meine ersten Beziehungspersonen nicht einschätzen konnte oder wenn die mal lieb waren oder mich das nächste Mal geschlagen haben oder nicht anwesend waren, dann werde ich logischerweise und nachvollziehbarerweise viel pessimistischer und misstrauischer in die Welt treten. Die Welt ist immer gleich. Aber ich erlebe sie anders.

Wie sind Sie eigentlich zu diesem Beruf gekommen?

Früher wollte ich Rockstar werden oder Legobauer. Aber dann kam es relativ rasch. Mich hat Sigmund Freud sehr früh fasziniert. Ich bin zufällig drüber gestolpert in der Phase, wo sich auch meine Sexualität entwickelt hat und ich habe ihn hochspannend gefunden, weil er mir das Gefühl gegeben hat, es ist alles normal. Insofern war Freud eine sehr wichtige Bezugsperson in meinem früheren Leben und auch später noch. Mich hat immer interessiert, warum Menschen so sind, wie sie sind. Ich war immer neugierig, warum Menschen Dinge so sagen und nicht anders, warum sie sich bei dem aufregen und beim anderen nicht. Dann haben mich psychologische Konzepte und vor allem auch am Anfang psychoanalytische Konzepte fasziniert und haben mir Antworten gegeben. Viele Antworten, die mir es ermöglicht haben, die Welt besser zu verstehen. So würde ich es am ehesten beschreiben.

Ich wüsste nicht, wie ich ohne psychologische Konzepte die Welt ausreichend gut für mich verstehen könnte. Psychotherapie ist ein Weg der Befreiung. Auch als Klinikchef versuche ich, Strukturen zu schaffen, wo Menschen sich möglichst ihrer Freiheit widmen können. Was will ich und was hemmt mich daran, meine Bedürfnisse zu leben, sind für mich die zentralen Lebensfragen. Deswegen habe ich den richtigen Beruf gefunden, weil mich diese Fragen interessieren und ich mich unendlich gern mit Menschen darüber austausche. Wenn ich ein Stück beitragen kann, Menschen an ihrer Wunscherfüllung oder Bedürfniserfüllung zu begleiten oder es ihnen zu ermöglichen, macht mich das glücklich.

Wenn ich nicht zufrieden mit mir bin und mich ungenügend fühle, brauche ich eine zehn Jahre lange Therapie oder muss ich fünfmal auf Reha gehen?

(Lacht) Ja, beides, 20 Jahre Psychotherapie und fünfmal auf Reha. Nein. Sich auf diesen Weg zu machen, nach seinen Bedürfnissen freier zu leben – zu lieben –, das würde ich jedem empfehlen. Ob dabei Psychotherapie oder Reha hilfreich sein kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ich glaube jedenfalls nicht, dass jeder Psychotherapie braucht und jeder Reha braucht. Aber sich auf diesen Weg zu machen: Wie schaffe ich mit meinen Widersprüchlichkeiten, mit meinen Ambivalenzen, teilweise mit meinem Selbsthass und damit genauso mit den Widersprüchlichkeiten der anderen, mit den Dingen, die ich an jemandem nicht mag, gut zu leben? Das zahlt sich in jedem Fall aus. Ich meine, was gibt es sonst Wichtigeres im Leben?

Gibt es einen Gedanken, der für Sie besonders prägend war?

Sigmund Freud dürfte – eher gegen Ende seines Lebens – mal in einem Interview gefragt worden sein: „Sagen Sie mal, Herr Professor Freud, was glauben Sie ist letztlich wirklich heilsam in der Psychoanalyse?“ Er hat ein bisschen nachgedacht und hat dann gesagt: „Ich glaube, es ist die Liebe.“

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2025 erschienen.

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