Alle lieben gebratene Gans, zumindest jetzt, in der Gansl-Hauptsaison rund um den Martini-Tag am 11. November. Die Schattenseiten des knusprigen Vogels werden meistens ausgeblendet.
Wenn ihm jemand vom „Gansl, das auf der Zunge zergeht“, vorschwärmt, hört Max Stiegl nicht mehr länger zu. Dabei ist der 45-jährige, im heutigen Slowenien geborene Meisterkoch ja sonst alles andere als schweigsam und um Worte verlegen, er gilt als der „goschertste“ Küchenchef des Landes.
Aber die weitverbreitete Erwartungshaltung, dass Gänsefleisch zart und weich sein solle, macht ihn einfach fertig. Denn „gute“ Gans kann nicht zart sein. Eine Gans kann in Wirklichkeit auch nicht fett sein, denn selbst domestiziert ist die Gans ein Vogel, der unterwegs sein will, der sich sein Futter auf der Wiese sucht.
Die Sache mit der Leber
Klar, man kann als Gans nicht alles haben, was man will, vor allem nicht in Ungarn, wo aktuell etwa zwei Drittel der in Österreich gebratenen Gänse herkommen. Ungarn und Bulgarien sind neben Frankreich die einzigen Länder der EU, in der das „Stopfen“ der Gänse noch erlaubt ist, also die Zwangsfütterung per Kunststoff- oder Metallrohr, über das den Gänsen mehrmals täglich Maisbrei in die Speiseröhre geschossen wird, um durch diese Behandlung eine ums Zehnfache vergrößerte Fettleber zu erzielen. Denn auch wenn diese Tierquälerei in den meisten Ländern längst verboten ist, gilt „Foie gras“ weltweit immer noch als Delikatesse. Und dass wochenlange Zwangsmast und Haltung in Schuhkarton-großen Käfigen nicht nur die Leber verfettet, sondern auch das Fleisch, liegt auf der Hand, so viel zum Thema „auf der Zunge zergehen“.
Warum das so wenig Menschen aufregt? Weil der Verzehr von Gänsefleisch in Österreich so überhaupt keine Rolle spielt, erklärt Dipl.-Ing. Martin Mayringer von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich, „im Gegensatz zum Huhn ist die Gans ein wirklich sehr, sehr kleiner Markt“.
Ein gutes Gansl, das auf der Zunge zergeht, gibt es nicht. Ein Gansl muss einen gewissen Biss haben, das muss man den Leuten aber immer und immer wieder erklären …
Heiß geliebt, selten gegessen
Das ist freilich schwer vorstellbar angesichts der aktuellen „Ganslwochen“, während der gefühlt jeder gastronomische Betrieb des Landes in irgendeiner Weise gebratene Gans mit Rotkraut offeriert. Aber tatsächlich liegt der heimische Pro-Kopf-Verbrauch von Gänsefleisch bei nur 0,15 Kilo. Die Statistik spricht in diesem Fall von „einem Gänsegericht pro Jahr“, nennen wir es den Martinigans-Effekt. Zum Vergleich: Vom Huhn verspeisen Österreicherin und Österreicher rund 22 Kilo jährlich, übrigens die einzige Gattung Fleisch, dessen Verbrauch in Österreich, aber auch weltweit kontinuierlich steigt.
Der Gänse-Markt ist so klein, dass es in ganz Europa aktuell nur zwei veritable Zuchtbetriebe gibt (einen in Frankreich, einen in Deutschland), also Unternehmen, in denen Gänse nicht nur „produziert“ werden, sondern wo gezielt auf Robustheit, Legeleistung, Muskulatur und was in der Tierhaltung sonst halt noch so zählt, gezüchtet wird. Alte Rassen gibt es zwar, erklärt Mayringer, etwa die monumentale Toulouser Gans, die westenglische Gans oder die schöne Celler Gans, aber die spielen anders als bei Mangalitza-Schwein, Waldviertler Blondvieh oder Sulmtaler Huhn marktwirtschaftlich überhaupt keine Rolle, „die sind eine Angelegenheit für Kleintierzüchter, die sich um den Erhalt dieser alten Rassen kümmern“. Welche Rasse das Gansl hat, ist zu Martini noch gleichgültiger als seine Herkunft.
Gänse-Paradies Österreich
Dabei sei Österreich als Gänse-Herkunftsland ein wirklich interessanter Faktor, erklärt Mayringer: Nicht nur sind Stopfmast und Lebendrupf (eine ebenfalls tierquälerische Methode der Daunengewinnung) hierzulande verboten, bei den heimischen Gänsehaltern handelt es sich auch um Kleinbetriebe mit durchschnittlich 250 Gänsen sowie eigenem Grünland. Die Luxus-Kategorie „Weidegans“ (siehe Kasten) erbringt mit jährlich 50.000 Tieren sogar einen gar nicht so kleinen Anteil der Produktion. Und immerhin, von einem Gänse-Selbstversorgungsgrad von sieben Prozent im Jahr 1992 stieg der Anteil österreichischer Gänse am Martini-Schmaus auf aktuell etwa 33 Prozent (oder sogar höher, da in Ungarn und Polen heuer wegen der Geflügelpest große Bestände ausfallen).
Der Weg zum Weich
Bleibt die Frage: Wie bekommt man auch die muskulöse, trainierte „gute“ Gans genießbar weich? Von der gerne angewendeten „Sous-vide-Methode“ hält Max Stiegl wenig, „die bringt das Gansl um, nimmt dem Fleisch jede Struktur“. Er lässt seine Weidegänse neun Tage abhängen, brät sie dann dreiviertel-fertig, löst sie vom Knochen, finalisiert sie à la minute und kombiniert sie mit Kirschkraut, Kastanienknödel, Purbacher Nashi und Majoran. Kann man machen.
Sous vide
Sous vide- oder Vakuum-Garung ist eine Zubereitungsmethode, die sich in den 70er-Jahren durchzusetzen begann: Das Gargut wird dabei in Kunststoffbeuteln vakuumiert und im Wasserbad bei niederer Temperatur zwischen 60° und 80° langsam gegart. Fleisch wird so gewissermaßen „butterweich“.


Luxus Weide
Sie kostet zwischen 19 und 25 € pro Kilo, damit etwa das Doppelte der Zuchtgans aus Ungarn, ist aber magerer. Schaut so ein Erfolgsmodell aus? Durchaus. Denn die 1992 gestartete und damals nur zögerlich angenommene Initiative der „Mühlviertler Weidegans“ fand inzwischen Nachahmer in ganz Österreich, 13 regionale Weidegans-Vereinigungen mit insgesamt 250 Mitgliedern züchten aktuell 50.000 Weidegänse pro Jahr. Das Besondere an diesem Geflügel: Schon in der zweiten Lebenswoche geht’s für die „Gössel“ (= Gänse-Küken) auf die Weide, wo sie frisches Grün fressen und sich vor allem viel bewegen. Das bedeutet zwar langsameres Wachstum und weniger Fett, aber halt eine unvergleichlich natürlichere Aufzucht als bei Massentierhaltung und Mastzucht.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 45/25 erschienen.







