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Die Renaissance von Beisl und Wirtshaus

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„Das Steindl“ in Wien Meidling

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Sind Sushi, Burger und Ramen wirklich schon wieder Schnee von gestern? Aktuell scheint dem Publikum der Sinn eher nach Resopaltisch, Holztäfelung, Beuschel und Krautfleisch zu stehen.

von Florian Holzer

Im kürzlich eröffneten Gasthaus „Zum Bretschneider“ aktuell einen Tisch zu bekommen, ist gar nicht so leicht. Dabei wird hier nicht der neueste, von Tiktok-Influencern gepushte Streetfood-Trend zelebriert, es gibt vielmehr Kalbszungensulz oder Altwiener Backfleisch. Also nicht gerade das, was man als „zeitgenössische Szene-Küche“ bezeichnen würde.

Allerdings sind es genau Gasthäuser wie dieses, die das Publikum in letzter Zeit besonders abzuholen scheinen. Beziehungsweise verbreiten sich die Geschichten solcher Gasthäuser gerade besonders schnell, werden von Medien gerne erzählt und von den Leuten begierig aufgenommen: Die alten Wirtsleute gehen in Pension, das alte Gasthaus mit dem historischen Inventar droht zu verschwinden, wie schon so viele verschwunden sind; dann kommt der beseelte Stammgast/Quereinsteiger, renoviert und haucht dem alten Gemäuer eine frische Seele ein.

Hier geht's zu den 10 besten Beisln in Wien.

Die Quereinsteiger kommen

Das war so im alten, düsteren Gasthaus Steindl, das vor einem Jahr von einer Gruppe um den Steuerberater Philipp Gaier „gerettet“ wurde, die es akribisch entrümpelten, renovierten, aufhellten und mit einer neuen Küche versahen, in der Heidi Mayerhofer neu interpretierte Gasthausküche vorlegt. Das war so im wunderbaren Gasthaus Reznicek, das in den vergangenen Jahren schon ein bisschen sehr mitgenommen wirkte und außer seinen Gansl-Wochen nicht mehr viel zu bieten hatte; Sommelier Simon Schubert und Küchenchef Julian Lechner – zuvor in den Michelin-besternten Häusern Mraz & Sohn sowie Aend beschäftigt – übernahmen, renovierten und bieten neben dem wahrscheinlich besten Cordon Bleu des Landes gebackene Wachteln und Käferbohnen-Hummus.

Im Fall des brösl waren es der Olympia-Segler Thomas Zajac und Freunde, die sich 2020 des alten Wohlmutstüberls im Stuwerviertel annahmen, den 102 Jahre alten Boden abschliffen, der Decke einen expressionistischen Anstrich verpassten und dort nun von Lorenz Wallmann moderne Bistro-Küche zubereiten lassen.

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Zum Bretschneider: Ein Auszug des Weinangebots

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Vielfalt der Stile, aber ein Spirit

Das Interessante an dieser Wirtshaus-Renaissance ist ja auch, dass die einzelnen Lokale bis auf die immer wieder sehr ähnliche Errettungsgeschichte und ein paar typisch gasthäusliche Stil-Ikonen in Form einer alten Schank, hölzernen Bänken und den typischen Raumtrennern (um den „unedlen“ Schankbereich zumindest symbolisch von den feineren Speiseräumen zu trennen) wenig gemeinsam haben.

Die einen kochen traditionelles Wirtshaus-Programm, zumeist freilich mit besseren Zutaten; andere, wie etwa der frühere Betriebsberater Wolfgang Zankl, der im zweiten Bildungsweg bei Mraz & Sohn kochen lernte und in seinem Pramerl & the Wolf ein elaboriertes Menü um 170 Euro vorlegt, setzen auf zeitgenössisches Fine Dining. Ninon-Theresia Roux und ihr Mann, der französische Küchenchef Nicolas Scandella, kochen in ihrem zauberhaft renovierten Léontine (das einst ein Beisl namens „Beim Hannes“ war) französisch-mediterrane Cuisine; der junge Till Wörner, ein früherer Steirereck-Koch, wagt es in seinem bezaubernden Gasthaus Rosi seit Ende 2024 sogar, das ebenfalls sehr gelungen renovierte Gasthaus mit moderner Gemüseküche zu beschicken.

Endlich wieder das „Echte“

Aber warum ist das so? Warum wollen diese Gastronomen lieber hundertjährige Gasthäuser erhalten anstatt in modernen Restaurants mit zeitgenössischem Design nach ihren persönlichen Vorstellungen zu arbeiten? Warum drängt sogar sehr junges Publikum plötzlich auf die engen, harten Holzbänke?

Bernd Anwander, Kulturveranstalter, Eventmanager und Autor des Standardwerks Beisln in Wien, meint, dass das auch an einer gewissen Übersättigung mit neuen Designs, neuen Moden zu tun haben könnte, „die Leute wollen endlich wieder ‚etwas Echtes‘“. Es könnte aber auch am Rauchverbot liegen, schätzt der Autor, nämlich dass die uralten Gasthäuser und Beisln „einfach nicht mehr so grauslich sind wie früher“, man ihre wohlige Gemütlichkeit jetzt viel besser erkennen könne. Der mit dem Rauchverbot unvermeidliche Niedergang des Beisls, wie von Pessimisten proklamiert, hätte sich dann gewissermaßen ins Gegenteil verkehrt, so Anwander.

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Zum Breitschneider

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Gekommen, um zu bleiben?

Wie lange diese Renaissance auch immer andauern mag – Lokale, die schon hundert Jahre lang wunderschön und gemütlich waren, verschwinden jedenfalls nicht mehr. Und man isst dort jetzt besser als je zuvor.

Die Kultschank

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/25 erschienen.

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