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Valencia: Auf der Suche nach dem Heiligen Gral

Aktualisiert
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König Alfons V. soll der Kathedrale den Heiligen Gral übergeben haben

©APA, dpa-tmn, Alexandra Frank

Ein unscheinbarer Kelch in der Kathedrale von Valencia soll jener sein, den Jesus beim letzten Abendmahl nutzte – davon ist nicht nur die Kirche überzeugt. Ab 30. Oktober feiert die Stadt erneut ein „Heiliges Jahr“. Zwischen Legende, Archäologie und Tourismus tauchen Besucher tief in die Geschichte eines der berühmtesten Reliquien der Christenheit ein.

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In Steinmauern und Torbögen leuchten geheimnisvolle Wegweiser auf. Sie führen einen mysteriösen Reiter durch mittelalterliche Gassen zur Kathedrale Valencias. Hier in der Stadt, die einst das Mittelmeer beherrschte, habe er endlich den Heiligen Gral gefunden, sagt der Reiter, der mit seiner braunen Jacke, Lederhut und Peitsche unweigerlich an Indiana Jones erinnert.

Im Hintergrund läuft epische Abenteuerfilmmusik. Was nach einem Hollywood-Trailer aussieht, ist ein Werbefilm von Valencias Fremdenverkehrsamt. Ein Werbegag? Oder befindet sich jener Kelch, mit dem Jesus das letzte Abendmahl feierte, wirklich in Valencia?

Der Vatikan scheint das zu glauben: 2015 gewährte Papst Franziskus der Kathedrale wegen der Geschichte um den Gral sogar das seltene Privileg, alle fünf Jahre ein „Heiliges Jahr“ zu feiern. Ab dem 30. Oktober ist es wieder soweit.

Der Heilige Kelch als Pfand

Die meisten verbinden die spanische Mittelmeermetropole mit weiten Sandstränden, futuristischer Architektur und Paella – aber nicht mit einem der legendärsten Schätze der Christenheit. „Dabei befindet er sich bereits seit 1437 in unserer Kathedrale“, versichert Vicente Pons. Der Leiter des Kathedralenarchivs schlägt ein mit Ziegenleder gebundenes Registerbuch aus jener Zeit auf.

Die lateinische Schrift bestätigt: König Alfons V. habe der Kathedrale mehrere Reliquien übergeben, unter denen sich auch der Heilige Kelch befand. „Es war ein Pfand für das Geld, das er sich von der Kirche für seine Kriege in Neapel lieh und nie zurückforderte.“ So lautet Pons' Erklärung.

Von Jerusalem über Rom nach Spanien

Der Legende nach brachte der Heilige Petrus den Kelch des letzten Abendmahls von Jerusalem nach Rom. Im 3. Jahrhundert beauftragte Papst Sixtus II. seinen Diakon Lorenzo, den Gral vor Kaiser Valerius in Sicherheit zu bringen. Lorenzo versteckte ihn in den nordspanischen Pyrenäen in Aragon.

Ab dem 11. Jahrhundert befand er sich dort nachweislich im Felsenkloster San Juan de la Peña, bis ihn die Mönche 1399 Aragons König Martin übergaben, dessen Nachfolger Alfons V. ihn 1424 nach Valencia an seinen Hof überführte.

Aber ist er der wirkliche Gral? Auch in England, Frankreich und anderen Ländern gab es Gralslegenden. „Aber alle wurden bereits aufgrund ihres Alters, der Herkunft oder Beschaffenheit als Kelch des Abendmahls ausgeschlossen – außer unserem in Valencia“, sagt Gralsforscherin Ana Mafé.

Eine Frage des Glaubens

Es war der renommierte Archäologe Antonio Beltrán, der 1983 als Erster herausfand, dass es sich tatsächlich um ein jüdisches Ritualgefäß aus Palästina aus der Zeit Jesu handelte. Ob er der Kelch des letzten Abendmahls sei, bleibe eine Frage des Glaubens, so Beltrán.

Ana Mafé hat keine Zweifel. „Ich konnte den Kelch von Valencia ikonographisch bis ins 4. Jahrhundert in römische Katakomben zurückverfolgen“, so die Kunsthistorikerin. Wie dem auch sei: In Valencia wird der Kelch seit Jahrhunderten verehrt.

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Das Museo de Bellas Artes in Valencia

 © IMAGO/imagebroker

Im Museo de Bellas Artes hängen Gralsabbildungen von Joan Ribalta und Juan de Juanes aus dem 16. Jahrhundert. Neben dem Museum befinden sich die Ruinen des ehemaligen Königspalastes, in dem der Gral über Jahre in der Schatzkammer lag.

Mittelalterliche Handelsmetropole

Auf den Spuren des Grals tauchen Besucher tief ins mittelalterliche Valencia ein, als die Stadt zu den wichtigsten Handelsmetropolen im Mittelmeer gehörte. Sie entdecken San Juan del Hospital, Valencias älteste, 1238 von Kreuzrittern gegründete Kirche. Auch die Iglesia de San Nicolás, die wegen ihrer prachtvollen Deckenmalereien Valencias „Sixtinische Kapelle“ genannt wird, spielt eine besondere Rolle für den Santo Cáliz, wie der Kelch auf Spanisch genannt wird: Ende des 15. Jahrhunderts förderten zwei Pfarrer dieser Gemeindekirche den Gralskult. Es waren Alfons und Rodrigo de Borja, die später zu Päpsten wurden.

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Die Iglesia de San Nicolás wird wegen ihrer prachtvollen Deckenmalereien Valencias „Sixtinische Kapelle“ genannt.

 © IMAGO / Depositphotos

„Populär machte den Kelch vor allem Erzbischof Juan de Ribera, der ihn im 16. Jahrhundert ins Zentrum des eucharistischen Kultes stellte“, erklärt Miguel Navarro, Direktor des von Ribera gegründeten Priesterseminars El Patriarca. Für das Refektorium, den Speisesaal, beauftragte Ribera den Renaissance-Meister Juan de Juanes mit dem imposanten Gemälde „Das letzte Abendmahl“, das Jesus im Kreis der Jünger zeigt. Vor ihnen auf dem Tisch ist der Kelch aus Valencias Kathedrale zu sehen.

Schlichte Schale aus Achatstein

Materiell betrachtet handelt es sich bei dem Kelch ursprünglich um eine schlichte Schale aus Achatstein. Goldschmied Antonio Piró zeigt, wie er in seiner Werkstatt heute auch für Kirchen detailgetreue Kopien des Kelchs anfertigt.

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Der Santo Cáliz

 © Imago/Album

„Die mit weißen Perlen und roten Edelsteinen versehene Goldfassung wurde erst im Mittelalter hinzugefügt“, sagt Álvaro de Almenar, Domherr der Kathedrale und offizieller „Hüter des Heiligen Kelchs“. So wurde der Gral aus Angst vor Plünderungen bis Anfang des 20. Jahrhunderts auch nur selten der Öffentlichkeit gezeigt.

Die Nazis und Indiana Jones

Auch die Nazis suchten nach dem Kelch – was der Hollywood-Film „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ 1989 aufgriff. Angetrieben von SS-Führer Heinrich Himmler vermuteten sie ihn aber am falschen Ort – weiter nördlich im Kloster von Montserrat bei Barcelona. „Kurz zuvor wäre der Kelch im spanischen Bürgerkrieg 1936 sogar fast zerstört worden, als republikanische Truppen die Kathedrale in Brand steckten“, erklärt Alicia Palazón von der Stiftung des Heiligen Kelchs.

Auf dem Weg zum neuen Gralspilgerzentrum Almudín, das in einem gigantischen mittelalterlichen Getreidespeicher in der Altstadt untergebracht ist, macht sie vor einem unscheinbaren Haus in der Avellanas-Straße Halt: „Wenige Stunden, bevor die Republikaner die Kathedrale zerstörten, versteckte der Domherr hier bei einer ihm bekannten Kirchgängerin den Kelch.“ Nach dem Bürgerkrieg wurde der Santo Cáliz 1939 zunächst in der architektonisch einzigartigen Seidenbörse aus dem 15. Jahrhundert aufbewahrt.

Letzte Station Catedral de Santa María de Valencia

Und wo endet die Suche nach dem Heiligen Kelch heute genau? In der kleinen Seitenkapelle der Catedral de Santa María de Valencia. Seit dem Wiederaufbau der Kathedrale leuchtet er dort in seinen bräunlichen Farben hinter dickem Panzerglas.

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Die Catedral de Santa María de Valencia

 © Fernando Pascullo / CC BY-SA 4.0

„Beim Gedanken, denselben Kelch zu halten, den Christus beim letzten Abendmahl seinen Jüngern reichte, werde ich zutiefst ehrfürchtig.“ Das sagt „Gralshüter“ Almenar und freut sich auf die Pilger, die massenhaft im „Heiligen Jahr“ erwartet werden.

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