Wolfgang Sobotka, der Präsident des Nationalrates als Feingeist fürs Grobe

Wolfgang Sobotka, der Vorsitzende des ÖVP-Untersuchungsausschusses und Präsident des Nationalrats, eckt verlässlich immer wieder bei den anderen Fraktionen an. Freunde und politische Kontrahenten schildern den Politiker aus dem schwarzen Machtzentrum Niederösterreich allerdings als Mann mit zwei Seiten: Er ist Machtmensch und Schöngeist.

von Wolfgang Sobotka © Bild: imago images/SEPA.Media

Steckbrief Wolfgang Sobotka

  • Name: Wolfgang Ernst Sobotka
  • Geboren am: 5. Januar 1956, Waidhofen an der Ybbs
  • Ausbildung: Studium der Geschichte an der Universität Wien, Dirigerdiplom der Anton-Bruckner-Privatuniversität, studierte Violoncello und Musikpädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
  • Beruf: ehemaliger AHS-Lehrer, Politiker, Präsident des Nationalrates (seit 20. Dezember 2017)
  • Familienstand: verheiratet in 2. Ehe mit Marlies Sobotka (seine erste Frau ist 1999 an Krebs verstorbenen)
  • Kinder: 6 eigene und 2 erheiratete Kinder

Einerseits. Andererseits. Er ist jener Mann, der als Vorsitzender des Ibiza- und nun des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses die Wogen hochgehen lässt, weil er dazwischengrätscht, wenn es für seine Partei ungemütlich wird. Er ist aber auch einer, dem politische Gegner Intellekt und Handschlagqualität attestieren.

Er ist jener Mann, den Ex-Bundeskanzler Christian Kern als "Abrissbirne" titulierte, weil er im Interesse des späteren ÖVP-Chefs und Kanzlers Sebastian Kurz die rot-schwarze Regierungsarbeit torpedierte, bis es 2017 zur Neuwahl kam. Er ist aber auch einer, der mit Hingabe -nachts mit Stirnlampe -sein Gärtchen in Waidhofen an der Ybbs pflegt und als zuständiger Landesrat in Niederösterreich viel Geld in eine Gartenschau steckte.

Er hat Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner zermürbt und damit den Boden für die türkis-blaue Regierung aufbereitet. Und er ließ dann im Parlament bei einer Gedenkveranstaltung für NS-Opfer den Schriftsteller Michael Köhlmeier gegen ebendiese Regierung anreden.

Er ist einer, der aufbraust und von seinem Sitzplatz im Nationalratsplenum aus mit hochrotem Kopf den Redner niederbrüllt. Und er steht als Dirigent beim Waidhofener Kammerorchester am Pult, stets "gut vorbereitet, er versucht nur ein bisschen zu sehr, die Dinge im Griff zu haben", wie ein Musiker erzählt.

Wolfgang Sobotka (ÖVP) 2004 als Landesrat NÖ
© imago/SKATA Wolfgang Sobotka 2004: Damals war er Landesrat in Niederösterreich.

Wolfgang Sobotka und das schwarze Machtzentrum

Egal, mit wem man über Wolfgang Sobotka spricht - es kommt immer ein Einerseits und ein Andererseits. Aber auch ein "Stur!".

Und weil er stur ist und offenbar eine dicke Haut hat, sitzt Sobotka immer noch dort, wo ihn nicht einmal alle aus seiner Partei haben wollen: auf dem Sessel des Vorsitzenden im parlamentarischen U-Ausschuss. Obwohl die ÖVP im Fokus der Untersuchungen steht. Obwohl er selbst wieder als Auskunftsperson geladen werden wird (Es geht dabei u. a. um jene Chats eines ehemaligen Kabinettschefs im Innenministerium, die zeigen, wie schwarze Seilschaften intervenierten, unliebsame Personen verhinderten, kurz: Personalpolitik in ihrem Sinn gemacht haben).

13 der 28 bis zum Sommer geplanten Ausschusstage hat Sobotka bereits ausgeharrt. Nur einige Male hat er sich vertreten lassen. Als es wieder einmal darum ging, warum er nicht endgültig Platz macht für jemand Unbelasteten, bemühte er einen dramatischen -und für einen Historiker höchst fragwürdigen - Vergleich mit der Ausschaltung des Parlaments 1933, weil damals die drei Nationalratspräsidenten nacheinander ihr Amt niedergelegt hatten. Er muss dagegenhalten. Glaubt er.

»Er ist toxisch für die Partei«

Sogar innerhalb der ÖVP sorgt sein politisches Agieren für Unbehagen. "Er ist toxisch für die Partei", sagt einer. Andererseits: Parteichef Karl Nehammer hat sich zuletzt demonstrativ hinter seinen Mann fürs Grobe gestellt. Zu einer Ehrung des Niederösterreichers durch den ÖAAB reiste zuletzt die Parteiprominenz von Kanzler und Innenminister abwärts an.

Sobotka stammt aus dem schwarzen Kernland Niederösterreich. Er wird 1956 in Waidhofen an der Ybbs geboren. Der Großvater war Nazi, der Vater kriegstraumatisiert und entschiedener Gegner totalitärer Ideologien. Er wird Historiker, forscht über den Widerstand in seiner Heimat, wird als Politiker immer klare Worte finden, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus geht. Er studiert Cello in Wien (ein Instrument, das vor allem zu Beginn auch Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz trainiert) und das Dirigieren in Linz. Er wird Lehrer für Geschichte und Musik und leitet die Musikschule in Waidhofen.

Sobotka als Kronprinz von Erwin Pröll gescheitert

Wolfgang Sobotka, Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der ehemalige Landeshauptmann Erwin Pröll und die heutige NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl Leitner
© imago/CHROMORANGE 2016 fällt die Entscheidung in puncto Landesführung in NÖ gegen ihn aus. Im Bild: Wolfgang Sobotka, Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, der ehemalige Landeshauptmann Erwin Pröll und die heutige NÖ-Landeshauptfrau Johanna Mikl Leitner

Es zieht ihn in die Politik: 1982 wird er Gemeinderat in Waidhofen/Ybbs, 1992 Finanzstadtrat, 1996 Bürgermeister. Erwin Pröll hat ihn da schon für höhere politische Aufgaben ausgesucht: Sobotka ist zunächst Parteimitarbeiter der ÖVP Niederösterreich, 1998 wird er Finanzlandesrat, 2009 Landeshauptmann-Stellvertreter. Spätestens da gilt er als "Kronprinz" Prölls. Diszipliniert, organisiert und fleißig, nennen ihn Weggefährten. Aber auch: ehrgeizig, pedantisch und aufbrausend. In seine Amtszeit als Finanzlandesrat fallen Spekulationen mit Wohnbaugeldern, die für Kritik des Rechnungshofes sorgten. Er selbst sieht keinen Fehler bei sich.

»Er war echt ang'fressen, dass Pröll ihn weggelobt hat«

Dass sich Pröll 2016 für Johanna Mikl-Leitner als Nachfolgerin entschied, war das für Sobotka eine Niederlage. Er wurde nach Wien ins Innenministerium geschickt, wo er sich einem Law-and-Order-Kurs verschrieb und die harte Linie der späteren Kurz-ÖVP in Sachen Flucht und Integration vorbereitete. Ein damaliges rotes Regierungsmitglied erinnert sich: "Er war echt ang'fressen, dass Pröll ihn weggelobt hat." Sobotka sei ein "extremes Alphatier", aber auch "ein direkter Typ, man hat gewusst, woran man bei ihm ist. Und: Was man mit ihm ausgemacht hat, hat gehalten"."Der Soberl" sei "sehr in seinen konservativen Traditionen verhaftet, da weicht er keinen Millimeter ab, darum ist er auch berechenbar." Er sei aber auch "ein bissel eitel, schlechte Umfragewerte ärgern ihn".

»Ich bin in meiner Amtsführung neutral, agiere aber natürlich aus einer ideologischen und geistespolitischen Haltung heraus«

Wolfgang Sobotka, zweiter Mann im Staat

Auch Sebastian Kurz hat Sobotka etwas später weggelobt. Der schwarze Haudegen alter Schule passte nicht ins modische türkise Regierungsteam, er sollte aber Nationalratspräsident werden und damit protokollarisch zweiter Mann im Staat. Anfangs legte Sobotka das Amt betont staatstragend an, doch spätestens ab den U-Ausschüssen gibt er den Parteisoldaten. "Ich bin in meiner Amtsführung neutral, agiere aber natürlich aus einer ideologischen und geistespolitischen Haltung heraus," sagte er in einem Interview.

Parteiischer Vorsitzender

Der SPÖ-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Kai Jan Krainer, schildert Sobotkas Amtsführung so: "Er führt den Vorsitz parteiisch im Sinne der ÖVP. Zwar gibt er ihn manchmal bei Sitzungen ab, zwischen den Sitzungen aber, wo er Einfluss nehmen und hinter den Kulissen die Fäden ziehen kann, bleibt er immer dabei. Obwohl er als Nationalratspräsident eigentlich die Interessen des Parlaments vertreten sollte, agiert er immer für seine Partei, ist offenbar in strategische Überlegungen rund um den U-Ausschuss eingebunden, das ist besonders problematisch." Sobotka, kritisiert Krainer, "ist der erste Präsident dieses Parlaments, der schlecht über die Institutionen dieses Haus redet. Das hat noch keiner gemacht. Da hat einer seine Rolle nicht verstanden."

»Sein Amt übt er aus, wie er will, wie er glaubt, dass es sein sollte, und nicht, wie es eigentlich laut Geschäftsordnung gehört«

Kritik am Nationalratspräsidenten

Schon die Tatsache, dass Sobotka Nationalratspräsident geworden sei, ohne davor Abgeordneter gewesen zu sein, zeige die Missachtung des Hohen Hauses damals durch Kurz, sagt Krainer. "Und das beweist seine Selbstüberschätzung und mangelnde Demut vor dieser Institution. Sein Amt übt er aus, wie er will, wie er glaubt, dass es sein sollte, und nicht, wie es eigentlich laut Geschäftsordnung gehört."

Die Vermengung von ÖVP-Regierungsinteressen mit dem Amt des Nationalratspräsidenten mache Sobotka zu "einem unfreiwilligen Symbol für den Zustand unserer Demokratie", die im Demokratiebericht des Varieties of Democracies Institute der Uni Göteborg zuletzt von einer liberalen Demokratie auf eine "Wahldemokratie" herabgestuft wurde.

»Er ist ein Machtpolitiker, parlamentarische Gepflogenheiten sind ihm egal, Konsens unter den Fraktionen herzustellen, ist im kein Anliegen«

"Er ist ein Machtpolitiker, parlamentarische Gepflogenheiten sind ihm egal, Konsens unter den Fraktionen herzustellen, ist im kein Anliegen", sagt ein Neos-Mandatar. Andererseits (wieder einmal ein Andererseits) sei er auch einer, der in den parlamentarischen Debatten zuhöre und Redner oft später noch zum Gesagten anspreche. Und: "Man kann mit ihm streiten. Er nimmt auch harte Worte sportlich."

»Man kann mit ihm streiten. Er nimmt auch harte Worte sportlich.«

Sobotka selbst sagte dazu in einem News-Interview: "Man muss schon etwas aushalten, ohne sich gleich persönlich angegriffen zu fühlen. Da hilft sicher Erfahrung." Ein ehemaliger Regierungskollege sagt: "Er ist nicht nachtragend. Aber er merkt sich Sachen." Man merke, dass er sein Handwerk beim starken Mann Erwin Pröll gelernt habe. Das zeigt sich aber auch in anderen Dingen: Wenn Sobotka eine Idee habe, will er sie durchdrücken, heißt es. Nach dem Motto: "Das hamma in Niederösterreich auch so gemacht."

Sobotka: Polit-Stil aus der Kreisky-Zeit

Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sieht in Sobotka den "klassischen parteipolitischen Machtpolitiker. Er ist noch in einer Generation groß geworden, für die Parteimacht ein viel positiveres Image hatte. Die Partei hat sich um deine Wohnung und deinen Job gekümmert." Allerdings, so meint Filzmaier weiter: "Er hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt, er passt mit seinem Politikstil eher in die 1970er Jahre und die Kreisky-Ära."

Gefördert wurde diese Mentalität wohl dadurch, dass Sobotka aus einem Bundesland komme, in dem die ÖVP über die Jahrzehnte oft die absolute Mehrheit hatte und ihre Macht unangefochten ausleben konnte. "Dieses Verständnis der absolut dominanten Partei hat er in die Bundespolitik mitgenommen." Mit der Machtbastion Niederösterreich im Rücken habe er sich auch vor dem Parteiumbau des Sebastian Kurz retten können. "Er hatte nach alter ÖVP-Logik einen Fixplatz. Ihn hat nicht einmal Kurz ,derhoben'."

Durch seine Auftritte im U-Ausschuss ist Sobotka mittlerweile im Apa/OGM-Vertrauensindex der Politiker sehr weit unten angelangt. Zuletzt erreichte er beim Saldo von "Habe Vertrauen/habe kein Vertrauen" einen Wert von minus 56 und lag damit auf dem vorletzten Platz vor FPÖ-Chef Herbert Kickl, der auf minus 67 kam. Filzmaier: "Es ist objektiv durch die Umfragedaten belegbar, dass er seiner Partei schadet. Er kommt nur beim harten Kern der ÖVP- Wähler an, holt aber keinen einzigen Wähler, den die ÖVP verloren hat, zurück. Im Gegenteil: Er wirkt mobilisierend gegen die ÖVP. Er ist das klassische Feindbild."

»Sobotka kostet keine Stimme, er bringt aber auch keine.«

Ein Parteigrande sagt pragmatisch: "Sobotka kostet keine Stimme, er bringt aber auch keine." Ob er als Niederösterreicher bei der kommenden Landtagswahl demobilisierend wirkt? Selbst wenn man in der ÖVP diese Frage mit Ja beantworten würde, wäre es schwierig, Sobotka ins Ausgedinge zu befördern, meint Filzmaier. "Das wäre eine sehr große diplomatische Herausforderung und eigentlich nur in dem Zeitfenster zwischen U-Ausschuss und der nächsten Wahl möglich."

Wolfgang Sobotka privat: Urlaub im Campingbus

Seine Freunde schildern einen ganz anderen Wolfgang Sobotka. Belesen, auf vielen Gebieten gebildet, interessiert, witzig, kunstinteressiert, geerdet. "Er braucht keine Statussymbole wie teure Uhren." Sein Refugium ist der Garten in Waidhofen. Unfreiwillig sorgte er als Innenminister für Komik, als er schilderte, dass immer wieder menschliche Exkremente vor seiner Haustür lagen, bis er eine Überwachungskamera installierte. Sobotka wollte damit den Sinn verstärkter Videoüberwachung in Österreich erklären.

Familienmensch

Wolfgang Sobotka mit seiner Ehefrau Marlies 2020 am Ball der Wiener Philharmoniker.
© imago images/SKATA Wolfgang Sobotka mit seiner Ehefrau Marlies 2020 am Ball der Wiener Philharmoniker

Bodenständig lebe er in der niederösterreichischen Stadt, erzählt man sich in seiner Nachbarschaft. Er sei ein Familienmensch. Sobotka hat nach dem Tod seiner ersten Frau wieder geheiratet, hat sechs eigene und zwei erheiratete Kinder. Mit den jüngeren fahre er noch immer im Campingbus auf Urlaub. "Da wird dann jede Kirche angeschaut und am Abend am Campingplatz gegrillt", sagt ein Freund.

Als Dirigent habe Sobotka einen klaren Stil, eine gute Technik. Er hätte da auch Karriere machen können, sagt ein Musikerkollege. Er hat sich für die Politik entschieden. So bleibt es eben bei gelegentlichen Auftritten mit dem Kammerorchester Waidhofen. Zuletzt Anfang April bei den "Frühjahrskonzerten 2022". Auf dem Programm neben Wolfgang Amadeus Mozarts "Konzert für zwei Klaviere und Orchester in Es-Dur KV 365" und Roland Bartiks "New Impressions for Two Pianos und Orchestra" große Hits der Filmmusik. Zum Beispiel John Williams' "Star Wars Suite for Orchestra - The Imperial March (Darth Vaders Theme)".

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2022 erschienen.