Korruption: Welche Missstände in Österreich herrschen

Antikorruptionsexperte Kreutner: "Es wird ein Lackmustest für alle Parteien"

Die Bundesregierung bringt in Sachen Korruptionsbekämpfung zu wenig weiter, kritisiert Martin Kreutner, Mitinitiator des Korruptionsvolksbegehrens. Aber er sieht derzeit auch eine "echte Chance" für die Politik, Leadership und genuine Verantwortung zu zeigen.

von Der Antikorruptionsexperte Martin Kreutner im Interview. © Bild: News/Ricardo Herrgott

Im vorjährigen Korruptionsindex von Transparency International lag Österreich auf Platz 13 von 180. Das klingt nicht so schlecht. Trotzdem entsteht durch zahlreiche Affären der Eindruck, wir hätten ein großes Korruptionsproblem. Wie schlimm ist es wirklich?

Man muss das differenziert sehen. Die gute Nachricht zuerst: Österreich ist in der sogenannten Alltagskorruption deutlich besser geworden. Das ist es auch, was Transparency International in diesem Ranking hauptsächlich misst. Wenn Sie heute im hintersten Winkel des Landes mitten in der Nacht von einer Polizeistreife angehalten werden, müssen Sie nicht befürchten, Trinkgeld zahlen zu müssen, um ein Strafmandat zu vermeiden. Wir haben etwa im Vergleich auch ein sauberes Gesundheitssystem. Wo es nach wie vor Probleme gibt, ja, wo es schlimmer geworden ist, ist die sogenannte High-Level-Verhaberung. Dort, wo höchste politische, wirtschaftliche und mediale Entscheidungsträger sich die Dinge richten. Ich kann mir übrigens nicht vorstellen, dass sich Österreich beim nächsten Korruptionswahrnehmungsindex, der am 31. Jänner veröffentlicht werden soll, verbessert.

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Ist Korruption in Österreich also ein Elitenproblem?

In der Nachkriegszeit, als die Republik zwischen den zwei großen Parteien aufgeteilt war, hat man diese parteipolitische Aufteilung vielerorts bis hinunter auf die kleinste Ebene gesehen. Die Toleranz gegenüber derartiger Parteibuchwirtschaft ist gesunken. Aber um Ihre Frage konkret zu beantworten: Ja, ich glaube tatsächlich, dass es sich in den letzten Jahren im Elitenbereich verschlimmert hat. Man hat den Eindruck, man hat vieles getan, weil man konnte.

Verlieren Menschen in einer gewissen Sphäre von Macht und Einfluss das Gespür dafür, was geht und was nicht, und halten sich für über den Gesetzen stehend?

Es gibt nicht den einen Faktor, der dafür ausschlaggebend ist. Eine Rolle spielt sicher, dass das Wissen unserer Eltern- und Großelterngeneration vielfach nicht mehr vorhanden ist, die nach Erfahrungen mit einem diktatorischen Regime und der sehr harten Zeit des Wiederaufbaus gewisse Werte mehr zu schätzen wussten. Und die auch wussten, dass diese Werte nicht in Stein gemeißelt sind. Demokratie kommt nicht aus der Steckdose. Demokratie muss jeden Tag erarbeitet werden. Da verorte ich schon einen Bewusstseinsmangel bei vielen. Ein zweiter Faktor ist, dass Demokratien global gesehen auf dem absteigenden Ast sind. Ende der 90er-Jahre gab es weltweit gut 100 Demokratien bzw. Länder, die auf dem Weg dorthin waren. Derzeit sind es nur mehr circa 70. Die Tendenz geht wieder zu totalitären oder totalitär anmaßenden, diktatorisch anmaßenden oder populistischen Regimen. Zu letzterem haben wir in Österreich auch Ansätze gesehen. Etwa, dass man den Rechtsstaat einfach antestet und schaut, wie weit man gehen kann.

Der Antikorruptionsexperte Martin Kreutner im Interview.
© News/Ricardo Herrgott Martin Kreutner
Martin Kreutner, studierter Jurist und Sozialwissenschaftler, war acht Jahre lang Dekan und Geschäftsführer der International Anti-Corruption Academy. Von 2001 bis 2010 leitete er die österreichische Antikorruptionsbehörde. Er war als Experte und Berater für UN, Europarat, OSZE, Transparency International und die Weltbank tätig. Kreutner ist einer der Mitinitiatoren des Antikorruptionsvolksbegehrens, das von mehr als 300.000 Österreicherinnen und Österreichern unterzeichnet wurde.
»Demokratie kein Gratisprodukt ist, man muss dafür stets eintreten«

Wenn wir auf die österreichische Geschichte zurückblicken, sehen wir also gegenläufige Entwicklungen: Einerseits ist die Toleranz für Korruption in der Bevölkerung gesunken, gleichzeitig verschlechtern sich die politischen Sitten?

Diese Gegenbewegungen gibt es nicht nur in Österreich. Wenn ich an den 6. Jänner 2021 in den USA erinnere, an Vorgänge, die in Großbritannien stattgefunden haben und in Brasilien gerade passieren ...

Auf der einen Seite werden viele Dinge von der Bevölkerung als gegeben angenommen, ohne zu realisieren, dass Demokratie kein Gratisprodukt ist, sondern dass man dafür stets eintreten muss. Auf der anderen Seite gibt es diese populistischen, vereinfachenden Tendenzen. Wir haben offensichtlich auch zunehmend zu wenig politische Verantwortungsethik, nämlich dahingehend, wie sich politische Entscheidungen langfristig auf rechtsstaatlicher, demokratie- und gesellschaftspolitischer, auch internationaler Ebene auswirken - und nicht nur, wie sie die Schlagzeilen von morgen beeinflussen.

Können Sie den vielen Skandalen der letzten Jahre auch etwas Positives abgewinnen? Verbessert jede Chat-Affäre das politische Klima in Österreich?

Das wäre zu einfach. Aber es gibt definitiv auch positive Entwicklungen. Einerseits hat sich gezeigt, dass bei den Österreicherinnen und Österreichern ein sehr großer Unmut über diese Machenschaften vorhanden ist. Wir haben inzwischen eine sehr breite öffentliche Diskussion über dieses Thema. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so ausgeprägt. Man stellt sich dem Problem endlich und löst sich von einem fast folkloristisch anmutenden Zugang, der lange Zeit vorgeherrscht hat. Nach dem Motto: Na ja, das gehört vermeintlich zur österreichischen Mentalität. Wenn sie heute mit Durchschnittsösterreichern am Stammtisch reden, bin ich überzeugt davon, dass 99,9 Prozent sagen, sie wollen eine saubere Verwaltung und saubere Politik. Und das verbleibende Zehntelprozent wird man dann wohl oft der Täterseite zuordnen können.

Zugleich nehmen es viele Österreicherinnen und Österreicher selbst nicht ganz so ernst mit den Regeln.

Sie können schwer vom Handwerker oder von der Billa-Kassiererin verlangen, dass sie ihre Steuererklärung ordnungsgemäß ausfüllen, wenn gleichzeitig ein Millionär durch seine Bekanntschaft mit einem Generalsekretär im Finanzministerium einen Steuernachlass von mehreren Millionen bekommt. Es ist doch Allgemeinwissen: Wenn Sie eine gewisse Firmenkultur in Ihrer Firma sehen wollen -und das trifft auf die Gesellschaft genauso zu wie in der Kindererziehung -, dann wird immer dieses Walk-the-Talk bzw. diese Vorbildwirkung und Glaubwürdigkeit notwendig sein. Heißt: Wenn man als Vorgesetzter, Elternteil oder politischer Verantwortlicher die eingeforderte Kultur nicht selbst lebt, wird man sie auch nicht von den anderen erwarten können.

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Hat die Politik aus den Skandalen der letzten Jahre ausreichend gelernt? Halten Sie zum Beispiel die Reaktionen der ÖVP, hauptbetroffen von der Chat-Affäre, für angemessen?

Als Staatsbürger hätte ich mir erwartet, dass man angesichts der doch umfangreichen Vorfälle die Chance zu einer umfangreichen Katharsis genützt hätte. Ich finde es persönlich befremdlich und auch nicht gerade zweckmäßig -aber das muss jeder selber wissen -, kategorisch zu behaupten, es gäbe kein Korruptionsproblem. Das erinnert mich eher an australische Verhältnisse, nämlich an den sprichwörtlichen Vogel Strauß. Fairnesshalber muss man aber dazusagen, das Problem auf eine einzige Partei zu verkürzen, wäre auch danebengegriffen.

Wen meinen Sie konkret?

Wir haben genügend Bundesländer, in denen die Machtstrukturen seit Jahrzehnten - in manchen seit dem Zweiten Weltkrieg - zementiert sind und wo, bei aller Unschuldsvermutung, augenscheinliche Auffälligkeiten bestehen. Stichwort Bauskandale, Inseratenkorruption etc. Man muss schon das ganze Bild sehen.

Korruption ist ein Problem aller Parteien...

Ich würde sehr, sehr gerne widersprechen sagen wir so: Eine mehr oder wenige hohe Latenz ist jeglicher Macht wohl immanent.

In diesem Fall hat es halt die ÖVP erwischt. Man hätte als Bürgerin ja gerne, dass das politische System sich durch solche Skandale verbessert und die Betroffenen lernen. Glauben Sie, findet das statt?

Es geht nicht um eine Glaubensfrage, und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Es sind einige Gesetzesvorhaben in der Pipeline. Und ich bin sehr gespannt auf den Tag, an dem sie ins Parlament kommen. Wir brauchen für manche dieser Gesetzesvorhaben, zum Beispiel für das Informationsfreiheitspaket bzw. auch für die Bundesstaatsanwaltschaft, eine Zweidrittelmehrheit. Dann kommt der Lackmustest für alle Parteien. Man hat schon manchmal den Eindruck, dass sich manche Oppositionsparteien auch bequem zurücklehnen, weil sie eben wissen, dass der interne Koordinierungsprozess - oder etwas drastischer formuliert: das Dealen - zwischen den Regierungsparteien noch dauert. Wenn es dann aber in den parlamentarischen Prozess geht, wird es interessant, ob alsdann wirklich alle dabei sind. Oder ob es plötzlich von den Oppositionsparteien irgendwelche Junktims oder Ausflüchte gibt.

Der Antikorruptionsexperte Martin Kreutner im Interview.
© News/Ricardo Herrgott

Einer großen Oppositionspartei könnte kurzfristig einfallen, dass sie leider, leider wegen eines bestimmten Details doch nicht zustimmen kann?

Genau. Man kann es auch so formulieren: Das genuine Interesse an der tatsächlichen Umsetzung der notwendigen Maßnahmen wird bei allen Parteien zu messen sein.

Besteht derzeit trotzdem eine besondere Chance auf entsprechende Gesetze? Immerhin sitzt derzeit mit den Grünen eine mangels langjähriger Regierungserfahrung relativ unverdächtige Partei in der Regierung.

Realpolitisch würde ich formulieren: Es gibt jetzt wirklich ein Window of Opportunity, ein Gelegenheitszeitfenster. Wir stehen bei knapp zwei Dritteln der Regierungszeit der schwarz-grünen Koalition, wir haben sehr viele der Themata im Regierungsprogramm eigentlich schon angekündigt, wir haben verschieden hohe Commitments beider Regierungsparteien, wir haben Aussagen der Oppositionsparteien, wir haben ein Antikorruptionsvolksbegehren mit sehr konkreten Vorschlägen. Additiv gibt es durchaus auch einigen Druck von internationalen Organisationen. Und, das ist für mich das Hauptargument, wir haben in der Bevölkerung eine sehr hohe Erwartungshaltung. Ich würde fast so weit gehen, zu sagen, es gibt derzeit eine echte Chance für die Politik. Eine Chance, Leadership und genuine Verantwortung zu zeigen. Und auch dem Souverän zu kommunizieren: "Wir nehmen das ernst und sind an Verbesserung interessiert."

Hat diese Regierung bisher genug weitergebracht?

Bis dato nein. Es gibt viele Ankündigungen. Ein, zwei Themen sind schon behandelt worden. Das Parteiengesetz wurde verschärft. Es gibt zumindest einen Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz. Aber die großen Pakete stehen noch aus. Informationsfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz. Österreich wäre heute nicht mehr EU-aufnahmefähig mit der derzeitigen Struktur der Staatsanwaltschaften, wo die Weisungsspitze bei einem politischen Organ endet. Das ist auch schwerlich vereinbar mit dem Gewaltenteilungsprinzip der Bundesverfassung. Wir haben detto noch die Schließung der Lücken im Korruptionsstrafrecht ausständig. Bei der Regierungsklausur wurde ein Beschluss präsentiert. Das muss man sich jetzt im Detail anschauen. Warum das so lange gedauert hat, ist schwer erklärbar. Immerhin brach Ibiza vor knapp vier Jahren auf.

Versuchen Sie es trotzdem. Warum dauert das so lange?

Wahrscheinlich ging es um das Dealen zwischen den Regierungsparteien, das Quidproquo.

Und in Wahrheit ist das Interesse an einer Lösung nicht sehr groß?

Man hatte sich offenbar nicht ausgeschnapst, wie hoch der jeweilige Preis ist. Und natürlich stellt das in Summe die berechtigte Frage nach dem ehrlichen inhaltlichen Interesse an der Gesamtmaterie.

Beim Informationsfreiheitsgesetz scheint es derzeit an den Gemeinden zu scheitern, die großen Mehraufwand fürchten. Zu Recht?

Ja und nein. Ich sehe das Argument dort ein, wo der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin einer kleinen Gemeinde im Hauptberuf Landwirt oder Handwerkerin ist, den Bürgermeister-Posten nebenbei bekleidet und einen Halbtagsgemeindessekretär hat. Dann ist es nicht zumutbar, feinjuristisch herauszuarbeiten, was unter der Datenschutzgrundverordnung erlaubt und wie das mit Transparenzerfordernissen kombinierbar ist. Jetzt kommt das große Aber: Man könnte das sehr leicht abfangen, indem man Clearingstellen einrichtet, an die sich solche Gemeinden wenden können. Ich halte die Diskussion ergo für eine Pingpong-Diskussion, für Verantwortungs-Pingpong, wo vielleicht manche Seite sogar froh ist, dass es aus den Landes-, Bezirks-und Gemeindeebenen gewisse Widerstände gibt. Letztlich geht es in allen politischen Materien darum, Lösungen zu finden und sich nicht hinter Problemen zu verstecken.

Halten Sie es für möglich, dass diese Regierung abtritt, ohne diese großen Problemfelder in Angriff genommen zu haben?

Das ist natürlich möglich, wenn man bedenkt, dass einige dieser Vorhaben von maßgeblichen Vertretern der Regierung schon für Ende 2020 als abgeschlossen angekündigt waren. Kann schon sein, dass man sich mit diesem Verantwortungs-Pingpong über die Legislaturperiode rettet und damit vermeintlich guten Willen nach außen gezeigt hat. Noch einmal: Wir haben jetzt ein Window of Opportunity ...

... das sich mit einer möglicherweise nachfolgenden großen Koalition, die wohl kein so großes Interesse an Transparenz hat, wieder schließen würde?

Ist zu befürchten. Eine neue Regierung würde allein schon wieder ein halbes Jahr verlieren, in dem sie sich einarbeitet. Es verfließt erneut Zeit, die vor allem nichts zur Verbesserung beiträgt. Der Vertrauensschaden in die Politik wird noch größer, die Frustration in der Bevölkerung wird noch höher, die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte werden noch stärker und damit der Wasserschaden - wie es der Bundespräsident formuliert hat -an der Demokratie noch großflächiger.

Auch die Inseratenkorruption steht auf der To-do-Liste der Regierung, die zuständige Ministerin hat im Herbst ein Paket vorgestellt. Wie finden Sie das?

Auch da kommt es darauf an, was am Ende des Tages herauskommt. Es ist ein Paket mit sehr vielen Aspekten. Gute Ansätze sind vorhanden, aber in den Details wird es noch viel Verhandlungs- und auch Nachschärfungsbedarf geben. Was verwundert, das kann ich nicht verhehlen, und was wahrscheinlich vor einem Jahr noch unmöglich gewesen wäre, ist die faktische Zentrierung der Journalisten- und Journalistinnenausbildung in einer Institution, die bei der Exekutive angesiedelt ist. Das kann man nicht schönreden.

Und wäre international undenkbar, oder?

Ja, zumindest im demokratischen Kontext. Von der Wahrnehmung her ist das katastrophal.

Was schließen Sie daraus? Haben österreichische Politiker zu wenig Gespür? Oder geht es wirklich in Richtung Orbanisierung, und man will wohlmeinende Journalisten heranziehen?

Ich will da nicht einmal bösen Willen unterstellen. Vielleicht gibt es ein, zwei Personen, die auch davor nicht zurückschrecken. Aber ich glaube letztendlich, es ist eine Mischung aus Simplifizierung bis hin zu einer gewissen Naivität oder auch Indolenz. Weil vielleicht auch das genuine Interesse daran fehlt und man Schnell-schnell-Lösungen sucht. Eine derartige Idee wäre wohl nicht einmal den Erfindern der Message Control eingefallen.

Ein patscherter Unfall quasi?

Macht es nicht besser. Und man kann nur hoffen, dass es nur ein Unfall war.

Sehen Sie das Problem der Inseratenkorruption auf einem nachhaltigen Weg der Besserung?

Ich wäre da nicht allzu optimistisch. Ja, es gibt eine gewisse erhöhte Wahrnehmung, und man ist sich der Probleme zum Teil stärker bewusst geworden. Es hat auch zwei konkrete Konsequenzen von Einzelpersonen gegeben. Ich bin aber auch überzeugt davon, das Problem ist breiter, und zwar nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landesebene. Persönlich hätte ich mir einen größeren Diskussionsansatz gewünscht, auch in den Medien selbst. Nämlich im Sinne von breiter kritischer Selbstreflexion und von Problemlösungen. Ja, es gab einzelne Initiativen, aber ein richtig breiter Diskurs hat nicht wirklich stattgefunden. Nur zur Erinnerung: Medien haben in einer Demokratie eine sehr wichtige Kontrollfunktion. Medien haben dazu auch Privilegien, etwa das Redaktionsgeheimnis. Aber wie überall im Leben: Mit Privilegien kommen auch Pflichten, und denen muss man gerecht werden.

Dieses System der Inseratenkorruption hat viele Jahre für alle Beteiligten sehr gut funktioniert -und funktioniert immer noch -, Medien bekommen Geld durch Inserate, Politiker dafür wohlwollende Berichterstattung. Ist auch hier die Sensibilität zu wenig stark ausgeprägt, sowohl bei den verantwortlichen Chefredakteuren als auch bei Journalisten, die Auftragsgeschichten am Ende schreiben?

Ich möchte Ihnen eine Gegenfrage stellen: Wenn Sie als Staatsbürgerin zur Steuerbehörde, zur Polizei oder vor Gericht gehen und wissen, dort gibt es sachfremde Interessenlagen, werden Sie sich mit Recht beschweren und beharren, die haben mir gegenüber objektiv zu agieren. Diese Objektivität würde man sich von Medien natürlich auch erwarten. Ich bin überzeugt davon, dass es in Österreich sehr viele engagierte Journalistinnen und Journalisten gibt. Dort allerdings, wo es in die höheren Entscheidungsebenen geht, muss man erwarten können, mit Conflict-of-Interest-Situationen umgehen zu können. Natürlich ist es in Ordnung, wenn Journalisten auch mit Politikern direkt kommunizieren. Aber wenn sie sich dann für Einzelinteressen "einspannen" lassen und das berufliche Verhältnis in gemeinsame Saunabesuche oder Ähnliches abdriftet, muss schon die Frage erlaubt sein, ob das noch Teil der journalistischen Profession ist oder ob es andere Erwartungshaltungen gibt. Aber all das ist keine Raketenwissenschaft, sondern Teil jedes Compliance-Management-Systems. Stellen wir uns nicht naiver, als wir sind. Diese Herausforderungen sind auf anderen Ebenen gut bekannt, und es gibt Lösungen dafür.

»Korruption bedeutet krasse Unfairness und Ungleichbehandlung in den zentralsten Dingen des Lebens«

Sie haben Ihr Berufsleben der Korruptionsbekämpfung gewidmet. Mit welchen Reaktionen sind Sie konfrontiert? Es gibt ja das Argument, der Diskurs über Korruption schade dem Wirtschaftsstandort.

Dieses Argument finde ich fast schon lieb, wenn nicht -Sie verzeihen -knapp ans Infantile grenzend. Da vertauscht man Wissen mit Ursache, Opfer mit Täter. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Das Feedback ist ganz unterschiedlich, in Summe aber positiv. Von Schulterklopfen bis zur Morddrohung war auch alles dabei. Letztlich gilt: Antikorruptionsdienststellen, die nur Freunde haben, machen ihre Arbeit nicht ordentlich, würde ich attestieren.

Was treibt Sie an?

Weniger wohlwollende Zeitgenossen würden wahrscheinlich sagen: "Er ist halt ein sturer Tiroler." Ich bin letztendlich davon überzeugt, dass unsere Generation in Mitteleuropa fast schon in einem goldenen Zeitalter lebt oder gelebt hat. Und das kommt nicht von irgendwoher. Das haben wir hauptsächlich unseren Eltern, Großeltern und vielen anderen zu verdanken. Demokratie ist nicht etwas, das in Stein gemeißelt ist. Wir sehen das tagtäglich in der multikrisenhaften Situation, die wir gerade erleben. Wenn wir uns nicht wieder auf den Kern unseres Sozialvertrags, der uns diesen Aufschwung in den letzten acht Jahrzehnten ermöglicht hat, besinnen, wenn wir Korruption zulassen, geht das an die Grundfesten. Denn Korruption bedeutet ja letztendlich nichts anderes als krasse Unfairness und Ungleichbehandlung in den zentralsten Dingen des Lebens. Dann kracht's wirklich ganz, ganz massiv im Gebälk, und zwar so stark, dass das Gebälk irgendwann droht einzustürzen. Und das haben wir nicht notwendig. Das ist Teil der Motivation, die dahintersteht. Und der Rest ist der sture Tiroler.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 01-02/2023 erschienen.