Tamara Mascara:
Die Diva & ihr Assistent

Mit der Kunstfigur Tamara Mascara hat Raphael Massaro aus allen Talenten seinen Traumberuf erschaffen. Nun brilliert die Dragqueen bei "Dancing Stars". Blut, Schweiß und Tränen prägten ihren Weg zum Erfolg

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Porträt - Tamara Mascara:
Die Diva & ihr Assistent © Bild: Andreas Tischler / Vienna Press

Steckbrief

  • Name: Raphael Massaro
  • Dragqueen-Name: Tamara Mascara
  • Geboren am: 15. November 1987
  • Geburtsort: Wien, Österreich
  • Sternzeichen: Skorpion
  • Wohnort: Wien
  • Beruf: Dragqueen, Künstler(in), Dj(ane), Designer(in)
© Andreas Tischler / Vienna Press In einer Stunde (oder mehr) wird aus Raphael Massaro Tamara Mascara

Das Ende des Kunstwerks ist absehbar, wenn Raphael Massaro zu Pinsel und Schwämmchen greift. Am weißen Spiegeltisch in der Altbauwohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk macht er sich an den Schaffensprozess, der für ihn Suchtpotenzial hat. Doch egal, wie elegant oder extravagant, wie liebevoll und aufwendig er sein Alter Ego erschafft -nach wenigen Stunden landet Tamara Mascara im Abfluss des Waschbeckens. "Diese Vergänglichkeit macht einen Teil des Suchtfaktors aus", beschreibt der 32-Jährige.

Die Kunstfigur, die der gebürtige Wiener vor rund 15 Jahren erfunden hat, ist freilich längst mehr als Make-up, Perücke und Fummel. - No offense, bitte. So bezeichnet der Künstler selbst die Drag-Garderobe. Tamara Mascara ist ein Markenname, Österreichs bekannteste Dragqueen. Jüngste Aufgaben beweisen das. Als Testimonial für ein LGTB-freundliches Wien repräsentiert sie die Stadt im Ausland. Autohersteller Renault wählte sie für ein Filmportrait seiner Crossover-Modelle unter dem Titel "Es gibt immer einen anderen Weg". Limonaden-Riese Sprite machte sie zum Testimonial seiner hiesigen Kampagne gegen Hass im Internet, "stay fresh". Und nun die ORF-Hauptabendshow samt Europa-Premiere.

Geschuftet bis zur Luxuspuppe

Als weltweit erst zweite Dragqueen -nach der Australierin Courtney Act -debütiert Tamara Mascara heute Abend in der 13. Staffel von "Dancing Stars"(6.3., 20.15 Uhr, ORF 1). Mit Profitänzer Dimitar Stefanin tanzt sie einen Wiener Walzer zu Ed Sheerans "Perfect". Die australische Kollegin schaffte es auf Platz zwei und Tamara Mascaras Ehrgeiz ist entsprechend groß. Zusätzlich zum Minimum von 50 Paar-Trainingsstunden startete sie schon vor Probenbeginn mit einem Cardio-und Krafttraining für Körpermitte und Unterschenkel. "Jetzt haben alle Muskelkater, nur ich nicht. Ich habe ihn schon hinter mir", sagt sie. Als Kind absolvierte sie zwar eine Ballettausbildung an der Wiener Staatsoper, Standardtänze sind ihr jedoch fremd. "Im Moment denke ich eher ans Überleben als ans Gewinnen", lacht sie im Gespräch während der intensiven Probenzeit vor der ersten Sendung.

© Andreas Tischler / Vienna Press Luxuspuppe nennt Tamara Mascara ihre Rolle. Wie sie schuftet, soll man nicht sehen

Sucht Österreich eine Dragqueen, wird Tamara Mascara angefragt. Aus der gern zitierten Lifestyle-Blase hat sie es längst zur Massentauglichkeit gebracht. Seit zehn Jahren lebt Tamara Mascara hauptberuflich von ihrer Kunst. Als Show-Act im Burlesque-Stil, DJane, Designerin, Eventveranstalterin, Youtuberin und Geschäftsfrau mit eigenem Webshop für eine Luxury- Eyelash-Kollektion erweist sie sich als ungewöhnlich vielseitig.

Der Weg dorthin war hart und steinig. Sich Blut, Schweiß und Tränen nie ansehen zu lassen, war eines ihrer Erfolgsrezepte. Dazu war sie in ihrer Anfangszeit als Teenager eine der jüngsten Dragqueens und gern gesehener Partygast. Statt bloß zu feiern, versuchte sie Aufgaben zu finden, die Jobs nach sich ziehen könnten. "Was wäre eine Geschäftsidee?" Diese Frage stellte sie sich früh. Als Hostess beim Clubeingang um 50 Euro pro Nacht die Gäste zu unterhalten, war einer der ersten Jobs. "Zu Ostern war ich als Häschen verkleidet, am Valentinstag hatte mein Outift Herzerl", erzählt sie. Den Netzwerkeffekt, alle Gäste kennenzulernen, gab es gratis dazu.

Später verdingte sich Tamara Mascara als DJane, erarbeitet einen Show-Act und verdiente Geld als Designerin. "Ich habe geschuftet und gekämpft und oft nicht gewusst, wie ich die Miete zahlen soll. Aber ab dem Zeitpunkt, wo ich die Perücke aufgesetzt habe, war ich die Luxuspuppe", beschreibt sie ihre Inszenierung. Heute ist sie zudem Gastgeberin der gefragtesten Szene-Events (siehe Kasten). Seit drei Jahren läuft das Geschäft rund, wie sie sagt.

Dragqueen im Hauptabendprogramm ist dennoch eine Herausforderung. "Ein ordentliches Kreuz", lacht Tamara Mascara der Bürde entgegen. Sie tanzt nicht nur für sich - wie die anderen Kandidaten -, sondern auch stellvertretend für eine Community. Österreichs Blick auf Dragqueens nachhaltig prägen zu können, betrachtet sie als Verantwortung. "Wir werden bei den Proben gefilmt, jedes Wort wird aufgenommen. Aus dem Material einer ganzen Woche wird ein Kurzfilmchen geschnitten. Natürlich überlege ich, was ich sage. Ich will ja meine Szene professionell vertreten", erklärt sie. Ein modernes, stilvolles Bild von Dragqueens möchte sie zeigen. "Nicht jede Dragqueen ist hysterisch und kotzt Glitter", will sie Klischees zurechtrücken. Dass man sehen kann, wie Raphael beim Training schwitzt, leidet und emotional ist, damit Tamara danach im Ballroom glänzen kann, gefällt der Diva und ihrem Assistenten - wie sie sich und die Kunstfigur beschreibt -besonders. "Ich glaube, es fördert das Verständnis, wenn beide zu sehen sind."

Oma Gitti versteht das

Für den jungen Mann, der in Jeans und Pulli im Restaurant aus seinem Leben erzählt, ist seine Schöpfung Tamara Mascara die Bündelung all seiner kreativen Talente und Interessen. Ein selbstgezimmerter Traumjob quasi. Genäht hat er schon als kleiner Bub gern, auch mit Oma Brigitte, genannt Gitti. In einem seiner Youtube-Videos lässt sich die 80-Jährige vom Enkel schminken und plaudert aus dem Nähkästchen. Toll findet sie, was er macht, und schwärmt von ihrem Besuch auf der Regenbogenparade. "Man muss jeden lassen, wie er will", sagt die Oma, die weiß, dass nicht alle verstehen, warum der Enkel sich gern als Glamour-Lady inszeniert.

© ORF/Roman Zach-Kiesling Tänzer Dimitar Stefanin und Raphael Massaro

Die Familie hat ihn immer frei entscheiden lassen. "Ich durfte mich verkleiden, malen, nähen, mit Puppen spielen. Ich wurde nie belächelt", erzählt Tamara Mascara. "Ein Kind auszulachen für seine Interessen, wäre der größte Fehler. Damit nimmst du ihm jedes Selbstbewusstsein, zu seinen Interessen zu stehen." Mut war neben der Unterstützung der Eltern - Mutter Doris ist Sozialarbeiterin, Vater Helmut Sportartikelhändler -schon im Kindergartenalter sein treuer Begleiter, erzählt er. "Du gehst in den Kindergarten, alle spielen mit Autos und du hast einen pinkfarbenen Pulli an und Barbiepuppen mit, weil es dir taugt", erinnert er sich an entmutigende Reaktionen. Als in der Volksschule die Ballettschule dazukam, wurden die Angriffe nicht weniger. "Ich habe es aber durchgezogen", sagt Mascara.

Frauenduft statt Bier und Fußball

Ihre Geburtsstunde schlug in der Modeschule Hetzendorf. Massaros Entwürfe waren sehr kurvig, mit Korsagen, Schulterpolstern und engen Röcken versehen. Die Models trugen seine Kreationen deshalb ungern. Sie wollten auch das Make-up nicht so stark wie vorgesehen und keine großen Frisuren. "Um meiner Vorstellung von Ästhetik zu genügen, war mir klar, dass ich das selbst anziehen muss", erinnert er sich. Die weibliche Ästhetik hat ihn seit jeher fasziniert. "Männer habe ich begriffen als Bier trinkend, Fußball spielend und nach Schweiß stinkend. Frauen waren die Wesen, die geduftet haben, elegant waren wie etwas Göttliches." Der Drang, so etwas zu kreieren, habe das Feuer für die Berufung entfacht, erzählt er.

Tamara Mascara beschreibt er als Rolle, die vieles tut, das Raphael nie täte. Wie man im Fasching verkleidet auch anders agiere als ohne Kostüm. "Tamara entspringt meiner Person wie beim Schauspieler seine Rollen", so der Schöpfer.

»Wir treiben die Weiblichkeit bewusst auf die Spitze, um Leute zu unterhalten und zu verzaubern«

Ein einziges Mal hatte die Mutter Sorge. Nicht, als er mit 15 anfing, erstmals in günstigen Kleidern gestylt fortzugehen. Oder später, als er den Job bei einer Modekette hinschmiss, um sich als Dragqueen selbstständig zu machen. Der Moment war jener, als der Sohn ihr den Unterschied zwischen Dragqueens und Transsexuellen erklären musste, weil ihr der Gedanke an einen medizinischen Eingriff Angst bereitet hatte. "Dragqueens haben kein Interesse daran, ihr Geschlecht umoperieren zu lassen. Wir wollen keine Frauen sein. Wir treiben die Weiblichkeit bewusst auf die Spitze, um Leute zu unterhalten und zu verzaubern."

Oft sind Dragqueens auch Speerspitzen im Kampf um Gleichberechtigung. Als ästhetischen Protest bezeichnet es Tamara Mascara, wenn sie beim Juristenball glänzt. Dann brauche sie kein Schild mehr, ihre Anwesenheit sei Botschaft genug, sagt sie. Als Kern ihrer Botschaft erachtet sie die Forderung nach "Freiheit für jeden Menschen, zu sein, auszusehen und zu leben, wie er möchte". Der Weg dahin sei noch weit. "Im Showbiz sind wir seit Langem gerne gesehen. Aber wenn wir von der Bühne steigen und ein Kind adoptieren wollen oder heiraten, wird es schwierig."

Die Kunst mag vergänglich sein, Tamara Mascaras Botschaft bleibt.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 10/20

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