Was Jens Harzers Weggang vielleicht lehren könnte

Die neue Burgtheaterdirektion beginnt im Herbst mit einer fabelhaften Rückholoffensive vertriebener Stars. Der Beste ist leider schon wieder gegangen. Im Kino glänzen dafür Simon Morzé und Adele Neuhauser

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Um jegliches Missverständnis zu unterbinden: Auf den Herbst im Burgtheater kann man sich freuen. Der Spielplan ist frisch und interessant, und allein die tollen Schauspieler, die Direktor Stefan Bachmann zurückbetören konnte, neigen die Waagschale tonnenschwer zuungunsten des Vorgängers Martin Kusej. Das für mich Aufregendste war dabei das Engagement des Iffland-nobilitierten Jens Harzer, eines der allergrößten deutschsprachigen Schauspieler, seit Gert Voss die Bühne verlassen hat. Er sollte mit einem „Hamlet“-Projekt in der Regie von Karin Henkel die Tür in die neue Zeit öffnen.

Sollte? Ja, leider. Denn wie die Burg auf Anfrage bestätigt, hat sich Harzer aus privaten Gründen mit der Direktion geeinigt, „Hamlet“ zu verlassen. Ob ihm damit die Titelrolle im engeren Sinn entgeht, wurde schon auf der Programmpressekonferenz klug offengelassen: Grundlegend, so hört man seit Längerem, würden Stück und Rolle durch entschlossene Textbearbeitung dekonstruiert.

Überraschen würde mich das nicht in Kenntnis des vielerorts ekstatisch akklamierten Salzburger Festspielvorkommnisses „Richard the Kid & the King“ vor drei Jahren. „Richard III.“ wäre das gewesen, doch Regisseurin Henkel verwendete allen Scharfsinn darauf, aus der beachtlichen Schauspielerin Lina Beckmann einen eindimensionalen, „lecker Erdbeeren“ brabbelnden Wechselbalg zu formen.

Nun kann das „Hamlet“-Konzept gewiss auch genial sein, und Harzers privaten Gründen zu misstrauen, steht mir nicht zu. Keinesfalls nämlich neigt er zu konservativem Duckmäusertum: Die Laudationes zum Iffland-Ring hielten Peter Handke, von dem er zwei Stücke uraufgeführt hat, und der Postdramatiker Johan Simons, einer der großen Neudenker, mit denen Harzer stets gern gearbeitet hat.

Das Schönste ist ihm allerdings mit den Avantgardisten des puren, text- und schauspielerzentrierten Theaters gelungen: mit Luc Bondy, Dieter Dorn und Andrea Breth. Die sich übrigens in diesen Tagen über 20 Minuten Ovationen an der Brüsseler Oper freuen durfte, als ihre Inszenierung von Brittens „Turn of the Screw“ nach pandemiebedingter Streaming-Existenz endlich vor Publikum gezeigt wurde.

Andrea Breths österreichische Verpflichtungen innerhalb prallvoller nächster Jahre beschränken sich allerdings auf ein Einpersonenstück in der „Josefstadt“, was doch zu denken geben sollte. Und in aller Vorsicht hänge ich zarte Zweifel an, dass Harzer auch einen Breth-„Hamlet“ abgesagt hätte. Denn, um die Sache endlich zu beschließen: Wenn man „Hamlet“ und Jens Harzer hat, spielt man „Hamlet“ mit Jens Harzer. Und „Sein oder Nichtsein“, nicht „lecker Erdbeeren“.

Keine Frage aber, wie gesagt, dass ich mich auf den Herbst freue. Zumal mit dem Burgtheater sehr mittelbar auch das Folgende zu tun hat. Kusej hat vor seinem Amtsantritt die beliebte Schauspielerin Petra Morzé unter kolportiert rüpelhaften Umständen auf die Straße befördert. Jetzt wurde ihr hochbegabter Sohn Simon als bester Hauptdarsteller mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Er ist 28 Jahre alt wie Felix Kammerer, der die Auszeichnung im Vorjahr entgegennehmen durfte und nach „Im Westen nichts Neues“ schon ein handliches Angebotspäckchen aus Hollywood im Tornister hatte. Zudem bringt uns die Wunderschauspielerin Adele Neuhauser den deutschen Nebenrollenpreis heim. Solch ein Reichtum an österreichischer Schauspielkunst, und doch kann kaum mehr jemand Nestroy, Schnitzler und Horváth besetzen!

Darf ich da zarte Adaption der Engagementpolitik anregen? Kusej hat sinnlos unter den österreichischen Schauspielern gewütet, Alina Fritsch und Laurence Rupp, heute groß im Fernsehgeschäft, hätte man gern weiter gesehen. Als Robert Meyer die Volksoper verließ, wurde allseits seine Rückkehr an die Burg erwartet, wo das ältere Horváth-Fach derzeit vom nicht nur idiomatisch defizitären Oliver Nägele belegt ist. Aber Meyer spielt in München und an der „Josefstadt“, wo auch markante Versprengte der Castrop-Rauxelung des Volkstheaters eine Heimat fanden. Als kürzlich in den Kammerspielen der verschwundene Wolfgang Hübsch auftauchte wie ein guter Geist, bekam man dort plötzlich keine Karten mehr. Nikolaus Habjan ist quasi Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin. In Reichenau ist Maria Happel mit lauter jungen Österreichern eine traumhafte Joseph-Roth-Adaption gelungen. Notabene: Das ist keine Aufforderung zur Provinzialisierung, auch Udo Samel, Angela Winkler und Sven-Eric Bechtolf sind frei. Und dass Harzer, geboren in Wiesbaden, zurückgeholt werden muss: Allein der Hinweis würde die Burg-Direktion beleidigen.

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