Spielsucht: Ab wann ist Spielen krankhaft?

Die Folgen der Spielsucht sind mitunter verheerend. Nicht nur für Betroffene, sondern auch für deren Familie. Ab wann Spielen zur Krankheit wird, wer besonders gefährdet ist und wo Betroffene Rat und Hilfe finden, erläutert die Suchtexpertin Prof. Gabriele Fischer.

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Psychologie - Spielsucht: Ab wann ist Spielen krankhaft? © Bild: iStockphoto.com

Inhaltsverzeichnis

Was ist Spielsucht?

Bei der Spielsucht handelt es sich um eine psychische Störung, genauer gesagt um eine Impulskontrollstörung. Während sich der Begriff bisher lediglich auf das Glücksspiel bezog, wird die Spielsucht in der aktualisierten Version des ICD-Katalogs - dieser umfasst sämtliche Krankheiten, physisch wie psychisch - nun erstmals als eigenständige Diagnose gelistet. Dabei wird zwischen einer Online-, einer Offline- und einer nicht näher definierten Spielsucht differenziert. Hier geht es zur Definition laut ICD-11.

Wie äußert sich Spielsucht?

"Es kommt zu Kontrollverlust, zu einer Einschränkung im Denken insofern, als dass sich der Denkinhalt zentral um das Glücksspiel dreht. Das Glücksspiel absorbiert zunehmend die Aufmerksamkeit", veranschaulicht Fischer, während es andere Interessen nach und nach verdrängt. Hinweise aus dem Freundes- oder Familienkreis, dass sich der Betreffende mit seinem Verhalten möglicherweise selbst schadet, werden ignoriert. Hat er trotz starkem Drang nicht die Möglichkeit zu spielen, kann es zu extrem gereizten Zuständen kommen. "Weil die Leute Entzugsbeschwerden haben", erklärt die Expertin. Natürlich keine körperlichen, handelt es sich bei der Spielsucht doch um eine substanzungebundene Suchterkrankung. "Auf der Verhaltensebene ist die Symptomatik aber, verglichen mit einer Alkohol-, Tabletten- oder jeglicher anderer, wie es korrekt heißt, Substanzgebrauchsstörung, ident."

Ab wann spricht man von Spielsucht?

Um die Diagnose "Spielsucht" stellen zu können, müssen die Symptome "in der Regel über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten nachweisbar" sein, wie es im ICD-11-Katalog heißt. Wenn sämtliche diagnostische Voraussetzungen erfüllt und die Symptome schwerwiegend sind, kann die Diagnose auch schon zu einem früheren Zeitpunkt gestellt werden. Wobei Spielsucht, wie die Expertin betont, nur sehr selten vorkommt. Während etwa zehn bis 15 Prozent der Österreicher an einer Alkoholerkrankung leiden, liegt der Anteil der Spielsüchtigen bei unter einem Prozent. 99 Prozent jener, die spielen, tun dies aus einem Freizeitverhalten heraus. "Genauso wie andere Golf oder Tennis spielen", so Fischer.

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Woher kommt Spielsucht?

Die Ursachen der Spielsucht sind ident mit denen jeglicher anderer Suchterkrankung, erklärt die Expertin und spricht von multifaktoriellen Einflüssen. Eine genetische Vorbelastung kann ebenso eine Rolle spielen wie andere psychiatrische Grunderkrankungen. Nicht selten geht die Spielsucht mit Stimmungsschwankungen einher. "Häufig tritt sie auch gemeinsam mit anderen Suchterkrankungen wie Alkohol- oder Kokainabhängigkeit auf."

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Welche Arten von Spielsucht gibt es?

Der ICD-11-Katalog unterscheidet zwischen Online-, Offline und einer nicht näher definierten Spielsucht. "Dadurch, dass während der Lockdown-Phasen Casinos und Spielhallen geschlossen waren, hat sich das natürlich ins Internet verlagert", erläutert die Fachärztin. "Ob die Leute nun aber in ein Casino gehen oder im Internet spielen - das klinische Muster ist dasselbe." Es kommt zur Frequenz- und Intensitätssteigerung und auch die Schlüsselreize spielen da wie dort eine wichtige Rolle. "Man sieht eine Werbung von einem Glücksspielanbieter und hat das Gefühl, man muss spielen." Egal, ob im realen oder im virtuellen Raum.

Welche Phasen gibt es bei der Spielsucht?

"Phasen im herkömmlichen Sinn gibt es bei der Spielsucht nicht", sagt die Expertin. Man sei ja nicht an einem Tag gesund und am nächsten hätte man die Diagnose. Vielmehr entwickle sich die Krankheit kontinuierlich. Das Spielverhalten kann dabei anhaltend oder episodisch und wiederkehrend auftreten.

»Es kommt zur Verarmung von Familien«

Welche Gefahren birgt die Spielsucht?

Die Spielstörung "führt zu ausgeprägtem Stress oder erheblichen Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen", wie es im ICD-11-Katalog heißt. Dennoch ist der Betroffene nicht in der Lage aufzuhören. "Man braucht immer mehr Geld, borgt sich welches aus und unter Umständen kommt es dann auch zu delinquentem Verhalten." Fischer spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten Beschaffungskriminalität. In der Regel verschuldet sich der Betroffene, was wiederum verheerende Folgen für dessen Angehörige haben kann. "Es kommt zur Verarmung von Familien."

Wer ist besonders gefährdet?

Rund 70 Prozent der Betroffenen sind männlich. Wobei Frauen, wenn sie erkranken, "einen späteren Beginn, dafür aber eine kürzere Dauer haben, bis sich eine schwerwiegende Problematik entwickelt", erklärt Fischer. Ein Phänomen, das man bei Frauen, die suchtkrank sind, häufig beobachten könne. Oft geht die Spielsucht auch mit einer Aufmerksamkeitsdefiziterkrankung, den meisten geläufig unter der Abkürzung ADHS, einher. Das Spielen dient dem Betroffenen als Kompensation, als "eine Art Selbstmedikation".

Umso wichtiger ist es, dass man sich, wenn man das Gefühl hat, sein Spielverhalten nicht mehr kontrollieren zu können, an eine psychiatrische Abteilung wendet. "Weil da wird eine umfassende Diagnostik gemacht und nicht fälschlicherweise an einem klinischen Symptom, wie es das Spielen in dem Fall ist, festgehalten." Zu 80 Prozent liege dem Spielverhalten nämlich eine ganz andere psychiatrische Erkrankung zugrunde. "Und wenn man die dann behandelt, ist auch das Spielverhalten gut unter Kontrolle zu bringen", weiß die Suchtexpertin.

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Soziale Isolation, wie sie während der Pandemie vermehrt stattgefunden hat, gepaart möglicherweise auch noch mit Arbeitslosigkeit, begünstigt bei Menschen, die bereits eine gewisse Prädisposition haben, die Entstehung von Spielsucht. "Da ist die Gefahr, dass man hängenbleibt, höher."

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Gibt es Spielsucht auch bei Kindern?

"Spielen ist ein elementares Verhalten in der Entwicklungsgeschichte", betont Fischer. "Kleine Kinder spielen." Natürlich sei das Verhaltensmuster von Kindern und Jugendlichen heute ein anderes als etwa vor zehn Jahren. Viele sind bereits in jungen Jahren mit Notebook, Handy und Co. ausgestattet. "Die Kinder haben heute eine andere Affinität zu elektronischen Medien", was allerdings nicht zwingend etwas an der Spielfrequenz ändere. Nichtsdestotrotz sollten Eltern diese stets im Auge behalten.

»Spielen ist ein elementares Verhalten in der Entwicklungsgeschichte«

Zudem sei zu beachten, in welcher Umgebung der Nachwuchs spielt. "Alles, was in einer Sichtbarkeit passiert, ist viel weniger dramatisch, als wenn sich Jugendliche in ihr Zimmer zurückziehen, die Vorhänge zuziehen und sich nur mehr dem Spielen widmen." Je sichtbarer das Verhalten, desto früher kann man eingreifen, um zu verhindern, dass es überhandnimmt. Das gilt im Übrigen fürs Serien-Schauen genauso wie fürs Gaming. Zwar könne man anhand der Spieldauer allein noch nicht auf ein Suchtverhalten schließen, wenn die Unterbrechung des Spiels aber zu gereizten Zuständen und Missgelauntheit führt, schulische und andere Aktivitäten vernachlässigt werden, ist Obacht angesagt.

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Was passiert dabei im Gehirn?

Neurobiologisch gesehen handelt es sich bei der Spielsucht, so, wie bei jeder anderen Suchterkrankung auch, um eine Störung des Dopaminhaushalts. Die dahinterliegende Wirkungsweise ist folgende: Durch das Spielen kommt es im Belohnungssystem des Gehirns zur vermehrten Ausschüttung von Dopamin, dem sogenannten Glückshormon. Das Gehirn speichert den Zusammenhang zwischen dem Spielverhalten und dem verbesserten Gefühlszustand ab. Mit der Zeit entwickelt sich ein Verlangen nach Ersterem. Ausgelöst wird dieses, ergänzt Prof. Peter Berger, Leiter der "Ambulanten Behandlungseinrichtung Spielsuchthilfe", durch Hinweisreize einerseits, etwa einen mit Spielautomaten ausgestatteten Saal, und das Bewusstsein anderseits, dass das Spielen zu einem verbesserten Befinden beiträgt. Der Drang zu spielen wird immer stärker. Gleichzeitig verlieren alternative Verhaltensweisen, die bisher zu einem verbesserten Wohlbefinden beigetragen haben, ihren positiven Effekt und damit auch ihre Bedeutung. "Das Belohnungssystem stumpft ab", erklärt Berger. Es verlangt nach einem starken Dopaminreiz, den in dem Fall nur mehr das Spielen liefern kann.

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Was tun als Angehöriger?

"Für die Angehörigen ist das eine unglaubliche Belastung", weiß Fischer. Oft bestehe über lange Zeit hinweg eine Art Co-Abhängigkeit. Leidet der Mann als Hauptverdiener an Spielsucht, kommt es über kurz oder lang zu finanziellen Nöten. "Die Frau hat dann häufig nicht einmal mehr genug, um für die Familie einzukaufen." Umso wichtiger ist es, das Problem offen anzusprechen - auch wenn die Thematik stark schambesetzt ist. Den Betroffenen dazu zu bewegen, sich in Behandlung zu begeben, ist mit Sicherheit kein leichtes Unterfangen. Nicht zuletzt deshalb, weil er oft keine Krankheitseinsicht hat, zumal eine erfolgreiche Therapie ja den Verzicht auf das vermeintlich Unverzichtbare bedeutet. "Es braucht besonderen Mut zu sagen: 'Es ist zu viel. Bitte nimm das ernst! Wir gehen jetzt zum Spezialisten!'", weiß die Expertin. Wie bei jeder anderen Erkrankung gilt aber auch hier: Je früher der Patient ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, desto besser!

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Wo finden Betroffene Hilfe?

Die "Ambulante Behandlungseinrichtung Spielsuchthilfe" und das "Anton Proksch Institut" bieten Betroffenen sowie deren Angehörigen kostenlose Beratung und Behandlung. Fischer wiederum rät, sich im Falle des Falles an eine psychiatrische Abteilung, egal, welchem Krankenhaus sie angehört, zu wenden. "Über die Jahre hat sich eine Vereinskultur etabliert, über die diverse Beratungen angeboten werden." Hier könne allerdings nicht garantiert werden, dass das Personal ausreichend versiert ist. "Die Spielsucht ist eine psychische Erkrankung und die soll auch von Fachleuten diagnostiziert und behandelt werden", betont die Expertin.

»Es braucht besonderen Mut zu sagen: Es ist zu viel. Wir gehen jetzt zum Spezialisten!«

Wie behandelt man Spielsucht?

Die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist groß. Das hat mehrerlei Gründe. Zum einen haben Suchtkranke häufig nicht das Gefühl, krank zu sein. Zum anderen ist die Spielsucht nach wie vor stark stigmatisiert. Aus Scham, an einer vermeintlich minderwertigen Erkrankung zu leiden, scheut die Person davor zurück, Unterstützung zu suchen. Zudem wissen Betroffene oft nicht, an wen sie sich wenden können. Dennoch führt kein Weg daran vorbei, einen Facharzt zu konsultieren. Zur Anwendung kommt sodann für gewöhnlich eine Kombination aus Psycho- und Verhaltenstherapie. Die Wirksamkeit Letzterer im Zusammenhang mit Spielsucht ist gut belegt. Auch Medikamente können zum Einsatz kommen. Rückfälle sind möglich. Das therapeutische Ziel besteht folglich darin, die Intensität der Rückfälle zu reduzieren und die abstinenten Phasen zu verlängern.

© Rafaela Pröll

Univ.-Prof. Dr. med. Gabriele Fischer ist Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und Suchttherapie an der Medizinischen Universität Wien und Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Seit 1994 widmet sie sich der Suchtforschung. Sie ist Universitätsrätin der Medizinischen Universität Innsbruck, Mitglied der Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Vorstandsmitglied der CPDD (College on Problems of Drug Dependence) sowie der ISAM (International Society of Addictional Medicine). Sie berät das Europaparlament, die WHO und die UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime).

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