Multiresistente Keime: Die unsichtbare Bedrohung

Mehr als eine Million Menschen sterben jährlich an multiresistenten Keimen. Zu den Risikofaktoren für eine Ansteckung zählt auch das Reisen. Was Urlauber beachten sollten und was jeder beitragen kann, damit die Zahl der resistenten Bakterien nicht weiter ansteigt.

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Multiresistente Keime © Bild: Getty Images

Die Warnung der WHO ist unmissverständlich: Sollte sich nichts ändern, werden 2050 weltweit mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs. Schon heute stellen die Erreger, gegen die keine Medikamente mehr helfen, ein großes Problem dar. Zwar gibt es keine genauen Zahlen über Todesfälle. Eine im Fachmagazin "Lancet" veröffentlichte Studie geht aber davon aus, dass im Jahr 2019 weltweit 1,2 Millionen Menschen an multiresistenten Keimen gestorben sind.

100 Billionen Bakterien

Jeder von uns ist - vor allem auf der Haut und im Darm - von mehr als 100 Billionen Bakterien besiedelt. Rund ein bis drei Prozent unserer Körpermasse sind auf diese Keime zurückzuführen. Das ist aber in den meisten Fällen nicht schlecht, sondern im Gegenteil: Viele davon sind für unsere Gesundheit wichtig.

Ist das Immunsystem eines Menschen allerdings etwa durch Operationen, schwere Krankheiten oder fortgeschrittenes Alter geschwächt, können einige der Bakterienstämme zum Problem werden und Erkrankungen auslösen. In den meisten Fällen können sie zwar noch mit Antibiotika behandelt werden. Doch die Zahl der resistenten Keime steigt weltweit.

Meist Spitalspatienten betroffen

In Österreich selbst sei die Lage betreffend multiresistenter Keime aktuell stabil, weiß Birgit Willinger, Leiterin der Abteilung für Klinische Mikrobiologie am Klinischen Institut für Labormedizin der MedUni Wien. "Primär sind hospitalisierte Patienten mit Grunderkrankung betroffen. Bei ihnen ist die Infektion mit einem multiresistenten Erreger lebensbedrohlich." Die Situation in den Spitälern werde genauestens beobachtet. "Wir ermitteln bei einer Erkrankung den exakten Erreger und ob er Resistenzen aufweist oder nicht", erklärt die Medizinerin. Denn bei bestimmten multiresistenten Keimen werden die betroffenen Patienten umgehend isoliert.

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Durch die penible Überwachung und strikte Einhaltung von Hygieneplänen zeigen sich erste Erfolge. So konnte die Zahl der Infektionen durch MRSA, jenen Keim, der unter anderem Wundinfektionen, Mittelohr- und Lungenentzündungen auslöst und der nicht mehr wirksam mit Antibiotika bekämpft werden kann, deutlich reduziert werden. "Wir hatten hier eine Resistenzrate von zehn bis 15 Prozent. Heute sind es nur mehr fünf Prozent", so Willinger.

Anders sei die Situation hingegen bei E. coli, der sich im Darm ansiedelt und zu schweren Magen-Darm-Erkrankungen führen kann: "Hier entwickeln sich Resistenzen relativ rasch."

Gesundheitskompetenz fördern

Gleich mehrere Gründe sind dafür verantwortlich, dass es überhaupt zur Bildung von Resistenzen kommt. "Ein Problem ist, dass Antibiotika oft dort eingesetzt werden, wo sie gar nicht nötig wären", erklärt Birgit Willinger. So würden Patientinnen und Patienten bei Schnupfen und anderen Erkältungskrankheiten darauf bestehen, obwohl sie in diesen Fällen sinnlos sind, da sie nur bei bakteriellen Erkrankungen helfen, nicht aber bei jenen, die durch Viren ausgelöst werden.

Gleichzeitig zeigte eine Studie allerdings, dass die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher nach wie vor fälschlicherweise glaubt, Antibiotika würden gegen Viren helfen.

»Das sind keine Zuckerln, die man nimmt, weil sie noch am Nachtkastl herumliegen«

Aufgrund solcher Ergebnisse ist es mittlerweile auch für große Versicherungskonzerne wichtig, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu steigern. "Wir stehen vor einem veritablen Problem, das großes Leid verursacht, Millionen an Lebensjahren kostet und nicht zuletzt wirtschaftlich sehr teuer ist", betont Peter Eichler von Uniqa.

Multiresistente Keime in Tieren und Umwelt

Da zwischen Antibiotika-Verbrauch und Resistenzentwicklung ein direkter Zusammenhang besteht, wäre es für Willinger wichtig, dass Ärzte einen Bluttest machen, mit dem eine bakterielle Erkrankung bestätigt werden kann, bevor sie Antibiotika verschreiben.

An die Patientinnen und Patienten appelliert sie zudem, diese Medikamente ausschließlich dann zu nehmen, wenn sie tatsächlich verschrieben wurden: "Das sind keine Zuckerln, die man nimmt, weil noch welche am Nachtkastl herumliegen."

Resistente Keime sind nicht einzig beim Menschen ein Problem, sondern wurden ebenso in Tieren und sogar im Wasser nachgewiesen. Eine weitere Forderung Willingers ist daher, Antibiotika in der Tierzucht noch weiter zu reduzieren. Auch wenn, wie sie betont, in den vergangenen Jahren der Einsatz bereits deutlich weniger wurde.

Erst vor wenigen Wochen wurden etwa resistente Bakterien bei Hühnerfleisch in einem deutschen Supermarkt entdeckt. Wird bei der Zubereitung des Fleisches nicht auf ausreichende Hygiene geachtet beziehungsweise wird dieses nicht ausreichend erhitzt, gelangen diese Keime in den menschlichen Körper und können sich dort vermehren.

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Risikofaktor Reisen

Ein Risikofaktor sind zudem Reisen in den Süden Europas und nach Asien. Denn anders als in Österreich sind hier multiresistente Erreger weit verbreitet. "In asiatischen Ländern, allen voran in Indien, ist die Zahl an multiresistenten Bakterien enorm hoch. In diesen Ländern besteht eine große Wahrscheinlichkeit, beispielsweise über Lebensmittel damit in Kontakt zu kommen", sagt Willinger. Dann können sich die Keime im Darm ansiedeln und zurück zu Hause weitergegeben werden.

Entscheidend ist für die Medizinerin, dafür zu sorgen, gar nicht erst damit in Kontakt zu kommen und so Infektionen zu verhindern: "Auf Reisen ist es vorteilhaft, auf rohes Fleisch zu verzichten und keine Tiere zu streicheln." Zudem rät sie zu ausreichender Hygiene, etwa vor jedem Essen die Hände zu waschen. So wird das Risiko reduziert, dass Erreger von den Händen in den Mund gelangen.

Sollten bis zu drei Wochen nach einer Asien- oder Südeuropareise Magen-Darm-Probleme auftreten, ist es sinnvoll, den Arzt von der Auslandsreise zu informieren. Denn eine exakte mikrobiologische Diagnostik sei in diesem Fall sinnvoll, um den Erreger festzustellen und gezielt zu behandeln.

Mehr Forschung zu multiresistenten Keimen notwendig

"Die Entwicklung neuer, gegen die multiresistenten Keime wirksamer Antibiotika wäre sehr wichtig", so die Ärztin weiter. Das Problem sei jedoch, dass die Entwicklung teuer sei und "die Pharmaindustrie eher chronisch kranke Patienten liebt, die Medikamente lang und nicht nur kurz, wie das bei Antibiotika der Fall ist, einnehmen".

Eine Möglichkeit, die Resistenzrate zu senken, wäre für Willinger, die Preise für Antibiotika zu erhöhen. So wäre einerseits der Anreiz für Entwicklungen größer, andererseits würden weniger davon verschrieben werden. Beides trägt dazu bei, die Todesfälle durch resistente Keime langfristig zu reduzieren.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 23/2023.