Vom Karneval zur Demokratiekrise

Die bedenkliche Entwicklung des politischen Diskurses in Österreich steuert auf einen traurigen Höhepunkt zu

von Kathrin Gulnerits © Bild: News/Matt Observe

Der Karneval ist traditionell die Zeit, wo es beim politischen Aschermittwoch da wie dort und je nach Standort Kritik, vor allem aber Spott für den politischen Gegner, die anderen, die Mächtigen hagelt. Vor vollen Hallen und mit viel Tamtam. Bestenfalls witzig. Jedenfalls schlagfertig. Dazu viel Bier und noch mehr Beifall. In der Regel gibt es im Anschluss nichts, was noch einer Analyse, einer näheren Betrachtung bedarf. Hängen bleibt ein flotter Spruch mit Ablaufdatum. So war es immer. Doch so ist es nicht mehr.

Ein Jahr ist es her, da wurden in diesem traditionellen Setting Grenzen verschoben. Nämlich als Herbert Kickl in seiner ersten Aschermittwochsrede als FPÖ-Chef gegen "Mumie" Bundespräsident Van der Bellen wetterte, die "senil" in der Hofburg hocke, und wo er den Kanzler als "Plage der Nation" bezeichnete. Es war der Auftakt einer Grenzverschiebung, die seither stetig passiert und natürlich schon weit vor Kickl begann. Nämlich mit dem Aufstieg von Jörg Haider in den 80er-Jahren. Kickl agiert freilich radikaler und schamloser. Gewissenhaft und gewissenlos. Skrupellos. Die Regierenden, die Kickl vor einem Jahr zu "Trotteln" erklärte, werden heute, beim traditionellen Neujahrstreffen der FPÖ vor ein paar Tagen, als "Übeltäter", "Systemlinge", "Gauner" und "Verantwortungsflüchtlinge" tituliert.

Vor einem Jahr waren "wir", jedenfalls sehr viele in diesem Land, angesichts der Wortwahl noch irritiert und schockiert. Und heute, ein Jahr später? Werden verbale Grenzverschiebungen zur Kenntnis genommen. Auch schwer problematische Begriffe. Beinahe beiläufig und mühelos hat es der "Volkskanzler" in den (medialen) Sprachgebrauch geschafft. Natürlich nicht ohne Kritik und Empörung, aber das Kalkül ist längst aufgegangen und beeinflusst die Art und Weise, wie heute politische Debatten geführt werden, Denkmuster und Handlungen. Es ist ein Dilemma. Auch, aber nicht nur für die Medien, deren Aufgabe es natürlich ist aufzuzeigen, wenn mit Sprachbildern Grenzen überschritten werden. Und deren Verantwortung es ebenso ist, klar zu machen, was Wählerinnen und Wähler bekommen, wenn sie die FPÖ wählen.

»Was ist ein Benennen der Probleme? Was ein Hochschreiben?«

Aber was ist ein Benennen der Probleme? Was ein Hochschreiben? Wie umgehen mit einem Parteichef, der sich bis auf ein, zwei Auftritte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen jeglichem demokratischen Diskurs entzieht und trotzdem den medialen und politischen Kurs bestimmt? Hetzerisch, diffamierend, polemisch und ausgrenzend. Er, der von ungarischen Verhältnissen träumt. Er, der immer noch eine Minderheit in diesem Land repräsentiert und trotzdem "das Kommando übernehmen" will. Er, der den gesellschaftlichen Zusammenhalt hintertreibt und den Respekt vor demokratischen Institutionen untergräbt? Wohlwissend, dass stete Erregung vor allem zu Gewöhnung, Normalisierung und Resignation führt.

Schillernde Versprechungen und polarisierende Parolen, Ausgrenzungsrhetorik und Kampfbegriffe bestimmen den Diskurs im Superwahljahr 2024. Im kleinen Österreich - und in der großen Welt. Als Donald Trump 2020 das Weiße Haus verlassen musste, frohlockte der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk, "Trumps Niederlage kann der Anfang vom Ende des Triumphs des Rechtspopulismus auch in Europa sein." Eine Fehleinschätzung. Auch, weil wir Medien keine Antworten auf viele Fragen haben. Weil der Machtwille Einzelner groß und die Hoffnung auf Entzauberung noch größer ist. Und weil wir alle gemeinsam wohl noch nicht hinreichend wahrgenommen haben, wie ernsthaft die Bedrohung für unsere Demokratie inzwischen geworden ist.

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