Regierungskrise: "Österreich hatte schon vorher ein großes Problem"

Wie wirken sich die innenpolitischen Erdbeben der vergangenen Tage auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik aus? Wie gefährlich ist das für die Demokratie? Und was braucht es, um das Vertrauen wieder zu stärken? Tamara Ehs, Demokratieforscherin der Universität Wien und Sigmund-Freud-Privatuniversität analysiert die Situation. (Anm.: Für alle in der Causa Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung.)

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Regierungskrise: "Österreich hatte schon vorher ein großes Problem"

Wie wirken sich Ereignisse wie jene der letzten Tage auf das Vertrauen der Menschen in die Politik aus?
Es gibt ja noch keine offiziellen Umfragen, aber im Vergleich mit anderen Ländern zeigt sich, dass sich Korruption und Korruptionsaufdeckung in einer Abwendung von der Politik oder in einer Politikverdrossenheit zeigen kann sowie in einem Rückzug von den staatlichen Institution. Demokratie lebt ja davon, dass die BürgerInnen den staatlichen Einrichtungen und den handelnden Personen vertrauen. Und Korruption auf dieser staatlichen Ebene und so systematisch, wie es mutmaßlich erfolgt ist, ist ein Angriff auf diese Institutionen und auf das Vertrauen in diese. Demokratie lebt außerdem vom Versprechen auf Gleichheit. Und wenn man das Gefühl bekommt, manche sind gleicher als andere und können es sich richten oder man merkt, es geht nicht um den WählerInnen-Willen, sondern um persönliche Machtansprüche und Machtfantasien, zieht das Vertrauenseinbußen nach sich.

»Wir nennen diese Vergehen zwar gerne kavaliersdeliktmäßig „Freunderlwirtschaft“, aber es ist tatsächlich Korruption. «

Wie groß ist der Vertrauensverlust?
Wir gehen in Österreich ohnehin schon von einem hohen Prozentsatz an Misstrauen aus. Und jede weitere Korruption verstärkt das. Von Transparency International wird etwa jährlich der „Korruptionswahrnehmungsindex“ erhoben und der liegt in Österreich mittlerweile bei sehr hohen 40 Prozent (EU-Schnitt liegt bei knapp 33/34 Prozent), also 40% haben in den vergangenen zwölf Monaten persönliche Kontakte genutzt, um im öffentlichen Sektor bevorzugt behandelt zu werden.

Wir nennen diese Vergehen zwar gerne kavaliersdeliktmäßig „Freunderlwirtschaft“, aber es ist tatsächlich Korruption. Wir gehen also ohnehin schon von einer hohen Korruptionswahrnehmung aus und dann sieht man das durch solche Aufdeckungen immer wieder bestätigt.

»Man kann das nicht wegreden«

Österreichs Bevölkerung geht also ohnehin schon davon aus, dass Korruption stattfindet und ist dann gar nicht mehr sonderlich überrascht?
Oft wird etwas durch die Chats etwa aufgedeckt und man hört dann „Das haben wir uns eh schon gedacht“. Auch als Bundespräsident Alexander Van der Bellen damals sagte „So sind wir nicht“, müssen wir jetzt wohl zugeben „Offenbar sind zumindest die schon so.“
Man kann das nicht wegreden oder sagen, die Opposition darf nicht mehr nachhaken; Was es jetzt braucht, sind vertrauensbildende Maßnahmen.

Weil Sie gerade Präsident Van der Bellen angesprochen haben. Dieser versucht in solchen Situationen ja stets zu beruhigen und scheint Herr der Lage zu sein. Bremst das den Vertrauensverlust in die Politik etwas ab?
Das ist seine Rolle. Durch seine Unparteilichkeit soll er den Überblick über das Zusammenspiel der Institutionen haben, also dass Justiz, Verwaltung, Regierung und Parlament friktionsfrei zusammenarbeiten, dass die einander kontrollieren aber auch unterstützen. Und da ist es in den letzten Monaten oft gescheitert, etwa als Finanzminister Gernot Blümel keine Akten an den U-Ausschuss liefern wollte.

» Je weniger man vom Bundespräsidenten sieht, desto besser für die Demokratie. «

Also der Präsident agiert als beruhigender Faktor, aber an der Problematik, dass er ständig eingreifen muss, ändert das auch nichts. Wenn er auftreten muss, macht er das zwar als vertrauensbildende Maßnahme, aber der Subtext ist eben: Was ist denn jetzt schon wieder passiert?
Grundsätzlich gilt: Je weniger man den Bundespräsidenten im TV sieht, desto besser für die Demokratie

Wie kann das Vertrauen jetzt wiederhergestellt werden? Was für Maßnahmen braucht es?
Jetzt geht es tatsächlich darum, sachpolitisch zu bearbeiten, was seit Jahren auch vom Europarat empfohlen – und in puncto Umsetzung stets kritisiert wird.
Und die Maßnahmen, die hier gefordert werden, sind auch jene, die wir im Antikorruptionsvolksbegehren haben. Wenn Sie also fragen, was für vertrauensbildende Maßnahmen wir brauchen, würde ich sagen: Das Antikorruptionsvolksbegehren Punkt für Punkt umsetzen.

Was wären hier wichtige Punkte?
Zum Beispiel beim Lobbyistengesetz nachzuschärfen, beim Thema Mandatskauf Gesetze nachzuschärfen, auch in Sachen Transparenz und Parteienfinanzierung nachzulegen. Außerdem brauchen wir endlich das Informationsfreiheitsgesetz, wofür ja sogar bereits ein Gesetzestext vorliegt. Und wir bräuchten dringend eine neue Medienförderung, die sich nach qualitativen Kriterien und nicht nach Auflage richtet. Viele von diesen Maßnahmen stehen schon im türkis-grünen Regierungsübereinkommen, das muss man nur endlich umsetzen. Also wann, wenn nicht jetzt?

»Solange dieses Eingeständnis nicht da ist und man immer auf das Strafrecht wartet, ist es schwer, Vertrauen wieder zurückzugewinnen. «

Aber um das umzusetzen, müsste man sich zunächst eingestehen, dass es Korruption gibt, dass es Amtsmissbrauch, Untreue, Bestechung/ Bestechlichkeit gibt. Solange dieses Eingeständnis nicht da ist und man immer auf das Strafrecht wartet, ist es schwer, tatsächlich Vertrauen wieder zurückzugewinnen.

Können Sie sich vorstellen, dass tatsächlich in nächster Zeit ein großes Antikorruptionspaket umgesetzt wird?
Nicht über das hinaus, was ohnehin schon im Regierungsübereinkommen steht. Demokratiepolitisch wäre das ganz wichtig, da einen Schwerpunkt zu setzen, ich sehe aber nicht den politischen Willen, denn da würde eben ein Eingeständnis mitschwingen und diese Schwelle muss man erst überschreiten.

»Herr Platter ist da glaube ich schon einen Schritt weiter als die ÖVP an sich «

Wir sehen aber, dass sich schon einzelne Landeshauptleute wie Herr Platter bereits distanzieren und genau das braucht es. Zu sagen: Nein, es ist kein Kavaliersdelikt und auch wenn er strafrechtlich nicht verurteilt ist, schadet das dem Amt und dadurch auch dem Vertrauen. Herr Platter ist da glaube ich schon einen Schritt weiter als die ÖVP an sich und man kann jetzt nur hoffen, dass vonseiten der Grünen und der Justizministerin der Druck kommt, bei diesen Gesetzen nachzuschärfen.

Neo-Kanzler Alexander Schallenberg sagte in seinem ersten Statement, er werde eng mit Sebastian Kurz zusammenarbeiten, alles andere wäre „demokratiepolitisch absurd“. Wie darf man das verstehen, glauben Sie?
Das war ein sehr parteipolitischer Zugang. Demokratiepolitisch wichtig wäre ein Antikorruptionsgesetzespaket durchzubringen.

„Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, wir müssen uns jeden Tag aufs Neue dafür einsetzen“, sagte Pamela Rendi-Wagner im Mai 2020 (anlässlich „65 Jahre Staatsvertrag“). Was kann jeder einzelne hier auch beitragen?
Politik ist eine ständige, tägliche Arbeit. Es geht auch darum, Demokratie nicht als etwas zu verstehen, was nur am Wahltag stattfindet, sondern auch darüber hinaus. Gerade jetzt etwa kann man das Antikorruptionsvolksbegehren unterschreiben und so tatsächlich ein Zeichen setzen, dass man mit dem, was da aufgedeckt wurde, nicht einverstanden ist. Man hat viele Möglichkeiten, sich auch zwischen den Wahltagen demokratisch zu melden, etwa im Rahmen des Petitionsrechts. Genauso kann man sich auch überlegen, welche Zeitungen und Zeitschriften kaufe ich noch? Achte ich mehr auf Qualitätskriterien? Wem schenke ich dieses Vertrauen noch? Auch das sind ja immens demokratische Akte.

Glauben Sie, ist das oftmals nicht bewusst, wie kostbar es ist, in einer Demokratie zu leben? Wird das oft für zu selbstverständlich genommen?
Ich glaube, wir haben vor allem auch durch die Corona-Pandemie Demokratie-Bildung bekommen. Das war tatsächlich ein Lerneffekt, dass man seine Grund- und Freiheitsrechte kennengelernt hat und auch gesehen hat, wie schnell es gehen kann, dass man in der Ausübung dieser eingeschränkt wird, etwa bei Demonstrationsverboten oder verschobenen Wahlen. Ich glaube, das hat schon dazu geführt, dass wir darüber nachgedacht haben, wie fragil Demokratie sein kann und ich sehe durchaus, dass da genügend Bewusstsein da ist. Was ich aber auch oft sehe, wenn ich in der politischen Bildung tätig bin, ist, dass eine Resignation da ist, also das Gefühl: „Was kann ich dagegen machen? Die tun eh, was sie wollen.“ Womit wir wieder beim Thema Korruption und Vertrauen sind.

Aufgedeckte Kourruptionsskandale wirken sich auf die Wahlbeteiligung und überhaupt auf die politische Beteiligung negativ aus. Das verzerrt den Wettbewerb und zerstört die Chancengleichheit. Manipulierte Wahlumfragen sind tatsächlich Angriffe auf die Wahlfreiheit der Bevölkerung, etwa wenn sich jemand, der noch unsicher ist, wem er seine Stimme gibt, an einer Umfrage orientiert, die manipuliert wurde…

Medien spielen eine wichtige Rolle in einer Demokratie. Nun sollen auch einzelne Medien in die vermeintliche Korruptionsaffäre involviert sein. Wie groß ist der Schaden für die Demokratie, der dadurch angerichtet wurde?
Meinungsvielfalt und Medienpluralismus sind wesentlich für die Demokratie. Und auch da bekommt Österreich in diesen internationalen Demokratieindizes ohnehin schon immer Punkteabzug wegen der hohen Medienkonzentration und der fehlenden Vielfalt. Diese hohe Konzentration stützt auch Vorgänge wie, dass man sich überhaupt einkaufen kann oder Umfragen manipulieren kann. Ich würde das in diesem Vertrauenskomplex gemeinsam sehen: Das eine bedingt das andere. Gemeinsam mit einem Antikorruptionsgesetzespaket wäre es deshalb auch wichtig, die Medienförderung auf neue Beine zu stellen.

Also Österreich hatte schon vorher ein großes Problem, das die Grundlage dafür bot, dass diese Zusammenarbeit zwischen einigen korrupten MitarbeiterInnen und einigen Medien überhaupt zustande kommen konnte.

»Man sieht, dass der Rechtsstaat funktioniert.«

Wie sehen Sie es um die Demokratie in Österreich in Zukunft bestellt? Muss man sich Sorgen machen?
Ich sehe es positiv, dass das alles überhaupt aufgedeckt werden konnte. Das liegt daran, dass wir vor zwölf Jahren eine Korruptionsstaatsanwaltschaft errichtet haben und seitdem wird dort gut gearbeitet, untersucht und ermittelt - und eben Dinge aufgedeckt. Man sieht also, dass der Rechtsstaat funktioniert. Man fühlt ihn ja immer erst dann, wenn man ihn braucht. Er ist sogar sehr stark und stützt uns die Demokratie. Da haben wir einen großen Vorteil noch gegenüber Länden wie etwa Polen oder Ungarn, da wurden die rechtsstaatlichen Institutionen schon vollkommen ausgehöhlt und können ihrer Funktion gar nicht mehr nachkommen. Österreich ist im internationalen Vergleich noch immer eine sehr stabile Demokratie, deren oben genannte Schwachstellen aber endlich bearbeitet werden müssen.

Die Justiz ist allerdings ständigen Angriffen ausgesetzt. Könnte das zum Problem werden?
Das ist natürlich ein Problem und ein Vorwurf, der einzelnen PolitikerInnen zu machen ist, dass sie versuchen, das Vertrauen in die Justiz zu untergraben, nur weil sie selbst angegriffen werden. Man hat in Ungarn oder Polen gesehen, dass genau mit Angriffen auf die Institutionen begonnen wurde die Demokratie auszuhöhlen. Das ist etwas, was wir im Blick behalten müssen.