Inklusion in Österreich: Definition, Probleme und Lösungen

Inklusion heißt, dass niemand ausgeschlossen wird. Alle Menschen sind grundsätzlich Teil der Gesellschaft. Inklusion ist ein Menschenrecht, festgeschrieben in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Österreich ist beim Thema Inklusion allerdings säumig, urteilt Expertin Hannah Wahl und immer noch ein "Land der Heime". Aber wie kann Inklusion gelingen und was kann jede:r einzelne dazu beitragen? Fragen und Antworten zum Thema.

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Inklusion © Bild: iStockphoto

Inhaltsverzeichnis:

Was bedeutet Inklusion? [Definition]

Inklusion heißt, dass niemand ausgeschlossen wird. Alle Menschen sind Teil der Gesellschaft. Um das garantieren zu können, müssen Barrieren in allen Lebensbereichen aufgelöst werden. Dazu zählen bauliche Barrieren, wie zum Beispiel Stufen oder zu enge Türen, aber auch Barrieren in allen anderen Bereichen: Fehlende Übersetzungen in Österreichische Gebärdensprache, komplizierte Sprache und weitere. Inklusion ist ein Menschenrecht.

Unterschied zwischen Inklusion und Integration

Bei der Integration müssen sich Individuen anpassen, um Teil der Gesellschaft sein zu können. Inklusion verlangt, dass die Gesellschaft so gestaltet ist, dass alle Menschen Teil sein können.

Menschenrecht Inklusion: Gesetzliche Grundlagen in Österreich

Zentral für den Inklusionsprozess ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die Österreich 2008 ratifiziert hat. Als Vertragsstaat hat sich Österreich verpflichtet, die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die dort festgelegt sind, umzusetzen. Zur Umsetzung hat Österreich den "Nationalen Aktionsplan Behinderung" erstellt. Als Rechtsinstrumente stehen folgende Gesetze zur Verfügung:

2023 wird Österreich von den Vereinten Nationen erneut auf die Einhaltung der UN-Konvention überprüft. Bei der letzten Staatenprüfung wurde kritisiert, dass Österreich keine Strategie zum Abbau von Sondereinrichtungen hat und in vielen Bereichen Aufholbedarf besteht.

Hannah Wahl dazu: "Leider kommt Österreich dieser Verpflichtung nicht ausreichend nach, was für die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen fatal ist. Wichtig wäre es, vorhandene Gesetze auf die Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten, bzw. neue Gesetze und Rechtsansprüche zu schaffen, die ihr entsprechen."

Was versteht man unter sozialer Inklusion?

Von sozialer Inklusion spricht man, wenn jeder Mensch, unabhängig von verschiedenen Merkmalen wie zum Beispiel Leistungsfähigkeit oder ähnliches an der Gesellschaft teilhaben kann. Grundvoraussetzung ist dafür der Abbau von Barrieren.

»Inklusion ernst zu nehmen, bedeutet auch, Partizipation in Entscheidungsgremien zu garantieren und keine Entscheidungen ohne Menschen mit Behinderungen und ihre Erfahrungsexpertise zu treffen.«

Inklusion in Österreich: Stand 2023

Laut Expertin Hannah Wahl wird Inklusion in Österreich im Jahr 2023 nicht ausreichend versucht und ernst genommen. Trotz Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei man in vielen Bereichen säumig und verzeichnet sogar Rückschritte. "Inklusion ernst zu nehmen, bedeutet auch, Partizipation in Entscheidungsgremien zu garantieren und keine Entscheidungen ohne Menschen mit Behinderungen und ihre Erfahrungsexpertise zu treffen. Oder auch anzuerkennen, dass Menschen mit Behinderungen Rechte haben und dementsprechend auch Rechtsansprüche brauchen", so Wahl.

Versäumnisse gibt es laut Hannah Wahl in vielen weiteren Bereichen, wie beispielsweise:

Persönliche Assistenz

Die Expertin fordert etwa ein österreichweit funktionierendes und umfassendes System für Persönliche Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen - unabhängig von einem „Behinderungsgrad“ oder einer „Behinderungsart“. Diese Unterstützungsleistung sei essenziell für ein selbstbestimmten Leben, gibt es aber aktuell nur in Form von Pilotprojekten, die nicht ganz Österreich abdecken.

Land der Heime: Fehlender Abbau

Österreich sei immer noch ein Land der Heime und die De-Insitutionalisierung werde nicht vorangetrieben. Obwohl der UN-Fachausschuss bereits feststellte, dass der Erhalt von Sondereinrichtungen mit der UN-Behindertenrechtskonvention unvereinbar ist, werden weiter neue Sondereinrichtungen gebaut. So wurde zum Beispiel im Jahr 2021 der Neubau einer Sondereinrichtung in Salzburg, das Konradinum, fertiggestellt, obwohl dies nicht den Menschenrechten von Menschen mit Behinderungen entspricht.

Sonderschulen

Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Österreich, ein Inklusives Bildungssystem und ein lebenslanges, gemeinsames Lernen zu gewährleisten. Nach wie vor werden, erklärt Hannah Wahl, Sonderschulen, die dem eindeutig widersprechen, errichtet und zu wenige Ressourcen für den Abbau eines inklusiven Bildungssystems zur Verfügung gestellt.

Zur Person:
Hannah Wahl, geboren 1992, studierte Geschichtswissenschaften mit Schwerpunkt Zeitgeschichte an der Universität Salzburg. Als freie Journalistin schreibt sie über Menschenrechte, Inklusion und Gesellschaftspolitik. Sie ist seit 2018 für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Verein zur Unterstützung des Unabhängigen Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verantwortlich.

Das Buch ist hier erhältlich. (*)

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Was ist "radikale Inklusion"?

"Radikale Inklusion" nennt sich das 2023 erschienene Buch von Hannah Wahl, ein "Plädoyer für mehr Gerechtigkeit". Was versteht die Autorin darunter? Wahl erklärt: "Radikale Inklusion bedeutet Inklusion auf allen Ebenen ernst zu nehmen. Es bedeutet, nicht zuzulassen, dass der Inklusionsbegriff auf nicht-inklusive Gegebenheiten umgelegt wird. Radikale Inklusion bedeutet die Parallelwelten und ihre Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen aufzulösen. Radikale Inklusion ist aber auch politisch. In einem System, in dem der Wert von Individuen über den Leistungsbegriff bestimmt wird, kann es keine radikale Inklusion, das heißt ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben für alle, geben. Darum verweigert radikale Inklusion auch die Fragen nach der Verwertbarkeit von Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit, weil jeder Mensch, unabhängig davon, ein gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft sein muss. Das bedeutet auch keine Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzustellen und nicht in Frage zu stellen, dass Inklusion es immer wert ist, finanziert zu werden. Es geht dann nicht mehr darum, ob man Inklusion finanzieren kann, sondern nur noch wie."

»Die Aussonderung von Menschen durch Parallelwelten wie Heime oder Sonderschulen verhindert das Zusammenleben in der Gesellschaft auf Augenhöhe.«

Heime vs. Inklusion

Warum schließen sich Heime und Inklusion aus? Hannah Wahl erklärt: "Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen müssen sich überall im Leben gleichberechtigt und selbstverständlich begegnen können. Als Teil von Arbeitsteams, in einer gemeinsamen Schule oder als Nachbar:innen. Die Aussonderung von Menschen durch Parallelwelten wie Heime oder Sonderschulen verhindert das Zusammenleben in der Gesellschaft auf Augenhöhe. Heime verhindern, dass sich Menschen mit und ohne Behinderungen begegnen.

Studien belegen, dass Einrichtungen ein hohes Gewaltrisiko in sich tragen und keine Schutzräume sind, wie gerne behauptet wird. Das Leben in Heimen verläuft in starren Strukturen und unterliegt Regeln, die den Handlungsspielraum der Bewohner:innen massiv einschränken. Die Privatsphäre ist begrenzt, weshalb es oft schwierig ist, Liebes- und/oder Sexualbeziehungen zu führen. Grundsätzlich unterliegt die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit den Strukturen im Heim.

Inklusion
© Elke Mayr In Österreich braucht es laut Hannah Wahl mehr Inklusion: "Jede:r muss Verbündete:r zu werden"

Wie kann Inklusion gelingen?

Laut Hannah Wahl braucht es ein Verständnis dafür, dass bestehende Parallelwelten nachhaltig aufgelöst werden müssen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt Teil der Gesellschaft sein können. Menschen mit und ohne Behinderungen müssen sich überall auf Augenhöhe begegnen. Dafür müssen Menschen mit Behinderungen bedarfsgerechte Unterstützung in allen Lebensbereichen zur Verfügung zu gestellt bekommen und die Finanzierung durch den Staat ohne „Kosten-Nutzen-Rechnung“ garantiert sein.

»Jede:r muss Verbündete:r werden und sich solidarisieren, ohne übergriffig zu sein«

Was kann jede:r Einzelne zu besserer Inklusion beitragen?

Jede:r muss Verbündete:r werden und sich solidarisieren, ohne übergriffig zu sein, erklärt Hannah Wahl. Das bedeutet, sich stärkend hinter Menschen mit Behinderungen statt vor sie zu stellen. Außerdem sollte man sensibel für Barrieren zu sein und zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass bei Veranstaltungen Menschen mit Behinderungen eingeladen und bezahlt werden müssen sowie, dass Veranstaltung barrierefrei und für alle zugänglich sein müssen.

Ein Stichwort ist Powersharing, also das Teilen von Macht. Powersharing beduetet, den Einfluss zu teilen, den man aufgrund eigener Privilegien hat. Wichtig ist dabei immer abzuklären, ob das überhaupt gewünscht ist.

Außerdem empfiehlt die Expertin, das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen: Denke ich inklusiv? Grenze ich gerade jemanden aus?

Ein weiterer Punkt ist die diskriminierungsfreie Sprache (siehe nächster Punkt).

Inklusion: Die richtige Sprache

Zur gelungenen Inklusion trägt auch die richtige Sprache bei. Jede:r kann dazu beitragen, indem man sich informiert, wie man diskriminierungsfreie Begriffe verwendet. Hannah Wahl erklärt:

Zum Beispiel möchten viele als Menschen mit Lernschwierigkeiten bezeichnet werden. Eine veraltete, diskriminierende Bezeichnung war „Menschen mit geistiger Behinderung“.
Worte, die noch heute als Schimpfworte benutzt werden – „Schwachkopf“, „behindert“, „verrückt“ etc. beleidigen Menschen mit Behinderungen und gehören aus dem Wortschatz gestrichen.

»Immer noch ist zu beobachten, dass Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich geduzt werden oder ihr Nachname einfach weggelassen wird«

Hannah Wahl: "Sprache formt Realität und beeinflusst vorhandene Denkmuster – das sollten wir nie vergessen. Immer noch ist zu beobachten, dass Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich geduzt werden oder ihr Nachname einfach weggelassen wird, obwohl das unter Menschen ohne Behinderungen im entsprechenden Kontext absolut nicht als angemessen empfunden werden würde – zum Beispiel im beruflichen Umfeld."

Inklusion am Arbeitsmarkt: Digitalisierung - Hilfe oder Erschwernis?

Chancen durch Digitalisierung

Einerseits kann Digitalisierung zur Barrierefreiheit beitragen: Digitalisierung bedeutet mehr Flexibilität und etwa die Möglichkeit von Home-Office. Digitalisierung bedeutet für viele Menschen auch mehr Partizipation zum Beispiel bei Veranstaltungen. Wenn eine Anreise nicht mehr Voraussetzung für Arbeit oder die Teilnahme an Veranstaltungen ist, ist das für viele eine Chance. Viele Menschen mit Behinderungen profitieren durch neue Hilfstechnologien, die durch die Digitalisierung vorangetrieben werden. Zum Beispiel die Augensteuerung bei der Nutzung von Computern.

Barrieren durch Digitalisierung

Gleichzeitig muss bewusst sein, dass nicht alle Menschen mit Behinderungen von Digitalisierung gleicher Maßen profitieren und für viele sogar neue Barrieren entstehen können. Zudem bedeutet, wie bereits gesagt, Digitalisierung weniger Vorort sein zu müssen. Hier besteht die Gefahr, dass dadurch auch weniger Barrierefreiheit Vorort geleistet wird und Menschen isoliert bzw. von der Anwesenheit ausgeschlossen werden. Nicht alle Menschen mit Behinderungen können die neuen Technologien und technische Gerätschaften bedienen oder haben gar keinen Zugang dazu. Besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten könnten dadurch ausgeschlossen werden.

Barrierefreiheit

Hannah Wahl: "Wir müssen dazu übergehen, dass wir vielfältige Unterstützungssysteme und Hilfstechnologien schaffen, so dass jede:r erhält, was er/sie für die gleichberechtige Teilhabe benötigt. Gleichzeitig dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass das zum Beispiel für Menschen mit Sehbehinderungen andere Dinge sind, wie für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen mit Körperbehinderungen. Zentral ist auch dabei: Mit den Menschen reden, zuhören, verschiedene Lebensrealitäten wahrzunehmen und die notwendige Barrierefreiheit finanziell sicherzustellen und umzusetzen."

Wie gut funktioniert Inklusion am österreichischen Arbeitsmarkt?

Hanna Wahls Einschätzung: "Nach wie vor klagen Unternehmen darüber, nicht genug qualifizierte Bewerber:innen finden zu können. Das stimmt zum Teil, denn zum einen sind Sondersysteme eine Barriere für (höhere) Aus- und Weiterbildung sowie Hochschulzugang. Es gibt konkrete Vorschriften, wie Strafzahlungen, wenn nicht genug sogenannte „begünstigt Behinderte“ angestellt werden. Dennoch wird häufig lieber Strafe gezahlt, anstatt Menschen mit Behinderungen einzustellen."

Inklusion und Schule in Österreich: Integration und Sonderschule

Alle Kinder haben dasselbe Recht auf Bildung ungeachtet ihrer Stärken und Schwächen. Inklusive Bildung bedeutet, dass Kinder mit Behinderungen gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen allgemeine Schulen besuchen. So sieht es die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vor, denn damit haben alle Schüler:innen dieselben Chancen. "Nur durch ein gemeinsames Aufwachsen und Lernen, kann auch die Chancengleichheit vorangetrieben werden und können Barrieren zwischen Menschen abgebaut werden", erklärt Hannah Wahl. Allerdings führe in Österreich die Laufbahn von vielen jungen Menschen nach wie vor über die Sonderschule direkt in Werkstätten, in der unentlohnt gearbeitet wird, und in Heime.

»Nur durch ein gemeinsames Aufwachsen und Lernen, kann auch die Chancengleichheit vorangetrieben werden und können Barrieren zwischen Menschen abgebaut werden«

In Österreich können Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) sowohl in Sonderschulen oder in integrativer Form unterrichtet werden. Die Sonderschule geht über neun Schulstufen, mit Genehmigung der Behörde und der Schule über maximal zwölf Schulstufen. Auch an allgemeinen Schulen in integrativer Form besteht die Möglichkeit mit Zustimmung der Schule bis zu zwölf Schuljahre zu absolvieren. Laut News-Bericht werden diese Anträge auf ein elftes oder zwölftes Schuljahr allerdings oftmals abgelehnt. Kritik kam dafür nicht nur von Betroffenen, sondern auch aus der Wissenschaft. "Jugendliche mit Trisomie 21 fliegen in Österreich aus dem Regelschulsystem, wenn sie gerade erst in der Lernentwicklung Fahrt aufnehmen", erklärte etwa der deutsche Wissenschaftler Torben Rieckmann in dem Bericht. Viele dieser Lernenden würden erst Alter von 14 bis 17 Jahren eine grundlegende Vorstellung davon erlangen, wie Zahlen funktionieren.

Im April 2023 reagierte etwa die Stadt Wien und investiert nun in zusätzliche Schulplätze. Etwa 100 weitere Schulplätze sollen für das Schuljahr 2023/24 geschaffen werden, so dass in diesem Schuljahr kein Antrag abgelehnt werden müsse. Vom Bund fordert Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch für das 11. und 12. Schuljahr, um Eltern aus der "Bittstellerhaltung" herauszuholen. Der Verfassungsgerichtshof überprüfe derzeit die aktuelle Regelung.

Laut Hannah Wahl bräuchte es dringend ausreichend Ressourcen, um ein inklusives Bildungssystem – inklusive Hochschulbildung – auszuarbeiten und umsetzen zu können. Erarbeitet werden sollten laut Expertin Konzepte gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen als Expert:innen in eigener Sache sowie Bildungssexpert:innen.