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2nd Opinion: Die Hölle sind wir selbst

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Michael Fleischhacker

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Aus Jean-Paul Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“ stammt der berühmte Satz „Die Hölle, das sind die anderen“. Seit alle immer da sind, fragt sich, wer die Anderen sind. Die Antwort ist nicht sehr gemütlich und nährt einen schrecklichen Verdacht: Die Hölle, das sind wir selbst.

Aus Jean-Paul Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“, einem der großen Publikumserfolge der vergangenen Jahre am Burgtheater, stammt der berühmte Satz „Die Hölle, das sind die anderen.“ Ich mochte diesen Satz immer. Vor allem natürlich, weil ich mich als junger Theologiestudent mit der Frage zu beschäftigen hatte, ob es das Böse und die Hölle tatsächlich und materiell gibt, oder ob das Böse nur die Abwesenheit des Guten sei.

Die Philosophen bezeichnen die zweite Idee als „Privationstheorie“: Das seiner Anwesenheit beraubte Gute wird zum Bösen, das Böse selbst aber hat keine Substanz. Meine private Theorie zum Thema Himmel und Hölle hat sich damals an der Privationstheorie orientiert: Natürlich, behauptete ich, kommen alle Menschen in den Himmel, aber vielen wird es dort nicht gefallen, und das ist ihre Hölle.

Alle sind immer da, und meistens ist jeder gegen alle

Damals hatte ich prinzipiell noch nichts gegen die Menschen, meine Himmelsvorstellung war also nicht wirklich an Sartre orientiert, sondern idealistisch angehaucht. Später wurde mir klar, wie nah am Nerv der Zeit das 1944 uraufgeführte Stück war und wie visionär zugleich Sartres Vorwegnahme der menschlichen Universalhölle in Gestalt des sozialmedialen Dauerpräsenzterrors und der digitalen Dauerbewertung aller durch alle gewesen ist.

Immer die anderen

In der Zwischenzeit, so scheint es, haben es sich alle in der Hölle einigermaßen gemütlich gemacht. Die Hölle, könnte man auch sagen, ist das neue Normal. Logisch, es gibt ja für eine große Mehrheit aller Menschen, zumindest in unseren Breiten, aber vermehrt auch in Gesellschaften, in denen noch bis vor Kurzem jahrhundertealte Taktfahrpläne des Sozialen ihre Gültigkeit hatten, kaum noch Alternativerfahrungen. Das Alleinsein ist abgeschafft, sich im großen Datenverkehrsnetz seinen eigenen sozialen Fahrplan zu basteln, wird als Zeichen der Rückständigkeit gelesen. Alle sind immer da, und meistens ist jeder gegen alle. Die anderen sind immer da, und also ist es auch die Hölle. Um es im Neusprech der Achtsamkeitsindustrie zu sagen: Das macht etwas mit uns.

Man muss davon ausgehen, dass die Notwendigkeit, sich im Angesicht der Dauerpräsenz aller eine Differenz zu den anderen zu erhalten, einen wesentlichen Grund für den durchschlagenden Erfolg der Identitätspolitik darstellt: Wer eine Dauerkarte für die Hölle gelöst hat, braucht dennoch oder gerade deshalb die Möglichkeit, das andere und den anderen zu identifizieren. Nur so konnte es vermutlich zur Renaissance von Sexismus, Rassismus und Klassismus unter dem Vorzeichen und unter der Flagge des Progressiven kommen. Eine Ideologie direkt aus der Hölle.

Die Hölle als Möglichkeit der Projektion

In etwas weniger existenziell-höllischer Form hat sich das Wort von der Hölle, die die anderen sind, Eingang in die Alltagssprache verschafft, vor allem als Möglichkeit der Projektion: Die Schwurbler, die Verschwörungstheoretiker, die Demokratiefeinde, das sind immer die anderen. Wenn sich ein solches Weltverständnis einmal in einem Menschen festgekrallt hat, können Dinge passieren, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte. Zum Beispiel habe ich einige Bekannte, auf deren intellektuelle Kapazitäten ich große Stücke halte, die aber selbstverständlich davon überzeugt sind, dass es Trollfabriken, Desinformationskampagnen und Fake-News-Schleudern – Propaganda überhaupt – ausschließlich in Russland gibt. Die Amerikaner, sagen sie, würden so etwas niemals tun, und die Ukrainer ohnehin nicht, die sind ja Opfer einer Aggression.

Auch wenn man sich durch die Talk-Shows zappt, fällt einem schnell auf, dass es kaum noch einen Austausch darüber gibt, zu welchen Schlüssen man auf der Grundlage eines außer Streit stehenden Wirklichkeits- und Tatsachenbilds kommt. Die Nahost-Expertin, die alles, was nicht die Position der Hamas repräsentiert, als israelische Propaganda denunziert, trifft dort auf den Ex-Politiker, der jeden, der Reste von Empathie für einige tausend tote Kinder in Gaza zu erkennen gibt, für einen nützlichen Idioten der Hamas hält. Ob die israelische Armee in Gaza Journalisten oder Terroristen getötet hat, wird man so schnell nicht feststellen können, und es ist vielleicht nicht einmal notwendig: Jeder, der sich an diesem Scheindiskurs beteiligt, weiß ja ohnehin schon, wie es ist, und dieses Wissen wird sich durch Fakten nicht mehr beeinträchtigen lassen.

Leben wir in der Matrix?

Seit der Wiederwahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten hat die internationale Berichterstattung, vor allem die der deutschsprachigen Medien, mein Vertrauen in die Privationstheorie etwas erschüttert. Existiert das Böse etwa doch, sogar in Fleisch und Blut? Was ich zugeben muss, ist das Folgende: Wenn der böse Trump nur das Ergebnis der Abwesenheit des guten Biden ist, kann mit meiner Theorie etwas nicht stimmen. Oder wir leben doch in der Matrix, und Trump, Putin, Xi, Netanjahu, und wie die Bösen alle heißen, sind eigentlich alle miteinander Agent Smith? Wer wäre dann Neo, etwa Friedrich Merz oder „Bonaparte“ Macron?

Ich fürchte, aus der Kombination von allem, was wir sehen und der Tatsache, dass wir nicht mehr wissen, was echt ist und was nicht, ergibt sich ein schrecklicher Verdacht: Die Hölle, das sind wir selbst.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33+34/2025 erschienen.

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