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Waterdrop-Gründer Henry Murray: „Warum wir den Getränkemarkt neu denken wollen“

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Henry Murray

©Bild: Matt Observe

Am Anfang war die Idee eines praktischen, gesunden Zusatzes, der Wasser schmackhaft macht. Neun Jahre nach dem Start von waterdrop spricht Henry Murray über die disruptive Strategie zum Erfolg, das Gründen innerhalb der Familie,– und wie beim Wiener Start-up aus einer Fehleinschätzung der beliebte Eistee Pfirsich entstand.

Wie viel pures Leitungswasser trinken Sie noch, Henry Murray?

Eigentlich nur Leitungswasser. Ich fülle meine Flasche bestimmt zehnmal am Tag auf. Oft gebe ich Waterdrop dazu, aber nicht immer. Im Kern geht es uns darum zu sagen: Trinkt mehr Wasser und weniger abgefüllte Getränke aus Plastikflaschen.

Ihr Bruder hatte die Idee zu Waterdrop angesichts der enttäuschenden Auswahl an Soft Drinks auf einem Langstreckenflug. Sie haben ein Jahr lang Marktanalyse betrieben und 1,5 Millionen Euro investiert. An welchem Punkt war klar, dass zuckerfreie Aroma-Würfel für stilles oder prickelndes Wasser ein ertragreiches Geschäftsmodell sein können?

Wir sind eher von der anderen Seite gekommen: Nicht „Könnte das funktionieren?“, sondern: „Warum macht das eigentlich noch niemand?“. Die Idee ist simpel, aber ihre Umsetzung war zuvor entweder zu medizinisch oder zu unpraktisch. Wir wollten es einfach, sinnvoll und alltagstauglich. Im Nachhinein sagen viele: So eine einfache Idee – warum gab’s das nicht schon früher?

Ihr Bruder und Sie haben beide Erfahrung bei der Boston Consulting Group gesammelt. Stand am Anfang die Suche nach einem Geschäftsmodell im Hunderte Milliarden Euro schweren Getränkemarkt?

Wir kommen nicht aus der Lebensmittelbranche, aber aus der Beratung. Dort erlebt man, wie große Unternehmen oft wenig nachhaltige Produkte machen. Man sieht, dass selbst bei den Branchengiganten nur mit Wasser gekocht wird und wenig dagegen spricht, es selbst zu versuchen. Der Kern unserer Idee war: Das geht besser. Mich hat vor allem angetrieben, eine Industrie neu zu denken und zu verändern. In vielen Bereichen gab’s Revolutionen, nur in der Getränkewelt ist seit Jahrzehnten alles gleich: Wasser mit Zucker und Aromen, verpackt in Plastik und global verschickt – von drei Konzernen. Da muss doch mehr gehen. Da kann eine Win-win-Situation für Konsumenten, Umwelt und natürlich das eigene Unternehmen entstehen. Dieser disruptive Gedanke war wichtig.

Sie haben zum Start viel Wert auf die perfekte Logistik- und Marketingstrategie gelegt. Warum?

Perfekt ist bei uns nichts – davon sind wir weit entfernt. Eine großartige Marke entsteht nur mit einem großartigen Produkt. Du kannst kein starkes Branding um etwas bauen, das inhaltlich schwach ist. Der Fokus war von Anfang an das Produkt. Christoph, einer unserer Mitgründer, ist das Mastermind dahinter. Wir haben selbst eine eigene Produktion aufgebaut, eigene Verpackungen entworfen, ein internes Research & Development-Team. Der zweite Punkt war, dass es für unser Produkt einen Push braucht. Niemand verdurstet, weil er kein Waterdrop hat. Deshalb war unser Ziel, eine starke Community aufzubauen, die unser Motor ist. Unser stärkster Kanal für Neukunden sind tatsächlich Freunde und Familie. In unseren Packungen sind zwölf Stück, wenn jemand eine Packung kauft, teilt er mit mindestens ein bis zwei Personen. Das funktioniert nur, wenn alles passt – Geschmack, Qualität, Erlebnis.

Unser Getränk passt in jeden Briefschlitz. Das macht uns unabhängig vom Getränkehandel

Henry Murray

Welche Rolle spielt die Community?

Wir haben den inhärenten Vorteil, dass wir uns als Getränk positionieren, aber kein Getränk verschicken. Wir können Kanäle nutzen, die anderen verwehrt bleiben: Unsere Getränke passen in jeden Briefschlitz. Das senkt die Logistikkosten massiv, ersetzt Einweg-Plastikflaschen und macht uns unabhängig vom klassischen Getränkehandel. Für Food-Start-ups ist das entscheidend. Wenn man in Europa startet, ist man normalerweise stark von Händlern abhängig. Fällt die Distribution weg, verliert man den Kundenzugang. Unsere Grundidee war deshalb direkt zum Kunden zu gehen. Das haben wir über Social Media und den Aufbau einer Community umgesetzt. Danach kamen Stores, Events und Offline-Erlebnisse. Wenn du diese Community hast, dann trägt dich die Marke. Das hat uns später den Weg in den klassischen Handel geöffnet.

Ist Ihnen der Net Promoter Score deshalb wichtiger als andere Kennzahlen, wie Sie mal gesagt haben?

Ein Finanzmensch würde auf Umsatz und Profit schauen, wir haben Investoren, die das auch tun. Für mich ist das ein zu kurzfristiger Blick. Wenn wir schauen, wie gesund die Marke ist, sagt uns das der NPS. Nach jedem Kauf fragen wir: „Würdest du Waterdrop weiterempfehlen?“ Die Antwortmöglichkeit reicht von 0, „auf keinen Fall“, bis 10, „unbedingt“. Daraus ergibt sich die Kennzahl, die zeigt, wie viele Promoter wir haben – also Menschen, die begeistert sind – und wie viele Detractors – also Kritiker. Unser NPS ist sehr hoch. Die meisten empfehlen uns aktiv weiter. Diese Zahl verfolgen wir täglich. Ich könnte den Umsatz vom letzten Jahr anschauen, das heißt aber nicht, dass wir diesen Umsatz auch dieses Jahr haben werden. Haben wir aber viele zufriedene Kunden und Kundinnen, ist es eine gute Prognose für zukünftiges Wachstum.

Wie wichtig war das „Nein“ zu einem Investor nach Ihrer Teilnahme bei „Die Höhle der Löwen“? Sie haben auf 500.000 Euro verzichtet, weil damit der Einstieg in den stationären Handel verbunden gewesen wäre.

Das war generell ein sehr wichtiger Moment. Plötzlich hatten uns drei Millionen Menschen gesehen, die Bestellungen gingen durch die Decke – und wir hatten einen Investor und eine Investorin. Dagmar Wöhrl ist heute noch an Bord. Das andere Angebot sah vor, unser Produkt schnell in viele Supermärkte zu bringen.

Das hätte viel Reichweite bedeutet, aber auch viel Kontrolle abzugeben – Vertrieb, Preisgestaltung, Platzierung. Wir haben uns dagegen entschieden, obwohl es kurzfristig Umsatz gekostet hat. Wir wollten die Marke selbst und nachhaltig aufbauen. Lieber langsames, stabiles Wachstum mit langfristiger Perspektive als ein schneller Push, den wir nicht steuern können. Diese Frage stellen wir uns oft: Wie schnell müssen wir wachsen – und wie langsam dürfen wir wachsen?

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Die Gründer: Martin Murray, Henry Murray und Christoph Hermann im Waterdrop-Headquarter, der ehemaligen Gösserhalle in Wien-Favoriten.

 © Bild: Matt Observe

Wie wichtig ist Scheitern?

Wir versuchen vor allem schnell zu scheitern. Das heißt Dinge früh ausprobieren, ohne übertriebene Investition, etwa neue Produktlinien, einen neuen Markt. Daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist essenziell. Eine schöne Erfahrung mit Scheitern war unsere Idee, Waterdrop auch für Heißgetränke anzubieten. In die Entwicklung haben wir viel investiert. Sie sind aber nicht entsprechend angenommen worden, weil die Teetrinker offenbar ihr Ritual nicht aufgeben wollen. Christoph, unser Genie, hatte daraufhin die Idee aus den Tee-Extrakten, die wir ja hatten, Eistee zu entwickeln. Auf diese Idee wären wir nie gekommen. Heute ist Eistee Pfirsich eines unserer beliebtesten Getränke.

Wird in den USA anders getrunken als in Frankreich oder Italien?

Im Wesentlichen ist das Trinkverhalten ähnlich. In den USA sind wir jedoch für unseren 600ml-Flaschen belächelt worden. Das ist dort eine Kindergröße. Die Vorlieben in der Geschmacksintensität sind auch unterschiedlich.

Worauf muss man achten, wenn man mit dem eigenen Bruder gründet?

Unser Vorteil ist, dass wir in unseren Werten übereinstimmen und eine Art Urvertrauen haben. Schon unser Großvater war Unternehmer und hat in Schottland bei null begonnen. Mit diesem Mindset, dass das geht, sind wir aufgewachsen. Die rechte Hand weiß automatisch, was die linke Hand tut, das ist eine große Quelle der Stabilität. Mit unserem dritten Gründer Christoph Hermann vereint uns das Kernverständnis, wo wir hinwollen und wie wir arbeiten, das brauchst du mit jedem, egal, ob verwandt oder nicht. Der Nachteil ist, dass wir im Urlaub mit unseren Familien auch viel über die Arbeit reden.

Welche Rolle soll Waterdrop in zehn Jahren am Getränkemarkt spielen?

Wir haben in manchen Märkten schon eine kleine Relevanz, aber wenn man bedenkt, dass wir in einer 600-Milliarden-Dollar-Industrie agieren, ist es fast, als gäbe es uns nicht. Wir glauben, dass wir die Marke und das Produkt in den nächsten zehn Jahren auf eine Größe bringen können, die ein Umdenken bewirkt. Es geht nicht darum, dann die Größten zu sein, sondern einen Impact erzwungen zu haben in Richtung nachhaltige Ökosysteme und Hydration.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.35/2025 erschienen.

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