Manfred Hohensinner
©Bild: Matt ObserveDie Lebensmittelpreise seien zu hoch, kritisiert die Politik und verspricht Abhilfe. Doch was sagen die Produzenten? Frutura-Chef Manfred Hohensinner erklärt, wie die Preise zustande kommen, warum die Debatte schadet und was seine Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft ist
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Was darf ein guter Apfel im Supermarkt kosten?
Spannende Frage: Was ist ein Apfel wert? Kommt ganz auf die Sorte an. Wir unterscheiden zwischen Sattesserprodukten und jenen, die wirklich Geschmack haben, wo die Produktion aufwendiger ist. Das ist wie beim Wein. Österreichs beliebtester Apfel ist der Kronprinz Rudolf. Der schmeckt auch mir am besten. Der ist aber am schwierigsten zu produzieren. Die Messlatte bei Obst sind die Bananen. Wenn die 2,19 das Kilo kosten, wird es mit einem Apfelpreis über 3,50 pro Kilo schwierig.
Was müsste der Bauer für die Äpfel bekommen, dass er davon leben kann?
Da wären wir bei ganz anderen Preisen. 1,20 bis 1,30 Euro pro Kilo für vermarktungsfähige Ware – also nicht Äpfel, die vom Baum gefallen sind –, das wäre ein Richtpreis. Bis die Ware im Geschäft liegt, kommen noch Sortierung, Lagerung, Verpackung, Logistik dazu – da wäre man bei einem Preis von deutlich über 3,50 Euro. Der Apfel tut sich relativ schwer in der preislichen Darstellung, gegenüber etwa den Bananen, die das beliebteste Obst sind. Die sind in Wahrheit zu billig. Wenn man die Produzenten kennt, fragt man sich, wie lange das noch machbar ist. Bei Frutura versuchen wir, in Einklang mit der Umwelt zu arbeiten und nicht das Letzte aus den Böden herauszuholen, um noch mehr Ertrag zu haben. Bei den Äpfeln ist es in den letzten Jahrzehnten leider vielerorts passiert, dass die Produktion aufgegeben wurde, weil sie nicht mehr machbar ist.
Warum ist der Kronprinz Rudolf so eine Diva unter den Äpfeln?
Der ist sprichwörtlich eine Diva. Er hat extrem weiches Fruchtfleisch, eine zarte Schale, den muss man angreifen wie eine Feder. Er muss an der Sonne hängen, damit er das rote Bäckchen bekommt, und man hat 30 bis 50 Prozent weniger Ertrag als bei anderen Sorten.
In Österreich werden die zu hohen Lebensmittelpreise diskutiert. Der Handel schiebt sie auf die Produzenten. Sind die Preise zu hoch?
Diese Debatte tut uns sehr weh, weil sie nicht unterscheidet zwischen Lebensmitteln, die man nur mit der Natur produzieren kann, und jenen, die einen hohen Verarbeitungsgrad haben. Wir haben schon jetzt das Problem, dass wir kaum junge Menschen nachbekommen in der Produktion. Ich war selbst ein kleiner Bergbauer und weiß, wovon ich rede. In den kleinen Betrieben wurde die Arbeitskraft nie entsprechend bewertet. Man hat es in der Familie so gemacht, dass man über die Runden kam. Heute tut sich kein Junger das Risiko an. Der Klimawandel hat viel verändert, man muss sehr viel investieren, damit man produzieren kann, muss immer da sein.
Eine Neuanlage für Kirschen kostet heute 120.000 Euro pro Hektar, wo früher 20.000 bis 30.000 Euro gereicht haben
Wo genau liegen die Probleme für heimische Obstbetriebe?
Nehmen wir eine Kirschenplantage: Als ich ein Kind war, hat es Kirschen gegeben oder eben nicht. Bei den ersten Plantagen hat es gereicht, dass man sich eine gute Lage ausgesucht hat. Irgendwann hat man Schutz vor Vögeln gebraucht und Hagelschutz. Dann kam der Frostschutz dazu. Die Winter werden milder, die Bäume blühen früher, es gibt Spätfröste. Wenn ein Kirschenbetrieb mit zehn Hektar drei Nächte heizen muss, kostet das 150.000 Euro. Nächstes Thema: Bewässerung, weil es zu trocken wird. Und wenn es drei Tage vor der Ernte zu regnen beginnt, platzen 90 Prozent der Kirschen auf – also Regenschutz. Eine Neuanlage für Kirschen kostet heute 120.000 Euro pro Hektar, wo früher 20.000 bis 30.000 Euro gereicht haben.
Wenn man in Zukunft Lebensmittel produzieren will, kann man das nur mit einem fixen Abnehmer machen, also Vertragsproduktion. Das bedeutet aber auch, wenn ein Produzent ausfällt, wegen Hochwasser oder Frost, gibt es keine andere Ware, weil alles schon verkauft ist. Dazu kommt: Obst und Gemüse sind oft Lockartikel. Bei einer schlechten Ernte kann man die Preise kaum erhöhen und die ganze Branche fährt im Minus. Bei einer sehr guten Apfelernte wie heuer, gibt es hingegen sofort 50 Prozent-Aktionen im Handel. Ich kritisiere die Aktionen nicht, die Konsumenten sind froh, wenn sie günstige Lebensmittel bekommen. Aber das Problem ist, dass Wertigkeit der Lebensmittel nicht mehr wahrgenommen wird. Wir haben in Österreich einen Versorgungsgrad von Obst und Gemüse von unter 50 Prozent. Wir kommen langsam an einen Kipppunkt, ich nehme bewusst das Wort aus dem Klimawandel. In der Obstbaufachschule Silberberg haben wir gerade noch drei bis vier Absolventen. Österreich wird nicht verhungern, aber was wir nicht selbst produzieren, kommt aus dem Import.
Über Frutura
In Glashäusern baut Frutura u. a. Paradeiser und Paprika an. Zudem importiert das Unternehmen Früchte und reift sie nach. 250.000 Tonnen Obst und Gemüse liefert Frutura pro Jahr aus. Das steirische Unternehmen beliefert 1.600 Sparmärkte. Produziert wird in Österreich und 40 weiteren Ländern. 700 Millionen Euro Umsatz macht Frutura jährlich. Gegründet wurde das Unternehmen 2002. Heute hat es 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Ihr Unternehmen importiert ja auch und reift Bananen oder Avocados.
Wir dürfen für ein Drittel Österreichs die Bananen reifen. Es gibt weltweit vier Reedereien, die die Bananen aus Übersee holen. Auf einem Schiff sind ca. 9.000 Container, wenn wir in der Woche 20 brauchen, fahren die nicht für uns in die Adria, wo der Hafen Koper vor der Haustür liegt. Wir müssen die Bananen aus Seebrügge oder Rotterdam holen. Durch die politische Unsicherheit weiß man nie: Kommen die Schiffe? Wir beziehen kernlose Trauben auch aus Indien. Die sind in Gebieten gepflanzt, wo es normalerweise während der Ernte nicht regnet. Durch den Klimawandel regnet es jetzt öfter während der Erntezeit, es gibt aber weltweit zu diesem Zeitpunkt keine anderen Trauben. Die Schiffe können wegen der Huthi-Rebellen nicht durch den Suezkanal fahren und brauchen zwei Wochen länger. Dann hat man Verderb in der Ware. Das verteuert sie. Großkonzerne nützen ihre Macht aus und sagen: Wenn du als kleines Land etwas haben möchtest, muss du diesen Preis bezahlen, sonst beliefern wir dich nicht. Dazu kommen noch österreichische Themen, etwa zusätzliche Kennzeichnungspflichten und Vorschriften.
Die Preise sind deswegen hoch, weil wir ganzjährig alles haben wollen?
Grundsätzlich ist vermehrter Obst- und Gemüsekonsum ja zu begrüßen. Es ist gesund und hat, verglichen mit anderen Bereichen, einen geringen CO2-Fußabdruck*. Aber es gibt durch den Klimawandel viele Gebiete, wo man gar nicht mehr produzieren kann.
CO2-Fußabdruck
Bei einem Apfel aus der Region fallen CO2-Äquivalente von 0,3 bis 0,4 Kg pro Kilogramm Früchte an, bei Bananen sind es 0,6 Kilogramm CO2-Äquivalente. Pro Kilogramm Rindfleisch fallen im Durchschnitt 13,6 kg CO2-Äquivalente an. (Quelle: www.umweltbundesamt.de)
Wie kann man mit diesem Problem umgehen?
Wir müssen überlegen, wo können wir noch produzieren? Und wie wollen wir produzieren? Ich komme von einem Bergbauernhof. Wir haben das Korn per Hand geschnitten. Meine erste Aufgabe als kleiner Bub war, die Ähren, die auf den Boden gefallen sind, aufzuheben. Ich war Hilfsarbeiter in einer Teppichbodenfabrik, um etwas dazuzuverdienen, und Lkw-Fahrer. Wie ich das erste Mal nach Russland und in die Ukraine gekommen bin, das hat mir die Augen geöffnet: Wie man dort mit der Umwelt umgegangen ist, das war ein Schock. Ich habe ja nie geplant gehabt, eine Firma zu errichten. Aber ich habe dabei versucht, einen anderen Weg zu gehen. Das war und ist extrem schwer, denn es gibt natürlich immer jemand, der es günstiger kann – aber mit enormen Abstrichen. Wissen Sie, was meine Vision wäre? Eine bedarfsgerechte Produktion mit den und für die Menschen.
Was heißt bedarfsgerecht?
Ich träume davon, dass wir eine große Österreich-Umfrage machen: Was wünschen sich die Menschen, was wir weiterhin zu Hause produzieren sollen. Und dann schauen wir, dass wir das machen und dabei die Grundlagen für den Klima- und Umweltschutz einhalten. Über die brauchen wir heute ja nicht mehr diskutieren. Wer das nicht verstanden hat, ist fehl am Platz. Ohne Biodiversität funktioniert es nicht, dafür haben wir die Beweise.
Durch ein eigenes Projekt …
Der Biodiversitätsverlust ist ein Riesenthema, und ich verstehe nicht, warum die offizielle Landwirtschaftspolitik das nicht sieht. Durch intensive Landwirtschaft – ob bio oder konventionell – sind die Böden schon sehr fest. In vielen Bereichen nur mehr Wurzelhalter, alles andere muss zugeführt werden. Das Marchfeld wird als die Biodiversitätswüste Österreichs bezeichnet. Auf der einen Seite wird das Klima immer extremer, auf der anderen Seite machen wir weiter, was wir schon seit 30 Jahren falsch machen: Wir intensivieren noch mehr. Ich bin zu Erdäpfelbauern im Weinviertel gegangen und habe gesagt: „Ich möchte, dass ihr auf 140 Hektar Kartoffeln 14 Hektar Biodiversitätsfläche anbaut.“ Die haben gesagt: „Das geht nicht, das behindert uns in der Arbeit.“ Ich habe ihnen dafür mehr bezahlt, als sie für Kartoffeln bekommen
hätten; wir waren auch in der Gerätebeschaffung behilflich. Und was ist passiert? Im nächsten Jahr wollten sie die Fläche verdoppeln. Die Natur war zurück, es gibt Nützlinge, die die Kartoffelkäfer auffressen. Es gibt wieder Millionen Regenwürmer, die den verdichteten Boden aufbereiten. Dieser Boden hält, wenn es in einer Stunde 100 Liter regnet, 80 Liter Wasser und nur 20 fließen in die Rückhaltebecken. Vorher war es umgekehrt. Wir haben die Lösung: Der Boden ist fruchtbarer, speichert Unmengen an CO2 und man muss nicht um Hunderte Millionen Euro Rückhaltebecken für den Katastrophenschutz bauen. Die offizielle Landwirtschaft hält aber an Paradigmen fest, die von Ewiggestrigkeit nur so strotzen. Ich habe hochgerechnet, wenn wir unser Modell in ganz Österreich umsetzen, brauchen wir gar keine Förderung und das Kilo Mehl würde vielleicht fünf Cent mehr kosten. Für unseren Lebensraum eine günstige Investition.
Sie kämpfen für Biodiversität, aber nur wenige ihrer Produkte sind „bio“. Warum?
Bioproduktion ist dort gut machbar, wo ich wenig Feuchtigkeit habe, andernfalls gibt es ein Problem mit Pilzinfektionen, wo ich nur mit Kalk, Schwefel oder Kupfer arbeiten kann. Im Freiland, wenn es viel regnet, habe ich massiven Druck. Im Gewächshaus arbeiten wir ausschließlich mit Nützlingen – manche sagen, ich bin der größte Zoodirektor Österreichs. Wir beheizen die Gewächshäuser ganzjährig mit Geothermie, dadurch ist die Luft trocken und wir brauchen keinen Pflanzenschutz, auch bei konventionellem Anbau. In anderen Bereichen ist bio schwierig: Wenn ich Biobasilikum im Topf anbaue, ist es okay. Wenn ich es abschneide, darf ich es nicht mehr als bio verkaufen. Oder: Bio verlangt einen Kulturwechsel, ich kann aber nicht jedes Jahr das Gewächshaus umbauen.
Wir reden viel von Selbstverteidigung. Unsere wichtigste Selbstverteidigung ist, dass wir unsere Nahrungsmittelproduktion und unseren Lebensraum erhalten. Leider wird diese Idee ignoriert
Sie haben Ihre Thermal-Glashäuser 2016 errichtet. Es gab anfangs viel Kritik. Warum?
Es ist wahnsinnig schwer, in Österreich Projekte umzusetzen. Ich bin sprichwörtlich durch die Hölle gegangen, hatte alle politischen Parteien gegen mich. Ich habe mir gedacht: Warum nimmt man das warme Wasser nur zum Baden? Ich beheize damit Gewächshäuser, produziere in der kalten Jahreszeit zu Hause Lebensmittel, schaffe Arbeitsplätze – super. Aber es gab eine Wand von Vorurteilen. Etwa: Wir gefährden die kleinen Erzeuger – die ja nicht produzieren, was wir produzieren. Das war früher zu 100 Prozent Importware. Es hat geheißen, das ist Agrarindustrie. Geändert hat sich das erst, als mit dem Ukraine-Krieg das Gas knapp geworden ist. Da gab es Anrufe: „Ihr könnt eh produzieren?“
Werden in Österreich angesichts des Klimawandels künftig die gleichen Obst- und Gemüsesorten wachsen?
Wir müssen langsam beginnen, unsere Produktionen in Gebiete zu verlegen, wo man kein Wasserproblem hat und niemandem eines wegnimmt, und wo es keine Frostgefahr gibt. Wir müssen im Prinzip die Landkarte neu zeichnen: Wo können wir in Zukunft produzieren und dabei die Biodiversität berücksichtigen. Derzeit ist es wie im Lotto, heuer habe ich eine Ernte, nächstes Jahr friert sie mir ab. Wir reden viel von Selbstverteidigung. Unsere wichtigste Selbstverteidigung ist, dass wir unsere Nahrungsmittelproduktion und unseren Lebensraum erhalten. Leider wird diese Idee ignoriert. Ich bin nicht unbedingt der Liebling gewisser Gruppen, ich gelte ein bisschen als Bauernrebell, weil ich andere Wege aufzeige. Aber ich sage nichts, was wir nicht beweisen können. Ich habe zwei kleine Enkel. Ich möchte nicht, dass es heißt: Der Opa hätte etwas machen können und hat nichts gemacht.

Steckbrief
Manfred Hohensinner
Manfred Hohensinner ist auf einem Bergbauernhof in der Oststeiermark aufgewachsen und hat zum Erhalt des Hofes in einer Teppichbodenfabrik und als Lkw-Fahrer gearbeitet. 1999 startete er mit zwei Partnern zunächst eine Dörrobstanlage, 2002 wurde das Unternehmen Frutura gegründet, das Obst und Gemüse anbaut sowie importiert und nachreift. 2016 errichtete Frutura das erste mit Thermalwasser beheizte Glashaus in der Steiermark.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 43/2025 erschienen.







