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Huawei Campus: Streng bewachtes Miniatur-Europa in China

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Der Huawei Ox Horn Campus erinnert an ein Mini-Europa mit Nachbildungen von Heidelberg, Paris und Brügge

©Kathrin Gulnerits

Rolltreppe statt Altar, Nilpferde vorm Schloss: Der Huawei-Campus in Dongguan ist kein gewöhnliches Forschungszentrum, sondern ein detailverliebtes Fantasiedorf im Stil europäischer Städte – streng bewacht und nur für geladene Gäste.

Normalerweise bleibt dieser Ort in Dongguan, rund 50 Kilometer von Shenzhen entfernt, verschlossen: Besucherinnen und Besucher brauchen eine Einladung, passieren Schranken und Sicherheitskontrollen. Was sich hier auf 1,4 Quadratkilometern erstreckt, ist abgeschirmt – und spektakulär zugleich: Willkommen im 2017 eröffneten Huawei-Campus, offiziell Huawei Ox Horn Campus genannt – ein Forschungszentrum, das so sehr nach Europa aussieht, dass man leicht vergisst, noch in China zu sein.

Denn der Campus ist ein im europäischen Stil gestaltetes Modelldorf mit mehr als 100 Gebäuden, die berühmte Städte und Bauwerke nachbilden – mit viel Liebe zum Detail, aber nicht immer detailgetreu: Am Ufer vor dem Heidelberger Schloss liegen Nilpferde. Doch europäische Nostalgie war gestern. In Shanghai wurde 2023 ein neues Forschungszentrum für 35.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eröffnet. Dieser Campus steht für Zukunft und hat jetzt Glasfassaden statt Schlosskulisse.

Nächster Halt: Heidelberg

Im „alten“ Campus führt eine rote Eisenbahn durch Paris und Oxford, Brügge und Krumau: drei Linien ab sechs Uhr morgens, insgesamt 7,8 Kilometer Schienen. Für die rund 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist sie Pendelverkehr, ausgestattet mit Holzbänken. Für wichtige Gäste gibt es einen eigenen Zug mit weißen Ledersitzen und goldumrahmten Marmortischen. Journalisten werden im Golf Caddy über das Gelände gefahren – von Stadt zu Stadt, vom Schloss zur Bibliothek, über Brücken zu Kirchen. Die Rundfahrt beginnt in Granada, führt weiter zum Schloss Heidelberg, das sich im Wasser eines künstlichen Flusses spiegelt. Ein Brückentor öffnet sich in Gassen mit Kopfsteinpflaster. „Famous Picture Stop“, sagt sicherheitshalber der Guide, der das Golf Caddy über das Gelände steuert.

Nach Heidelberg kommt Paris, dann Verona mit einem kleinen Turm, aber ohne den berühmten Balkon. Dafür gibt es hier einen Eisladen und ein Freilufttheater. Verkauft wird ein Kunsteis am Stiel in Form des Schlosses. Der Geschmack: künstlich süß und weit entfernt vom italienischen Gelato. Die Kaffeepause ist im Klostergarten ums Eck zwischen efeuumrankten Säulengängen. Die Spezialität: Coconut Coffee – Espresso serviert in einer frisch aufgeschlagenen Kokosnuss. Kaffeehäuser und Restaurants gibt es in jeder „Stadt“. Doch in Paris etwa werden keine Croissants serviert, sondern fermentierte Bohnen und gebackene Yamswurzel. In Krumau steht der rosa Turm, der dem böhmischen Original gleicht. Brügge glänzt mit gotischen Fassaden. Überall sprudeln Springbrunnen, Rasenflächen sind millimetergenau geschnitten. Auf der „Karlsbrücke“ stehen Statuen von Philosophen und Dichtern – mittendrin Beethoven, hinter ihm ein Flügel aus Stein.

Bibliothek der Widersprüche

Herzstück des Areals ist die Sanyapo Library: eine ovale Kuppelhalle mit mächtigen Säulen. Rundfenster öffnen sich über handgesetzten Mosaikfliesen, Bücherwände reichen fast bis unter die Decke. Rund 90.000 Titel in mehr als 20 Sprachen umfasst die Sammlung. Grimms Märchen stehen hier neben Dumas’ „Graf von Monte Christo“. Es gibt Bildbände über Venedig und die Hamburger Speicherstadt, daneben Werke zur chinesischen Kalligrafie. Auf einem Extratisch liegt sogar deutsche Managementliteratur: „Auf dem Weg zur agilen Organisation“ und „Das große Buch der Gefühle“. Zufall – oder bewusst für die österreichische Besuchergruppe arrangiert?

Am Ende der Rundfahrt steht man – mal wieder – vor einer Kirche. Irgendwo in Frankreich oder der Schweiz, die Grenzen verschwimmen. Ein stiller Ort, möchte man meinen. Doch im Inneren: keine Kirchenbänke, kein Altar – sondern eine Rolltreppe, die hinauf in ein Bürogebäude führt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/2025 erschienen.

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