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Fast Fashion: Zwischen Shein und Sein

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©Sarah Meyssonnier / REUTERS / picturedesk.com

Die Fast-Fashion-Marke Shein schielt wegen der US-Zölle verstärkt nach Europa und mietet sich kurzerhand ins renommierte Pariser Kaufhaus BHV ein. Die Reaktion fällt heftig aus – auch wegen eines Pädophilie-Skandals. Was passiert ist, und wie der Brautmoden-Shop aus Ost-China zum Weltmarktführer im Fast-Fashion-Segment aufsteigen konnte.

Eine Jeans gefällig? 15 Dollar. Eine Sonnenbrille? Drei Dollar fünfzig. Handtasche? Eins fünfzig. Für derartige Angebote ist Shein vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit großem Kleiderschrank aber kleiner Geldbörse beliebt.

Vergangene Woche tauchte dann aber ein ganz anderes Produkt im Angebot des Online-Riesen auf: Eine Sexpuppe mit Körperbau und Gesicht eines kleinen Mädchens und Teddy im Arm, dazu eine anzügliche Produktbeschreibung. Shein entfernte die Puppen rasch wieder und versprach, entsprechende Kontrollmechanismen zu überarbeiten.

Die Episode kommt für das Unternehmen zur Unzeit: Kurz darauf stand nämlich die Eröffnung eines Geschäfts im pompösen Pariser Kaufhaus BHV an. So kam es, dass in der Pariser Innenstadt vergangenen Mittwoch nicht nur die Kundinnen und Kunden Schlange standen, sondern auch Demonstrantinnen und Demonstranten.

Zügellose Algorithmen

Bemerkenswert viel Aufmerksamkeit für ein Unternehmen, das bis Mitte der 2010er-Jahre kaum jemand kannte. Dann wurden die sozialen Medien plötzlich überschwemmt von sogenannten „Shein-Hauls“, Beutezügen also. Junge Frauen posierten mit riesigen Bergen billigster Kleidung und Accessoires. Zügelloser Massenkonsum, leistbar für alle, nur Ladendiebstahl ist günstiger.

Und: Die Ware ist nicht nur billig, sondern auch genauestens personalisiert, wie in einem sozialen Netzwerk. Shein sammelt Unmengen von Online-Daten und weiß so genau, welche Trends gerade entstehen und für welche Angebote eine bestimmte Person gerade empfänglich ist. Der Grad der Automatisierung dürfte auch beim Produktdesign hoch sein. Erkennen die Shein-Algorithmen einen Trend, wird in Windeseile ein entsprechendes Produkt entworfen und eine Kleinserie produziert.

Rücksicht auf das Urheberrecht und menschliche Kontrolle scheinen dabei keine große Rolle zu spielen. Vom Konzept bis zur Verkaufsreife dauert es manchmal nur drei Tage. Beeindruckend, solange es nicht bedeutet: Liegt Pädophilie im Trend, ist die Sexpuppe mit Mädchengesicht schon kurz darauf im Shop verfügbar. Moral ist eben schwer zu programmieren.

Wachsen, bis die Zölle kommen

Bisher ging die Strategie auf. Im Jahr 2020 kontrollierte Shein in den USA zwölf Prozent des Fast-Fashion-Markts. Zwei Jahre später waren es bereits 50 Prozent. Die Billig-Konkurrenz von H&M und Zara: abgemeldet. Der stationäre Handel lag durch die Pandemie auf Eis, gleichzeitig vertrieben sich viele junge Menschen zuhause die Langeweile mit Online-Shopping und sozialen Medien. Kaum ein Unternehmen war darauf so gut vorbereitet wie Shein. Im Jahr 2019 wurde das Unternehmen mit fünf Milliarden Dollar bewertet, 2022 waren es schon 100 Milliarden, dazu 10.000 Angestellte und globale Umsatzzahlen im zweistelligen Milliardenbereich. Kritik wegen schlechter Arbeitsbedingungen, giftiger Produkte und unfairer Geschäftspraktiken taten dem Erfolg bisher keinen Abbruch.

Nervöser als Skandale und NGO-Kritik dürfte Shein die US-Zollpolitik machen. Dort wurde die lange geltende Ausnahmeregelung für Pakete mit geringem Wert Ende August abgeschafft. US-Kunden müssen seitdem mit höheren Preisen rechnen. Im September schrumpfte Sheins US-Geschäft prompt um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auf EU-Ebene ist erst 2028 mit einer ähnlichen Maßnahme zu rechnen. Zu spät, mahnen Handelsvertreter.

Nebulöse Unternehmensgeschichte

Über Sheins Gründungsjahre finden sich nur wenige gesicherte Informationen. Das liegt vor allem an den vielen Varianten, in denen das Unternehmen seine Geschichte bereits erzählt hat – offenbar wurde auch sie an verschiedene Zielgruppen angepasst. Mancherorts erzählen alte Unternehmensprofile noch von „einer kleinen Gruppe von Fashionverliebten in North Brunswick, New Jersey“, die Shein im Jahr 2008 unter einem anderen Namen gegründet hätte. Mittlerweile gibt Shein offiziell an, 2012 im ostchinesischen Nanjing unter dem Namen SheInside als Online-Markt für Brautmode gegründet worden zu sein. Die Unternehmensholding übersiedelte mittlerweile nach Singapur, produziert wird nach wie vor nahe der chinesischen Megastadt Guangzhou.

Auch um den Mann – oder die Personen – hinter dem Unternehmen wabern Nebelschwaden. Einmal gab Shein an, es gäbe vier Gründer, die angeblichen Fashionliebhaber aus New Jersey, dann hieß es wieder, es gebe nur einen: Xu Yangtian, den heutigen CEO. Er nannte sich früher auch Chris Xu oder Sky Xu und ist mittlerweile einer der reichsten Männer Chinas, Bloomberg schätzt sein Vermögen auf umgerechnet knapp 20 Mrd. US-Dollar. Trotzdem tritt er kaum öffentlich auf, gibt keine Interviews, hat keine offiziellen Accounts in sozialen Netzwerken. Im chinesischen Internet kursieren Gerüchte, Xu arbeite rund um die Uhr, sei auch mitten in der Nacht an den Standorten seines Unternehmens anzutreffen. Die meisten Angestellten würden ihn nicht einmal erkennen.

75-Stunden-Woche für 1.200 Euro

Erfolg durch harte Arbeit also? Vielleicht. Die wird bei Shein aber vorrangig von den Menschen in den Fabriken und Lagerhäusern seiner Zulieferer geleistet. Das Grundgehalt für Vollzeitkräfte beträgt dort laut der schweizerischen Organisation Public Eye nur rund 300 Euro, was auch in China nicht zum Leben reicht. Überstunden sind deshalb alternativlos. Berichte aus den Jahren 2021 und 2023 ergaben, dass Beschäftigte bis zu 75 Stunden pro Woche arbeiten. Dann reicht das Gehalt mit umgerechnet 700 bis 1.200 Euro gerade so zum Überleben. Public Eye berichtete außerdem von Säuglingen, die während der Arbeit versorgt werden müssen, und minderjährigen Lagerarbeitern.

Shein sagte gegenüber der BBC, solche Praktiken wären gegen die Regeln für seine Zulieferer und versprach, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Man darf auf den nächsten Bericht gespannt sein.

Blei in der Schuhsohle

Immer wieder landet Shein auch wegen Giftstoffen in seinen Produkten in den Schlagzeilen. Stichprobentests von Global 2000 und der oberösterreichischen Arbeiterkammer fanden etwa in einem Damenstiefel zu hohe Konzentrationen von giftigem Blei und hormonell wirksamen Weichmachern. Eine Regenhose enthielt das 257-fache des Grenzwerts für sogenannte Ewigkeitschemikalien, die sich im Körper anreichern und gesundheitsschädlich sein können. Produkte des Billigst-Konkurrenten von Temu schnitten im Test ähnlich miserabel ab.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/25 erschienen.

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