Was bedeutet es heute, erfolgreich zu sein? Klassische Statussymbole verlieren an Strahlkraft, Selbstdarstellung wirkt zunehmend hohl und dann wäre da noch die Sinnfrage, die viele Menschen zunehmend umtreibt: Der Politologe und Publizist Tobias Endler nimmt in seinem neuen Buch die Erzählung vom grenzenlosen Aufstieg auseinander und plädiert für ein neues Verständnis von Erfolg.
In einer Welt, in der politische, wirtschaftliche und digitale Umbrüche zugleich stattfinden, stellt sich die Frage mit neuer Dringlichkeit: Was bewirken die Jagd nach Erfolg und das Streben nach ständigem Wachstum in einer Gesellschaft?
Fakt ist: Das globale Wachstum schwächt sich ab. Experten schätzen, dass das weltweite reale BIP 2025 nur bei maximal 2,9 Prozent liegt – deutlich niedriger als noch vor einigen Jahren. Während die einen aufgrund der schwächelnden Wirtschaft und geopolitischer Spannungen vom Scheitern des „Projekts Globalisierung“ sprechen, sehen andere darin eine Chance, es besser zu gestalten. Diese Entwicklungen werfen die grundlegende Frage auf, wie Erfolg überhaupt definiert wird – und ob unser bisheriges Verständnis von Wachstum und Leistung noch zeitgemäß ist.
Wie viel Erfolg ist gesund?
Gesellschaftliche Normen und Erwartungen wandeln sich – nicht zuletzt durch technischen Fortschritt. Soziale Medien und Algorithmen verändern die Art und Weise, wie Erfolg wahrgenommen wird, massiv. Vor allem junge Menschen berichten zunehmend von Druck: nicht nur ökonomisch, sondern auch in puncto Selbstdarstellung, Sichtbarkeit und Vergleich.
Psychologische Studien zeigen, dass dieser Druck zu Stress, Burn-out und Identitätskonflikten führen kann, besonders dann, wenn Erfolg zum Maßstab des Selbstwerts wird. Hier setzt Tobias Endler in seinem neuen Buch „Narrengold“ an. Der Politologe widmet sich gängigen Mythen rund um Erfolg, zeichnet aktuelle Entwicklungen nach und plädiert für ein Verständnis, das Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit und Selbstbestimmung ins Zentrum stellt.
Dabei nimmt er auch die sozialen Medien in die Verantwortung: „In ‚Narrengold‘ beschäftige ich mich eingehend mit der Welt der sozialen Medien, und wie die dortigen Dynamiken unser Verständnis von Erfolg definieren. Als Nutzern ist uns das mal mehr und mal weniger bewusst.“


Das Buch
Tobias Endler lädt in „Narrengold: Der Glanz des Erfolgs, die Macht der Täuschung und der Mythos grenzenloser Möglichkeiten“ dazu ein, kritisch über Erfolg, Wohlstand, Leistungsdruck und das eigene Ego nachzudenken und Erfolgsmythen zu entlarven. Goldegg, € 24,–
Zwischen Mythos und Manipulation
In einer Zeit permanenter Vergleichbarkeit sei es entscheidend, sich klarzumachen, welchem Erfolg man nachjagt, so Endler: „Echter Erfolg ist selbstbestimmt und sinnhaft. Diese beiden Komponenten müssen vorhanden sein. Ansonsten laufen wir den gängigen Definitionen nach, die andere für uns festmachen.“ Er benennt dabei die gängigen Leitbilder: „Der klassische Mythos, der uns überall umgibt, ist die Vorstellung vom Erfolg, der am Horizont auf uns wartet, am Ende eines langen und entbehrungsreichen Wegs. Ein ebenfalls mächtiger Mythos ist der vom Draufgänger: Menschen, die über Grenzen gehen, die scheinbar für alle anderen gelten.“
Statt sich von Blendwerk leiten zu lassen, müsse die Gesellschaft stärker hinterfragen, wie sie Erfolg definiert. Endler erinnert: „In der Generation unserer Eltern herrschte das ‚Macher-Modell‘ vor: Erfolg, das war ein hohes Gehalt, eine prestigeträchtige Stelle, und natürlich Statussymbole, die ich mir leisten kann: Autos, Uhren, Kreuzfahrten.“
Später kam das „Mensch-Modell“ stärker auf, so Endler: „Weniger materiell denken, idealistischer leben. Finanzielle Einbußen wurden in Kauf genommen, dafür engagierte man sich bei Nachbarschaftsinitiativen, und zu einem erfolgreichen Leben gehörte das Lastenfahrrad dazu, nicht unbedingt das eigene Auto.“
Idealer Erfolg braucht Selbstbestimmtheit
Vom Ego zum Kollektiv
Neu sei das „Spotlight-Modell“: „Beim Spotlight-Modell geht es darum, dass mein eigener Erfolg die ganze Welt um mich herum zu einem besseren Ort macht.“ Der Autor erklärt, warum es heute wichtiger ist denn je, das eigene Ego zumindest partiell zurückzustellen und das Kollektiv wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Dennoch will er keine Anleitung zu Konformität liefern: „Gegen Selbstoptimierung ist per se überhaupt nichts einzuwenden. Es ist gut, das eigene Potenzial auszuloten. Wir tun das eben aber häufig über Ratgeber, und die geben uns dieselben Wege zur Optimierung vor wie Zehntausenden anderen Lesern auch. Da ist Konformität vorprogrammiert.“
Erfolg müsse daher individueller gedacht werden: „Idealer Erfolg braucht Selbstbestimmtheit. Wenn ich den Weg zu meinem persönlichen Erfolg anlege, und wenn ich das Ziel dieses Wegs zum Erfolg festlege, bevor ich losgehe, dann handle ich selbstbestimmt. Das kann auf materiellen Reichtum oder die große Bühne hinauslaufen – muss aber nicht. Sinnhaft bin ich dann unterwegs, wenn ich Effizienz nicht mit Effektivität verwechsle.“
Mut zum Scheitern
Dass zu jedem Erfolg auch Niederlagen gehören, betont Endler ausführlich. Er kritisiert das gängige Verständnis von Scheitern in Mitteleuropa: „Gerade bei uns in Deutschland, Österreich und Zentraleuropa wird Scheitern als Niederlage angesehen.“
Erfolg ist der Weg – und das Ziel
In vielen anderen Kulturen werden Misserfolge anders bewertet: „Ich habe das in meiner Zeit an der Yale University selbst erlebt, in Bewerbungskomitees, wo zwei gescheiterte Start-ups im Lebenslauf als Ausweis für Unternehmergeist galten, und diese Bewerberin eingestellt wurde, weil sie auf dem Weg zum Erfolg nicht aufgibt.“
In unserer Kultur sei Misserfolg dagegen oft ein Makel. Weil Erfolg als rein zielorientiert interpretiert werde: „Das hängt mit unserem Verständnis von Erfolg zusammen, wo nur das Ziel zählt. Aber Erfolg ist der Weg – und das Ziel.“

Steckbrief
Tobias Endler
Tobias Endler, geboren am 20. September 1978, ist Politikwissenschafter, Amerikanist und Autor. Nach seiner Promotion zur politischen Debattenkultur in den USA forschte und lehrte er unter anderem am Heidelberg Center for American Studies und an der Yale University. Seit 15 Jahren und in insgesamt sechs Büchern analysiert er politische Dynamiken und gesellschaftliche Trends.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.