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2nd Opinion: Hessen, Hass und Hetze

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Michael Fleischhacker

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Weil er eine Nazi-Parole ironisch gegen die Woke-Bewegung wendete, bekam der deutsche Philosoph und Medienwissenschafter Norbert Bolz Besuch von der Polizei. Ausgegangen ist die Justiz-Farce von einer jener Meldestellen, die der deutsche Staat zur Denunziation missliebiger Denkungsarten eingerichtet hat. Da wollen wohl ein paar Leute zeigen, dass sie noch immer am Drücker sind.

Der Kampf gegen Hass und Hetze geht weiter, vor allem in Hessen. Die dort ansässige Meldestelle gegen Hass im Netz, oftmals eine Art Denunziationszentrale für Meinungsneurotiker, wurde durch das „Schwachkopf“-Verfahren in Deutschland weltberühmt: 2024 war ein 64-jähriger Rentner von der Polizei besucht worden, weil er im Netz das Bild des seinerzeitigen Vizekanzlers und Wirtschaftsministers Robert Habeck (die Lücke, die sein Rückzug aus der Politik hinterließ, ersetzt ihn übrigens prachtvoll) mit der Klassifizierung „Schwachkopf PROFESSIONELL“ kombiniert hatte.

Gemeldet hatten das Meme die Blockwarte von der hessischen Meldestelle, die auch jetzt wieder prominent aktiv wurden: Beim bekannten Philosophen und Medienwissenschafter Norbert Bolz („Am Ende der Gutenberg-Galaxis“) wurde dieser Tage eine Hausdurchsuchung durchgeführt, weil er vor etwas mehr als einem Jahr auf Twitter/X etwas gepostet hatte, das den Offizieren der gemeinen Staatspolizei in der hessischen Meldestelle verdächtig erschien, und zwar im Sinn der nationalsozialistischen Wiederbetätigung.

Deutschland, erwache

Bolz’ Post war kurz und knackig: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache“. Es war die Reaktion auf eine Überschrift der linken Tageszeitung taz, in der man Aktivitäten gegen die AfD mit der Formulierung „Deutschland erwacht“ gewürdigt hatte. Das juristische Problem: „Deutschland, erwache“ ist eine nationalsozialistische Propaganda-Parole, die nach dem Paragraphen 86 des deutschen Strafgesetzbuchs nicht weiterverbreitet werden darf, so wie auch die Verbreitung von Parolen und Symbolen anderer verfassungsfeindlicher und terroristischer Organisationen mit Strafe bedroht ist.

Die Formulierung „Deutschland, erwache“ stammt aus dem „Sturmlied“ Dietrich Eckarts, einer der Hymnen der SA. Deren Schöpfer Eckart wiederum war von Theodor Körner inspiriert, der die Formulierung „Auf, deutsches Volk, erwache“ 1813 in der Schlussstrophe seines Liedes zur Einsegnung des preußischen Freikorps in den deutschen Befreiungskriegen verwendet hatte.

Nicht verstandene Ironie

Auch die ironische Verwendung der Parole hat eine große Tradition: Kurt Tucholsky wandelte Eckarts Sturmlied schon 1930 zum Warnruf gegen den Aufstieg der Nationalsozialisten um, und so wechselten einander die „Deutschland, erwache“-Interpretationen ab: Die einen wollten, dass die deutsche Nation, die man in den napoleonischen Kriegen und nach dem Ersten Weltkrieg von bösen Fremdmächten unterdrückt sah, zu neuer alter Größe erwache, die anderen wollten, dass man gegenüber denen, die mit nationalen Erweckungsträumen eine bellizistische und totalitaristische Politik verbanden, wachsam bleiben solle.

Wenn Norbert Bolz jetzt in Anlehnung an die taz eine Übersetzung von „woke“ mit „Deutschland erwache“ vorschlägt, dann deutet er ironisch an, dass die woke Ideologie eine ähnlich totalitäre Denkungsart darstellt wie der Nationalsozialismus. Dass er das taz-Zitat samt seiner Woke-Interpretation affirmativ gemeint hatte, also sagen wollte, er finde es gut, dass sich jetzt alle Wachen gegen Rechts zusammentun, kann man eher ausschließen. Ausschließen kann man aber – selbst dann, wenn man Bolz’ Vergleich für übertrieben oder daneben hält – auch, dass Professor Bolz mit der Verwendung der Phrase „Deutschland erwache“ einfach nur nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten oder gar seiner nationalsozialistischen Gesinnung Ausdruck erweisen wollte.

Versprach sich die Berliner Staatsanwaltschaft, auf der Gästetoilette des Philosophen Norbert Bolz ein Hitlerbild zu finden?

Genau das schien aber die Berliner Staatsanwaltschaft zu glauben, die vom Bundeskriminalamt auf den verdächtigen Professor aufmerksam gemacht worden war, das wiederum Meldung aus der hessischen Denunziationszentrale erhalten hatte. Und so genehmigte also ein Richter, der angeblich seine Dissertation über Rechtsfragen bei der Rücknahme von Batterien verfasst hat, den Antrag der Berliner Staatsanwaltschaft auf Hausdurchsuchung bei Professor Bolz. Das ergibt nur einen Sinn, wenn man sich davon versprach, im Haushalt Bolz weitere, über den Tweet hinausgehende Hinweise auf die nationalsozialistische Gesinnung des Professors zu finden, ein Hitlerbild in der Gästetoilette vielleicht oder ein signiertes Exemplar von „Mein Kampf“ in einer geheimen Ecke der Bibliothek oder ein paar Originalfotografien von Leni Riefenstahl.

Oder aber: Die Staatsanwaltschaft Berlin und auch der Batterien-Richter sind gar nicht so blöd, wie es aussieht, sondern sie wollten ein Exempel statuieren: Wer sich über die woke Gesinnung, die sich im Kampf gegen Rechts (und rechts ist gleich rechtsextrem, das ist der relativ simple Trick in diesem Spiel) so große Verdienste erworben hat, lustig macht – wollten sie nicht nur Herrn Bolz und dem Rest der nichtlinken Bande sagen –, hat bald nichts mehr zu lachen. Denn wir, die wir wollen, dass Deutschland endlich erwacht und begreift, wie dringend es Politiker wie Robert Habeck oder Annalena Baerbock bräuchte, damit Heidi Reichinnek nicht ganz allein die Wahrheit vertreten muss, wir sitzen immer noch am Drücker in den Ämtern, Schulen und Universitäten. Und wir haben vor, auf den Drücker zu drücken, wann immer es uns notwendig erscheint.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2025 erschienen.

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