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Wie aktuelle Gefahrenkarten vor Hangrutschungen schützen sollen

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7 min
Murenabgänge können ganze Dörfer mitnehmen
©LAND TIROL, JERVINEN, APA
Die Gefahr kommt oft nach starken Regenfällen: Wenn das Wasser in den Boden eindringt, kann dieser in Bewegung geraten - mit teils argen Folgen. Hangrutschungen und Muren gefährden Menschen und verursachen enorme Schäden. Ein Forschungsteam in der Steiermark arbeitet daran, mit Echtzeit-Gefahrenkarten das Risiko vorauszusagen. Die Karten sollen mit aktuellen Wetterdaten kombiniert und zur Entscheidungshilfe für Gemeinden, Einsatzkräfte oder Infrastrukturbetreiber werden.

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Durch die Klimakrise werden Extremwetterereignisse häufiger, wodurch auch die Gefahr von Rutschungen steigt, wissen Margit Kurka und Herwig Proske aus dem Projektteam. "Wenn das, was früher alle 100 Jahre aufgetreten ist, jetzt alle 30 oder alle 20 Jahre auftritt, dann ist das eine ganz andere Dynamik", sagte Proske im Gespräch mit der APA. Die beiden Forschenden arbeiten beim Joanneum Research am Projekt "ALaDyn" (Assessment of Landslide Risk in Dynamic Environments). Beteiligt sind unter anderem die Universität Graz und das Ziviltechnikerbüro Lugitsch.

Weltweit leben Millionen von Menschen in Gebieten mit hohem Rutschungsrisiko, verbunden mit vielen Todesopfern und enormen wirtschaftlichen Schäden durch die sogenannten gravitativen Massenbewegungen. Rutschungen, die durch Regen verursacht werden, sind für den Großteil dieser Verluste verantwortlich. Besonders betroffen ist Europa, wobei Österreich innerhalb Europas zu den am stärksten gefährdeten Gebieten zählt. Seine geomorphologischen und geologischen Verhältnisse begünstigen Rutschungen. "2023 haben wir nach Starkregen in der Südsteiermark Tausende Rutschungen verzeichnet", sagte Proske. Die Region sei zum Beispiel besonders gefährdet, weil dort lose Gesteinsarten wie Kies, Sand, Schluff und Ton vorherrschen, "die in Kombination mit Wasser in Bewegung geraten können", ergänzte Kurka.

Genau deshalb dient die Südoststeiermark als Modellregion im laufenden Forschungsprojekt. In einem früheren Vorhaben hatten Forschende am Joanneum Research für zehn Gemeinden der Region bereits digitale Gefahrenkarten für Hangrutschungen erstellt. Die digitalen Karten zeigen gefährdete Flächen in Rot oder Orange - ein Klick darauf liefert Handlungsanweisungen. Zum Beispiel: Braucht es hier eine Hangentwässerung oder Stützmauern?

Nun soll dieses Konzept weiterentwickelt werden: Die neuen Karten sollen sich täglich aktualisieren und dynamisch auf veränderte Bedingungen reagieren - etwa auf Wetterprognosen, plötzliche Extremwetterereignisse, Schlägerungen, Versiegelung, Bebauung oder Aufforstung. Denn bisher basieren Gefahrenkarten vor allem auf statischen Faktoren wie Geologie und Geländemorphologie. "Die dynamischen Faktoren werden oft vernachlässigt, obwohl gerade sie im Zuge des Klimawandels zunehmend an Bedeutung gewinnen. Hier setzt unser Projekt an", sagte Kurka. Aktuell arbeitet das Team daran, verlässliche Wetterprognosedaten - etwa vom Europäischen Wetterzentrum ECMWF - auf ihre regionale Anwendbarkeit zu prüfen.

Bis Ende 2026 soll ein funktionierender Prototyp entwickelt werden. Dieser kann es Gemeinden ermöglichen, anhand der Gefahrenkarten täglich einzuschätzen: Wo könnte es gefährlich werden? Worauf kann man sich einstellen? Welche Schutzmaßnahmen sind notwendig? Wo müssen Einsatzkräfte bereitstehen? Aber auch längerfristig: Wie muss ich das bei der Raumplanung berücksichtigen?

Für Franz Thurner, Bauamtsleiter in der Stadtgemeinde Fehring, wäre das eine "Riesenhilfe". Mit den statischen Gefahrenkarten arbeitet er schon länger, die dynamischen Karten seien aber "jedenfalls vorzuziehen", gerade als Argumentationsgrundlage gegenüber Grundeigentümern und Bauherren, betonte er. "Bisher mussten wir uns der Kritik stellen, dass die uns vorliegenden Berechnungen und Darstellungen zwischenzeitlich nicht mehr aktuell seien." Immer wieder stößt Thurner auf Unverständnis und Uneinsichtigkeit. "Flächen, die einmal sicher waren, sind es aufgrund des Klimawandels jetzt vielleicht nicht mehr. Das verstehen nicht alle." In den Diskussionen mit den Eigentümern und Bauwerbern gehe es meist darum, dass diese "die Gefahr nicht erkennen wollen". Mit dynamischen Karten ließe sich etwa zeigen, wie sich die Situation auf einem bestimmten Grundstück verändert habe. "Wenn wir als Behörde auf mögliche Gefahren hinweisen, bedeutet das in erster Linie eine Wertminderung und zusätzliche Auflagen im Bauverfahren und Kosten." Als Begründung dafür könnten dynamische Gefahrenkarten eine "sehr wertvolle Grundlage" sein, betonte Thurner.

Nicht nur Gemeinden, sondern etwa auch die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sind potenzielle Nutzer der neuen Gefahrenkarten und deshalb ins Projekt eingebunden. "Infrastruktur wie Bahngleise und Straßen sind immer wieder von Rutschungen betroffen", so Kurka. Ziel sei, dass Infrastrukturbetreiber künftig früh wissen, ob ein Abschnitt gefährdet ist - und entscheiden können, ob es etwa Umleitungen braucht, um den Fahrbetrieb aufrechtzuerhalten und um Gefahren vorzubeugen.

Damit die dynamischen Gefahrenkarten zuverlässig funktionieren, braucht das Forscherteam eine Menge Daten. Zum Beispiel zu vergangenen Rutschungen und den Wetterereignissen, die sie ausgelöst haben. Für die Südoststeiermark sei die Datenlage gut. In anderen Regionen sehe es allerdings deutlich schlechter aus: "Es gibt relativ wenige Gebiete, wo Rutschungen gewissenhaft dokumentiert werden", sagte Kurka. Es werde zwar festgehalten, wenn es Schäden gebe, eine detaillierte Dokumentation und Zuordnung zu Wetterereignissen komme aber "selten vor und wurde in der Vergangenheit häufig versäumt", erläuterte die Forscherin. Zwar steige das Bewusstsein für die Gefahr generell, allerdings dokumentiere jedes Bundesland verschieden viel und auf andere Art und Weise. Laut Proske und Kurka fehlt es auch an Personalressourcen. "Insgesamt bekommen wir einen Fleckerlteppich."

Das Team untersucht daher, ob sich Erkenntnisse aus der Südoststeiermark auf andere Regionen übertragen lassen. Unterstützen soll dabei auch Künstliche Intelligenz (KI). "KI sucht nach Mustern und kann Rutschungsmodellierungen, wie wir sie derzeit kennen, in Zukunft wahrscheinlich gut optimieren", so Kurka. Voraussetzung dafür seien jedoch wieder genügend Daten.

++ HANDOUT ++ ZU APA0386 VOM 30.6.2025 - Mehre massive Murenabgänge und Hangrutschungen infolge eines heftigen Unwetters mit Hagelfällen haben seit dem späten Montagnachmittag, 30. Juni 2025 die kleine Gemeinde Gschnitz im hinteren Gschnitztal (rund 460 Einwohner) heimgesucht. Im Bild: Die Situation in Gschnitz am Dienstag, 01. Juli 2025.

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