Der russisch-amerikanische Informatiker Roman Yampolskiy warnt: In wenigen Jahren könnten 99 Prozent aller Jobs durch Künstliche Intelligenz und Roboter ersetzt werden – von der Büroarbeit bis zum Handwerk. Der Schweizer Ethiker und Theologe Peter G. Kirchschläger hält dagegen: Wenn bezahlte Arbeit verschwindet, brauchen wir ein völlig neues Gesellschaftsmodell – mit Grundeinkommen, „Society-Time" und mehr Raum für Sinn. Gemeinsam zeigen ihre Prognosen und Ideen, wie KI unsere Arbeitswelt, unsere Wirtschaft und unser Leben grundlegend verändern wird.
Es ist Anfang September, als Roman Yampolskiy in einem der meistgehörten Podcasts weltweit zu Gast ist: „The Diary of a CEO“. Was Yampolskiy hier erzählt, klingt wie eine Szene aus einem dystopischen Film: menschenleere Büros, Baustellen voller Roboter, Küchen, in denen Maschinen Omeletts braten. Nur: Das ist kein Hollywood-Skript, sondern seine Prognose. „Es wird keinen Job mehr geben, der nicht automatisiert werden kann.“ Roman Yampolskiy wirkt mit seinem Vollbart und der randlosen Brille wie ein Philosoph aus einer anderen Zeit. Tatsächlich ist er ein russisch-amerikanischer Informatiker – und einer der lautesten Warner vor den Risiken der Künstlichen Intelligenz.
Warnungen gibt es viele: Seit ChatGPT Ende 2022 den globalen KI-Hype ausgelöst hat, wird über massiven Jobverlust diskutiert. Doch kaum jemand blickt so finster in die Zukunft wie Yampolskiy. Seine Prognose: „In naher Zukunft werden 99 Prozent aller Jobs durch KI ersetzbar sein.“ Die Folge: Massenarbeitslosigkeit. Der Forscher geht davon aus, dass KI-Modelle in rasanter Geschwindigkeit Menschen auf vielen Gebieten ebenbürtig werden. Sein Zeithorizont ist dabei denkbar knapp. Bereits 2027, sagt er, werde es so weit sein. Verschont blieben nur Tätigkeiten, bei denen Menschen bewusst andere Menschen bevorzugen würden.
Roboter übernehmen alles
Zunächst, so Yampolskiy, werde alles automatisiert, was mit Computern zu tun hat: „Wenn ich für 20 Dollar ein Abonnement oder ein kostenloses Modell bekomme, das die Arbeit eines Mitarbeiters erledigt, warum sollte ich dann noch Menschen einstellen?“ Später würden auch körperliche Arbeiten von humanoiden Robotern übernommen werden. „Humanoide Roboter hinken vielleicht fünf Jahre hinterher, sodass in fünf Jahren auch alle körperlichen Arbeiten automatisiert werden können.“
Ab 2030 könnten Roboter etwa flexibel genug sein, um Handwerkerarbeiten zu erledigen. „Wir können künstliche Klempner herstellen“, sagt er – und räumt damit auch die vermeintlich letzte Bastion menschlicher Beschäftigung ab. „Humanoide Roboter werden alles tun können, was Menschen tun – nur eben verbunden mit KI, die denken und sprechen kann.“
Humanoide Roboter
Humanoide Roboter ahmen menschliche Gestalt und Bewegungen nach – mit Kopf, Armen, Beinen, Mimik und Sprache. Ein Beispiel ist ERICA, entwickelt in Japan, die dank KI realistisch spricht, Gesichter zeigt und sogar lachen kann.
Und doch relativiert Yampolskiy: Die Technologie allein bedeute nicht, dass sie sofort flächendeckend eingesetzt werde oder alles automatisiert wird. „Oftmals existiert die Technologie zwar, wird aber nicht genutzt. Vielleicht haben wir also noch viel Zeit mit Jobs und einer Welt, die so aussieht wie heute.“ Das größere Problem, warnt er, liege ohnehin woanders: „Die schwierige Frage ist: Was machen wir mit all der freien Zeit? Für viele Menschen ist ihre Arbeit das, was ihrem Leben Sinn gibt.“


Roman Yampolskiy
© BeigestelltAuch der Ethiker Peter G. Kirchschläger stellt die Frage in den Raum, wovon wir dann leben sollen, wenn digitale Systeme die menschliche Arbeit in einem hohen Ausmaß ersetzen werden. „Es ist ein realistisches Szenario, dass es zu einer massiven Reduktion bezahlter beruflicher Aufgaben kommt“, sagt Kirchschläger im Interview ab Seite 20.
Ein anderer Blick
So apokalyptisch Yampolskiys Szenario klingt – der aktuelle Future of Jobs Report 2025 des Weltwirtschaftsforums zeichnet ein differenzierteres Bild. Er kommt zu dem Schluss, dass bis 2030 weltweit zwar 92 Millionen Jobs wegfallen werden, gleichzeitig aber 170 Millionen neue entstehen. Unter dem Strich bleibt damit ein Nettozuwachs von 78 Millionen Beschäftigungsmöglichkeiten. Besonders gefragt sind einerseits Hightech-Profile: KI-Spezialisten, Datenanalysten, Experten für Cybersicherheit. Doch auch klassische Schlüsselberufe wie Pflegekräfte, Erzieher oder Zustellfahrer werden wachsen – auch getrieben von der demografischen Entwicklung.
Der Bericht zeigt auch: Fast 40 Prozent der heute gefragten Qualifikationen werden sich bis 2030 verändern. 63 Prozent der Arbeitgeber nennen die wachsende Qualifikationslücke bereits als ihr größtes Problem. Gefordert sind nicht nur digitale Skills. Auch „menschliche Fähigkeiten“ wie kreatives Denken, Zusammenarbeit, Belastbarkeit und Flexibilität werden entscheidend bleiben.
Aber auch die Verlierer dieser Entwicklung stehen fest: Kassierer, Verwaltungsassistenten – und inzwischen auch Kreativberufe wie Grafikdesigner. Gleichzeitig öffnen sich neue Türen: KI und Robotik schaffen ganze Branchen, die nach Spezialisten verlangen. Bildung und Umschulung werden dabei zur Überlebensfrage. Doch rund 120 Millionen Menschen weltweit könnten bis 2030 dennoch ohne ausreichendes „Reskilling“ bleiben – und damit in akute Arbeitslosigkeit geraten. „Trends wie generative KI und rasante technologische Veränderungen krempeln Branchen und Arbeitsmärkte um und schaffen sowohl beispiellose Chancen als auch tiefgreifende Risiken“, sagt Till Leopold, Leiter der Abteilung Arbeit beim Weltwirtschaftsforum.
Wie sich Arbeit verändert
Während Yampolskiy die radikale Verdrängung von Jobs prophezeit und das Weltwirtschaftsforum nüchterne Zahlen liefert, zeigt das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) auf, wie Büros, Teams und Arbeitsmodelle in Zukunft aussehen könnten. Die Kernbotschaft: Flexibilität ist kein Nice-to-have mehr, sondern Voraussetzung für Produktivität, Innovationskraft – und Wohlbefinden. Die Coronapandemie hat die Akzeptanz von Homoffice und hybriden Modellen beschleunigt.
Nun geht es darum, diese Erfahrungen dauerhaft in Unternehmensstrukturen zu verankern. Auch Formate wie Workation, also die Verbindung von Arbeit und Urlaub, stehen im Fokus. Was nach Lifestyle klingt, kann – richtig eingesetzt – Zufriedenheit und Bindung von Mitarbeitenden steigern. Das Fazit ist wenig überraschend – und ein stückweit beruhigend: Arbeit wird nicht verschwinden, sondern sich – „nur“ – tiefgreifend verändern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 39/2025 erschienen.