Künstliche Intelligenz löst einen Goldrausch aus, die Bewertungen der KI-Firmen steigen in astronomische Höhen – doch das erinnert frappant an die Dotcom-Blase.
Rund 13 Milliarden US-Dollar hat Anthropic kürzlich bei Investoren wie Amazon und Google eingesammelt. Das KI-Unternehmen, das einen Assistenten namens Claude entwickelt hat, soll jetzt mehr als 180 Milliarden Dollar wert sein, das ist mehr als das Doppelte als vor einem halben Jahr. Noch höhere Bewertungen hat ChatGPT-Entwickler OpenAI; auch Elon Musks xAI wird immer wertvoller. Künstliche Intelligenz hat bei Investoren einen wahren Goldrausch ausgelöst, ein Rekordinvestment jagt das nächste, Gerüchte über anstehende Börsengänge machen die Runde, weltweit wird KIStart-Ups mit klingenden Namen wie Harvey AI, Synthesia und Cursor das Geld förmlich nachgeschmissen.
Dabei sind die Aussichten auf glänzende Gewinne eher vage: Derzeit verbrauchen die KI-Spezialisten nämlich sehr viel Geld für die Entwicklung neuer KI-Modelle und für Rechenzentren; beinahe durchgehend schreiben sie Verluste. Das trübt die Stimmung aber keineswegs, denn KI ist das Trendthema der Stunde. Tatsächlich scheint das rasante Wachstum der Anbieter angesichts der steigenden Verbreitung von KI in allen Branchen unaufhaltsam – von der Kundenkommunikation mit Chatbots über die Abwicklung von Schadensfällen bei Versicherungen bis zur Erstellung von Werbeinhalten verspricht die KI steigende Produktivität, Lösungen gegen den Fachkräftemangel und höhere Margen.
Die Parallelen zur Dotcom-Blase
Und doch gibt es erste Warnhinweise und es werden Erinnerungen an das Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er-Jahre wach: Durch die Kommerzialisierung des Internet gab es damals stark steigende Börsenkurse für Technologiefirmen wie Cisco und riesige Investments in unzählige Start-ups; alles mit dem Zusatz „.com“ galt quasi als Selbstläufer. Und wie heute schossen die Firmenbewertungen in astronomische Höhen, während eine Profitabilität für die meisten Unternehmen noch lange nicht in Sicht war. Weil manche Aktien innerhalb eines Jahres das Zweitausendfache wert wurden, konnten selbst Kleinanleger nicht widerstehen und steckten immer mehr Geld in den Techno-Hype. Die Börsen wurden förmlich überrannt von Firmen, die in vielen unterschiedlichen Bereichen wie Online-Shopping, Contentproduktion und B2B-Plattformen tätig waren: Allein 1999 gab es mehr als 470 Börsengänge.
Schon ab Mitte der 1990er warnten Experten, dass das nicht mehr lange gutgehen könnte angesichts übertriebener Bewertungen, hohen Ausgaben und überschaubarer Gewinne (kommt dir das bekannt vor, liebe KI?). Und dann platzte die Blase im Jahr 2000 tatsächlich, ausgelöst durch mehrere Faktoren wie eine Rezession in Japan, steigende Zinssätze in den USA und einen verlorenen Kartellprozess von Microsoft.


In den folgenden zweieinhalb Jahren rasselten die Kurse kräftig nach unten, der wichtigste Index der Technologiebörse Nasdaq ging innerhalb von zwei Jahren um 78 Prozent zurück. Viele der gefeierten Dotcoms wie Pets.com und WorldCom segneten das Zeitliche. Einige jener Firmen, die während der Boomjahre vor dem Crash ins Rollen kamen, gibt es indes noch heute, darunter eBay und Amazon – doch selbst diese Schwergewichte brauchten etliche Jahre, um sich zu erholen. Auch der Tourismuskonzern Booking Holdings (Booking.com, ehemals Priceline) hat die Lehren aus dem Crash gezogen und sich strategisch neu ausgerichtet.
Damals war es das Internet. Heute ist es KI. Wir sehen rasant steigende Bewertungen, boomende Investitionen und eine starke Konsumnachfrage

Warnung vor einem Börsencrash
Und heute? Ist heute die Technologiebranche erneut auf dem Weg in eine solche Blase und könnte damit die nächsten Schockwellen durch die ohnehin gebeutelte Weltwirtschaft senden? Tatsächlich werden die Stimmen, die vor einer KI-Blase warnen, lauter. So bezeichnete Pierre-Olivier Gourinchas, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IMF), im jüngsten Ausblick die Tech-Investitionswelle als mögliches Risiko, denn darin ließen sich Parallelen zum Dotcom-Boom der späten 1990er-Jahre erkennen.
„Damals war es das Internet. Heute ist es KI. Wir sehen rasant steigende Bewertungen, boomende Investitionen und eine starke Konsumnachfrage, gestützt durch deutliche Kursgewinne.“ Auch die Bank of England warnt vor einem Börsencrash, ausgelöst durch KI. Und die Analysten großer Investmentbanken sind zunehmend zurückhaltend, was die Hoffnung auf rasche Gewinne betrifft.


Geld, Energie und Wasser
Das Geld wird nämlich mit vollen Händen ausgegeben, etwa für die nötige Infrastruktur. Paradebeispiel für diese Entwicklung, die nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Hinsicht etliche Fragen aufwirft, ist die Region Dallas – Fort Worth in den USA. Dort werden in einem beispiellosen Ausmaß neue Rechenzentren gebaut – vor allem für KI-Anwendungen. Mit günstigen Preisen für Grundstücke und für Strom sowie mit niedrigen Steuern lockt Texas die Techkonzerne ins Land.
Es müssen aber nicht nur Milliarden investiert werden, sondern es braucht auch Energie und Wasser. Rechenzentren verbrauchen laut der Internationalen Energieagentur schon jetzt 1,5 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs, bis 2030 sollen es drei Prozent sein. Fast die Hälfte des verbrauchten Strom kam im Vorjahr von fossilen Energieträgern. Zwar kann KI dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen (etwa durch optimierte Routenplanung in der Logistik), doch ihr Energiehunger bereitet Sorgen und könnte die Lust der Investoren dämpfen. Zugleich bewirkt der KI-Boom, dass Investitionen in anderen IT-Bereichen wie etwa Cybersecurity oder Business-Software zurückgefahren werden.
Wer zahlt am Ende dafür?
Zweifellos hat es langfristig positive Folgen für die Weltwirtschaft, wenn Investoren, allen voran Risikokapitalgeber, Geld in neue Technologien und neue Geschäftsmodelle pumpen – wie sonst sollte Innovation entstehen und in die Praxis übertragen werden? Zudem gibt es etliche Akteure im KI-Sektor, die bereits etabliert und profitabel sind, etwa Microsoft, Meta und Chiphersteller Nvidia.
Die Kernfrage wird sein, ob die Nutzung von KI-Modellen tatsächlich so rasant steigen wird wie erhofft und wie viele Firmen, aber auch Privatpersonen, bereit sein werden, dafür zu zahlen. Laut einer Studie des MIT bringen derzeit 95 Prozent der Firmenprojekte im Bereich Generativer KI keine messbaren Vorteile, was nicht nur an der KI selbst, sondern auch an den Organisationen liegen dürfte.
Manche werden sehr viel Geld verlieren, aber wir wissen nicht, wer das sein wird. Und andere werden sehr viel Geld verdienen.

Schon bald wird sich die Spreu vom Weizen trennen, denn nicht alle werden ausreichend finanzielle Mittel haben, um die enormen Kosten über einen längeren Zeitraum zu stemmen. Wer wird das sein? Nach Ansicht von Amazon-Gründer Jeff Bezos ist es für Investoren in dieser Phase schwierig, zwischen guten und schlechten Ideen zu unterscheiden. Und für OpenAI-Chef Sam Altman steht fest, dass einige sehr viel Geld verdienen, während andere sehr viel Geld verlieren werden.
Fakten & Zahlen
95 Prozent der Kapazität jener Rechenzentren, die in der Region Dallas – Fort Worth derzeit errichtet werden, sind bereits vorab vermietet.
600 Prozent betrug der Anstieg der Investitionen in den Nasdaq Composite Index von 1995 bis 2000.
252 Milliarden US-Dollar wurden im Vorjahr an Risikokapital in KI investiert
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/25 erschienen.






