Nach neun Wochen Ferien startet Österreich ins neue Schuljahr – mit Ritualen. Und mit Maßnahmen statt Reformen: Handyverbot, Orientierungsklassen, Sommerschule. Vor allem aber mit weiter viel Mittelmaß. Dabei ist Bildung unser einziger Rohstoff. Wir vergeuden ihn. Auch heuer wieder.
Es ist ein Schauspiel, das hierzulande in regelmäßigen Abständen zu beobachten ist. Dieses Aufregen. Manchmal auch Echauffieren. Über Wichtiges und Nebensächliches. Leidenschaftlich. Meist ergebnislos. Denn irgendwas ist immer. Immer dringlicher. Oder unterhaltsamer. Mit den ernsten Dingen des Lebens beschäftigt man sich hierzulande nicht gerne. Schon gar nicht ausführlich. Dabei hat in dieser Woche der sprichwörtliche Ernst des Lebens begonnen. Die Schule.
Unser Schatz ist die Bildung. Je mehr und je besser ausgebildet die Menschen sind, desto stärker und besser ist die Gesellschaft
Ein Aufregerthema. Ein ernsthaftes obendrein. Doch mehr als ein Strohfeuer an Emotionen, ein paar Grundsätze („Das war schon immer so!“) und Mini-Reförmchen wie das Handyverbot kommen nicht heraus. Angesichts dieses Bildungssystems müsste jedoch täglich ein Sturm der Empörung durchs Land ziehen. Schließlich haben wir keine Rohstoffe, die unseren Wohlstand sichern. Unser Schatz ist die Bildung. Je mehr und je besser ausgebildet die Menschen, desto stärker und besser ist die Gesellschaft. Doch all das kümmert erstaunlich wenig.
Dabei ließe sich der Schulbeginn sogar wunderbar mit dem Aufregerthema der unsäglichen Teilzeit-Debatte verknüpfen. Denn schon der erste Schultag folgt einem Ritual, das kaum jemand infrage stellt: Er endet nach einer Stunde. Manchmal nach zwei oder drei Stunden. Oft werden nur ein paar Zettel verteilt. Unterricht soll es angeblich auch geben. Wozu die Gemächlichkeit? Zum Warmlaufen? Zum Durchzählen? Eine Generalprobe für den Echtbetrieb? Oder weil das System nach neun Wochen Ferien noch ein bisschen Zeit braucht, um auf Touren zu kommen?
Mini-Reformen, Maxi-Probleme
Aber Aufregen ist zwecklos. Es ist so. Es bleibt so. Weil: Es war immer so. Wo ist das Problem? Es funktioniert ja. Irgendwie. Die einen nehmen die Kinder mit in die Arbeit. Andere lassen sie allein zu Hause – der Hort startet ebenso nicht sofort. Teilzeit ist da praktisch. Ein zusätzlicher Urlaubstag auch. Doch davon haben Eltern nicht unbegrenzt viele. Schließlich stehen ihren Urlaubstagen 70 bis 75 Ferientage gegenüber. Wäre es nicht Aufgabe der Politik, hier endlich Rahmenbedingungen zu schaffen? Also echte Diskussion statt Lifestyle-Debatte auf einem Nebenschauplatz?
Und überhaupt: Wann gehen wir die Probleme im Bildungssystem an? Vielleicht jetzt, wo wir wieder mit einem „Weiter so“ in ein neues Schuljahr starten? Handyverbot, Orientierungsklassen, verpflichtende Sommerschule bei Förderbedarf – soll das schon Bildungsreform sein? Wie laut müssen die Alarmglocken schrillen, wenn Bildungsexperte Andreas Salcher im News-Interview sagt: „Die Gymnasien schneiden zum Großteil leistungsmäßig nur deshalb besser ab, weil die Bildungseltern, vor allem die Mütter, jeden Tag mit ihren Kindern lernen. Wenn sie das nicht tun würden, will ich mir gar nicht vorstellen, wie PISA ausschauen würde.“ Salchers Urteil: Das österreichische Schulsystem ist ein Fernlerninstitut mit Anwesenheitspflicht.
Bildung ohne Anspruch
Spätestens wenn der Bildungsminister erklärt, er könne „garantieren, dass es ausreichend Lehrer gibt, damit alle Kinder eine gute Bildung bekommen“, sollte Feuer am Dach sein. Allein, dass man versichern muss, es gebe genug Lehrer, und eigens betont wird, Kinder sollten eine gute Bildung erhalten, ist eine Bankrotterklärung. „Vieles wird großartig“, versichert der Minister. Wohl wissend, dass nichts großartig ist. Lehrermangel. Sprachdefizite. Schüler, die nicht wollen. Eltern, die nicht wollen. Eine Ganztagsschule bleibt ideologisches Tabu. Die frühe Trennung nach der vierten Volksschulklasse bleibt gesetzt.
Großartig also. Wieder einmal. Leider nur im Mittelmaß. Das beginnt im Kindergarten und setzt sich fort. Auch die Universitäten sind international nur Mittelmaß. Dabei wären sie entscheidend für die Zukunft. Für Innovation, für den Standort. Doch Österreich spielt nicht mit. Zwischen 2014 und 2024 gründeten Absolventen der TU München 1.116 Start-ups – darunter Flix mit seinen grünen Flixbussen, heute Weltmarktführer. ETH Zürich: 1.022. St. Gallen: 845. TU Wien: 338. WU Wien: 223. Platz 14 und 20 im internationalen Vergleich. Aber der Hinweis, dass andere auch nicht viel besser sind, kommt verlässlich.
Alles im Griff? Von wegen
Im ORF-Sommergespräch sprach Kanzler Stocker von „schwieriger, herausfordernder Zeit: Wir werden unseren Wohlstand selbst sichern oder ihn nicht mehr haben … Alte Modelle stimmen nicht mehr. Alte Formeln greifen nicht mehr. Wir werden Neues entwickeln müssen.“ Er benennt wunde Punkte. Wirtschaft, Miteinander. Schule? Bildung? Fehlanzeige. Hier bleibt das bekannte Muster: nichts zumuten, beschwichtigen, Altes bewahren und immer wieder betonen, dass „Alles im Griff“ sei. Bis die Reißleine gezogen werden muss.
Ein Schicksal, das auch dem Bildungssystem droht. Aber am Ende findet sich gewiss ein Schuldiger. Gut, dass wir zumindest zum Schulstart darüber gesprochen haben. Ein bisschen. Ein bisschen arg wenig.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/25 erschienen.