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Matura und dann? Warum viele Jugendliche ohne Studienplatz dastehen

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MINDESTPREIS PRINT EUR 50,00/ONLINE EUR 20,00 - ©photonews.at/Martin Juen - Wien, 04.07.2025. Die Medizinische Universitaet Wien fuer die diesjaehrlichen Aufnahmetests durch. Und den Andrang zu bewaeltigen wird die Messe Wien als Location genuetzt. PHOTO: Studenten vor Beginn der Aufnahmepruefung.//.The Medical University of Vienna for this year's entrance tests. And to cope with the rush, Messe Wien will be used as the location Uni, Univaersitaet, Test, Aufnahme, Studium, Student, Studenten, Pruefung - 20250704_PD1777 - Rechteinfo: Rights Managed (RM) Achtung Mindestpreis - nicht zum Listenpreis erhältlich

Medizinstudium: 7.700 Anwärter für 1.900 Studienplätze

©Martin Juen / photonews.at / picturedesk.com

Während die einen Jugendlichen genau wissen, wie es nach dem Schulabschluss weitergeht, sind andere nur auf die Maturaprüfungen fokussiert und dann kommt das böse Erwachen: Sie haben keinen Studienplatz. An der Schnittstelle zwischen Höheren Schulen und Universitäten sowie Fachhochschulen hakt es.

Angelina Ivkovic hat sich schon ein Jahr vor ihrer Matura an einer Wiener Handelsakademie entschlossen, Wirtschaftsrecht zu studieren. Sie wollte sich allerdings eine kleine Pause zum Durchatmen gönnen. Der Plan war, erst im zweiten Semester mit dem Studium zu beginnen. „Ich habe gedacht, dass ich da ja noch genügend Zeit nach der Matura habe, um mich um die Anmeldung zu kümmern“, erzählt die 19-Jährige. Aber auch wenn man quer einsteigt, die Aufnahmeprüfung für dieses Studium an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien hätte sie bereits diesen Sommer absolvieren müssen. Da war es allerdings zu spät – sie hat die Frist versäumt.

Nun will sie das Beste aus dem Jahr machen, sich in der Arbeitswelt umsehen, aber auch ausloten, welche Studien noch infrage kommen und wie die Anmeldemodalitäten sind.

Daniela Davidovits kennt dieses Problem gut. Sie begleitet als Coach Jugendliche bei der Planung ihrer Bildungslaufbahn. „Im Vordergrund steht bei vielen erst einmal, die Matura zu machen. Nur dann ist es oft schon zu spät, sich an einer Uni oder Fachhochschule zu bewerben.“ Viele Jugendlichen wüssten schlicht nicht, was sie nach der Schule machen möchten, „manche, weil sie sich für sehr viele Dinge interessieren, andere weil sie nicht genug an einem Thema interessiert sind. Und das Schulsystem beinhaltet derzeit in den Höheren Schulen eigentlich keine strukturierte Begleitung bei der Berufs- und Studienwahl“.

Unübersichtliche Zukunft

Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat zuletzt 2024 im Auftrag des Bildungsministeriums eine Maturierendenbefragung durchgeführt, die diesen Befund untermauert. 6.600 Schüler und Schülerinnen haben daran teilgenommen. Demnach gaben sieben von zehn Jugendlichen an, innerhalb von zwei Jahren nach der Reifeprüfung studieren zu wollen. Kurz vor der Matura hatten sich aber erst 57 Prozent für ein konkretes Studienfach entschieden. 35 Prozent schwankten noch zwischen mehreren Studien. Und neun Prozent waren sich völlig unsicher, was sie studieren sollen.

Davidovits gibt zu bedenken: Es geht nicht nur um die Wahl des Studienfachs, sondern auch darum, sich für einen Unioder Fachhochschul-Standort zu entscheiden. „Man muss sich auch über die unterschiedlichen Schwerpunkte und Ausrichtungen informieren. Man kann zum Beispiel in Wien Rechtswissenschaften klassisch am Juridicum der Uni Wien oder Wirtschaftsrecht an der Wirtschaftsuni studieren.“ Zudem muss man die Einschreibfristen im Blick haben. Die Bewerbungsverfahren an Fachhochschulen würden oft schon vor den Maturaprüfungen beginnen. An Universitäten müsse man sich für Studienrichtungen mit einem Aufnahmetest oder Eignungsverfahren rechtzeitig anmelden.

An der Uni Wien beginnen jedes Jahr an die 10.000 Personen ein Bacheloroder Diplomstudium, so Roland Steinacher, Leiter des Bereichs Studienservice und Lehrwesen. In 20 Studienrichtungen von Psychologie bis Rechts­wissenschaften sind Aufnahmetests vorgesehen – sie entfallen, wenn sich weniger Studierende anmelden als es Plätze gibt. Doch auch dann ist die Anmeldefrist zu beachten und diese endet bereits im Juni. Zuletzt fanden Tests in zwölf Studien statt – wobei Psychologie ähnlich hohe Anmeldequoten aufweist wie das Medizinstudium an der MedUni Wien. Am Ende erhält hier im Schnitt jeder achte bis zehnte den begehrten Studienplatz. Eignungsverfahren gibt es an der Uni Wien für Lehramtsstudien und für Sportwissenschaft. 25 Studien können ohne Aufnahmeverfahren belegt werden – für sie endet heuer die Einschreibfrist am 5. September.

Lernen, nicht nur für die Matura

In jenen Studien, in denen eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren ist, müsse man sich schon im letzten Schuljahr, parallel zum Lernen für die Matura, auf den Test vorbereiten, sagt Davidovits. „Idealerweise wählt man die Maturafächer auch entsprechend aus, entscheidet sich also zum Beispiel, wenn man beim Aufnahmetest für das Medizinstudium, dem MedAT antritt, dafür, in Chemie oder Biologie zu maturieren.“ Der Test an den Medizin-Unis findet bereits kurz nach der Matura statt.

An den öffentlichen medizinischen Universitäten in Wien, Innsbruck, Graz und Linz werden jedes Jahr insgesamt 1.900 Studienplätze vergeben. An der MedUni Wien sind es 692 Plätze für Humanmedizin, 80 für Zahnmedizin. Heuer meldeten sich 7.729 Personen für den Test an. 2024 schafften es nur 7,8 Prozent der Bewerber, den MedAT an der Uni Wien sofort nach der Matura zu bestehen, so Joachim Punter, der für die Durchführung und Auswertung des Med‑AT verantwortlich zeichnet. Eine freiwillige Online-Befragung zeigte, dass knapp 30 Prozent den Test zuvor bereits einmal probiert haben, elf Prozent zweimal, 3,6 Prozent dreimal.

Für jene, die es nicht ins Wunschstudium geschafft haben, stellt sich die Frage: Was nun? „Ein Weg ist, ein Fach zu belegen, das sozusagen in der Nähe ist, bei Medizin beispielsweise Biologie oder Chemie und ein Jahr später nochmals beim Aufnahmetest anzutreten“, sagt Davidovits. Wer im Herbst nicht ohne Studienplatz dastehen wolle, brauche einen Plan B oder C und müsse sich für mehrere Studiengänge bewerben. Im Idealfall wissen jene Jugendliche, die studieren möchten, bereits Ende des vorletzten Schuljahres, wohin die Reise gehen soll, so die Bildungsberaterin.

Es gibt aber auch jene, die früh genug sicher sind, was sie studieren möchten. Am Ende stellt sich aber heraus: das gewählte Fach war nicht das richtige. Latein war im Gymnasium das Lieblingsfach von Isabel K., sie entschied sich in der siebenten Klasse, Klassische Philologie – also Latein und Altgriechisch – zu studieren. Im Lauf der Maturaklasse reifte der Entschluss, ein zweites Studium zu belegen: Judaistik. Die Erwartungshaltung der jungen Frau: „Ich hatte Vorstellungen wie zum Beispiel Uniprofessorin zu werden, was natürlich sehr schwer ist, aber ich dachte mir, ich kann so vielleicht auch einmal in einem Museum arbeiten, oder generell in die Forschung gehen.“ Beide Studien können ohne Aufnahmeverfahren inskribiert werden.

An der Uni ist das ganz anders. Das hat mir ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen

Isabel K.

Die STEOP, die Studieneingangs- und Orientierungsphase, in Judaistik schloss sie erfolgreich ab. „Aber in der klassischen Philologie habe ich kein einziges Fach positiv geschafft.“ Die junge Frau vermutet, in ein Burnout gerutscht zu sein. Und: Obwohl sie Latein sehr möge, sei die Entscheidung für das Studium der Klassischen Philologie wohl nicht die richtige gewesen. Sie sei mit dem Schulsystem gut zurechtgekommen, „aber mit dem Unisystem komme ich nicht so gut klar. In der Schule wurde einem immer gesagt, was man zu tun hat und man wusste, was man lernen musste. An der Uni ist das ganz anders. Das hat mir ein bisschen den Boden unter den Füßen weggezogen“.

Isabel K. würde sich im Rückblick wünschen, an der Schule klarer vermittelt zu bekommen, was es bedeute, an einer Uni zu studieren. Es wurde über Ausbildungswege nach der Matura informiert. „Aber ein persönliches Beratungsgespräch wäre sehr hilfreich gewesen.“

Grundsätzlich entwickle sich das Informationsangebot an Höheren Schulen in die richtige Richtung, meint Steinacher von der Uni Wien. „Die Themen kommen meiner Meinung nach immer besser in der Schule an, da machen die Bildungsberater an den Schulen einen guten Job.“ Die Uni Wien ist auf Bildungsmessen präsent, geht an Schulen und bietet Tage der Offenen Türen. Heuer haben an letzteren rund 4.000 junge Menschen teilgenommen. „Wir merken, dass diese Angebote verstärkt wahrgenommen werden.“

Beratung hängt von der Schule ab

Woran es allerdings laut Davidovits hakt, ist eine systematische Begleitung der Jugendlichen in dem Prozess der Studienwahl. Derzeit hänge das vom Engagement am Schulstandort ab. Die Maturierendenbefragung des IHS zeigt auf: An der Schule wurden 91 Prozent der Jugendlichen über Wege nach der Matura informiert, allerdings nur jeder oder jede Dritte im Rahmen einer Einzeloder Kleingruppenberatung. Berichtet wurde in der Befragung zudem über negative Erfahrungen wie „Wir haben sehr viele Plakate und Broschüren erhalten, aber weder haben uns Lehrer genauere Informationen dazu gegeben, noch sind sie mit uns als Klasse wohin gefahren“, jedoch nur über wenige positive Erfahrungen wie „Meine Lehrer haben mich besonders in meiner Entscheidung gestärkt. Sie haben mir auch sehr geholfen.“

Es geht genau um dieses individuelle Hinführen zur Studienentscheidung, betont die Bildungsberaterin. In den USA gebe es die „counselors“. Sie helfen dabei, Interessen und Begabungen zu eruieren, das dazu passende Studium zu finden und begleiten beim Bewerbungsprozess an Universitäten. „Unterm Strich bleibt: Jugendliche heute müssen sich bereits während der Schulzeit sehr ernsthafte Gedanken über den weiteren Bildungsweg machen. Und dabei brauchen viele von ihnen Unterstützung“, so Davidovits.

Jene Zeiten, in denen junge Menschen maturierten und im Herbst darauf einfach inskribierten, was ihnen interessant erschien, ist vorbei. Studienplatzbeschränkungen, die Einführung der Fachhochschulen und das sehr vielfältige Studienangebot haben zu neuen Realitäten geführt, sagt die Bildungsberaterin.

Dessen ist man sich im Bildungsministerium bewusst – und bemüht sich gegenzusteuern. Seit dem Schuljahr 2023/24 seien in der AHS-Unterstufe neue Lehrpläne in Kraft, betont Katharina Unger, stellvertretende Leiterin der Abteilung für AHS im Ministerium. Die früheren Unterrichtsprinzipien wurden durch so genannte „übergreifende Themen“ ersetzt. Eines davon ist die „Bildungs-, Berufs- und Lebensorientierung“.

Es wäre es toll, wenn jede Schülerin, jeder Schüler zehn Stunden an individueller Bildungs- und Berufsberatung hätte

Katharina Unger

„Das Ziel ist, dass man die Schüler und Schülerinnen fundiert auf ihre Bildungs- und Berufsentscheidungen vorbereitet“. Dabei gehe es darum, Fähigkeiten, Interessen und Werte zu erkennen und weiterzuentwickeln. Später soll das in die Auswahl der passenden Ausbildung müden. Solche „übergreifenden Themen“ würden sich quer durch Gegenstände ziehen, seien aber, weil Teil des Lehrplans, in jedem Fall von den Lehrpersonen zu erfüllen. Unterstützend gebe es an jeder höheren Schule Schüler- und Bildungsberatung. „Die dafür zuständigen Lehrpersonen organisieren einerseits Information, andererseits gibt es auch individuelle Beratung und Vermittlung von Hilfe.“ In der Realität sieht das so aus, dass an einem Schulstandort zumindest eine Sprechstunde pro Woche angeboten wird.

Reicht das aus? „Natürlich wäre es toll, wenn es für jede Schülerin und jeden Schüler zehn Stunden an individueller Bildungs- und Berufsberatung gäbe. Wir müssen aber auch realistisch bleiben“, sagt Unger.

Ein neues Fach: Berufsorientierung

Sie kündigt im News-Gespräch etwas an, was dem sehr nahe kommt: die neuen Lehrpläne für die AHS-Oberstufe treten im Schuljahr 2027/28 in Kraft. Dort ist ein neuer Wahlpflichtgegenstand verankert, der an allen Schulstandorten angeboten werden kann. Er wird „Bildungs- und Berufsorientierung“ heißen und vier Wochenstunden umfassen. „Dieser Gegenstand wird darauf abzielen, eine intensivere Befassung mit dem Thema zu ermöglichen, einschließlich einer Reflexion der individuellen Zukunftsplanung und praxisnaher Einblicke in die Berufswelt“.

Es gebe die Schülerinnen und Schüler, die schon recht früh wüssten, wohin die Reise gehe. Für die anderen sei das neue Wahlpflichtfachangebot eine Möglichkeit, ihre weitere Bildungslaufbahn besser zu planen.

Ausbauen will man seitens des Ministeriums auch die Zahl der AHS-Standorte, die auf ein Kursangebot in der Oberstufe setzen. Dabei können von den Jugendlichen je nach Schulform und -standort Kurse von bis zu 22 Wochenstunden frei gewählt werden. Das ermöglicht einen besseren Übergang zum Studium, weil man – wenn man die Kurse im Hinblick auf den angepeilten Studiengang wählt – besser auf einen Aufnahmetest und das Studium vorbereitet ist.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2025 erschienen.

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