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Medienwissenschafter sehen Journalismus am "Kipppunkt"

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Alte Geschäftsmodelle des Journalismus geraten gehörig ins Wanken
©APA, THEMENBILD, BARBARA GINDL
Das österreichische Mediensystem befindet sich in der Krise. Werbeerlöse wandern ab, journalistische Arbeitsplätze werden rasant abgebaut. "Die Dramatik ist nicht zu übertreiben", sagte Medienwissenschafter Hendrik Theine. Man stehe an einem "Kipppunkt". Um gegenzusteuern, brauche es "echten Wandel", der auch vor den Geschäftsmodellen der Medienhäuser nicht Halt machen dürfe, sagte er am Freitag im Rahmen eines Pressegespräch von "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz".

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Der an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) tätige Wissenschafter sieht mit Blick auf eine ins Digitale abwandernde Mediennutzung, zusehends zu digitalen Giganten abfließende Werbeerlöse und KI-Overviews, die Zugriffe auf Plattformen der Medienhäuser abfangen, eine "strukturelle, tiefgreifende Veränderung des Mediensystems" gegeben, die sich auch nicht wieder umkehren werde. Da es schwer sei, Geschäftsmodelle rasch grundlegend neu zu denken, bestehe eine reale Gefahr, dass kritischer, demokratiefördernder Journalismus in Österreich auf der Strecke bleiben könnte.

Daher brauche es "echten Wandel". Baustein dafür müsste etwa eine "völlige Auflösung der Inseratenpolitik" sein, so Theine. Die Inseratenvergabe der Bundesregierung wurde bereits in der Vergangenheit von Medienexperten als willkürlich, intransparent und mit klarem Hang zum Boulevard kritisiert. Die bisher dafür verwendeten Mittel sollten stattdessen in einen "Public-Trust-Fund" fließen, wobei ein unabhängiges Gremium diesen verwalten und an qualitativen Journalismus ausschütten solle, so die Anregung Theines.

Die offizielle Medienförderung - die hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern bereits relativ hoch ausfällt und in den vergangenen Jahren kräftig aufgestockt wurde - müsse weg von einer "Stützung des alten Systems hin zu neuen Kriterien", wobei sie durch neue Einnahmequellen gestützt werden sollte. KI- oder Plattform-Abgaben kommen dem Medienexperten hier in den Sinn. "Werbeeinnahmen verschwinden ins Digitale. Von dort kann man sie stückweise über Abgaben oder Steuern zurückholen", meinte Theine. Es existiert bereits eine Digitalsteuer, die auf große internationale Plattformen abzielt. Jedoch fließt nur ein Bruchteil der daraus generierten Einnahmen auch in Medienförderung.

Medienminister Andreas Babler (SPÖ) hatte eine Neuaufstellung der Medienförderung angekündigt, wobei er zuletzt eine wissenschaftliche Analyse in Auftrag gegeben hat. Sie soll die Förderstrukturen prüfen und Vorschläge für eine Neuausrichtung vorlegen, wobei journalistische Qualität gestärkt, aber auch eingefordert werden solle. Ergebnisse werden für Anfang 2026 erwartet.

Generell ortet Theine in der Medienbranche eine "Krise des privatwirtschaftlichen Geschäftsmodells". Um sie zukunftsfit zu machen, müsse sie sich verstärkt in Richtung genossenschaftlicher oder gemeinnütziger Geschäftsmodelle orientieren. Deren Gründung sollte gestützt und gefördert werden. Problematisch sei, dass die Eigentumsverhältnisse im österreichischen Mediensystem "hochkonzentriert" seien. Das gehe mit "hoher Machtkonzentration" einher. "Wenn man Reformen anstoßen möchte, ist eine hohe Machtkonzentration ein großes Problem", sieht Theine eine Ursache dafür, warum so lange keine tiefgreifende Veränderung stattgefunden habe.

Auch Medienexperte Fritz Hausjell sieht die Zeit für Analyse vorbei und jene für konkrete Ideen gekommen. Die Medienbranche sei lange Zeit von disruptiven Vorgängen verschont geblieben, jetzt sei es aber soweit. Inzwischen weise die Branche eine zu geringe Vielfalt auf. "Es geht nicht mehr um den Erhalt der Medienvielfalt, sondern um deren Wiederherstellung", sagte der emeritierte Uni-Wien-Professor und Präsident von "Reporter ohne Grenzen Österreich".

Er sprach sich etwa für gemeinsame Plattformen der Medienhäuser aus, wobei eine genossenschaftlich organisierte Firma die Erträge an alle Genossenschafter fair ausbezahlen müsse. Das könne in Zeiten automatischer Untertitelung und KI-Übersetzungen auch europaweit erfolgen, um eine europäisch-journalistische Öffentlichkeit herzustellen. Die diversen Medienverbände im Land sollten ihre "Köpfe zusammenstecken und sondieren, ob sie in so einer Kooperation Sinn sehen", so Hausjell.

Zudem sieht er die Zeit für ein "Public-Relations-Transparenzregister" gekommen, das dabei helfen würde, den politischen Prozess "ein gutes Stück besser beurteilen" zu können. Jeder PR-Auftrag - etwa eines Ministeriums - müsse dort gemeldet werden, wobei angepeilte Ziele, Mitteleinsatz und Auftragnehmer angegeben werden müssten.

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