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In einem inhaltlichen Prozess müsse man sich mit wesentlichen Fragestellungen auseinandersetzen und klare Positionen einnehmen. "Was bedeutet der Leistungsbegriff in einer Zeit der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz?", nannte Marchetti ein Beispiel. Fragen würden auch der demografische Wandel und die internationale Kooperation in einer sich ändernden Weltordnung aufwerfen.
Reüssieren müsse die ÖVP in den Städten, habe man doch in Salzburg, Dornbirn und Graz den Bürgermeister verloren. "Das tut alles weh", sagte Marchetti. Im September finde ein Städte-Gipfel mit Vertretern aus allen Bundesländern statt, bei dem überlegt werde, wie man inhaltlich innovativer werden kann. Konservative Politik bedeute, dass "man sagt, gewisse Werte in der Gesellschaft sind einfach relevant" - das könne auch in Städten funktionieren. So etwa beim Thema Integration, wo man "gewisse Dinge nicht einreißen lassen" möchte. Teilweise erkenne man Stadtviertel schließlich nicht wieder. Bei der Wahl des Verkehrsmittels müsse die ÖVP "ein bisschen weg von 'Mobilität ist ein ideologisches Statement', hin zu 'Was ist einfach praktisch und wo müssen wir als Volkspartei dann auch dementsprechend Angebote schaffen'."
Bei den Umfrageergebnissen sieht der Generalsekretär bereits eine Trendumkehr. Lag die ÖVP Anfang des Jahres während der Regierungsverhandlungen noch unter 20 Prozent, sind es laut dem APA-Wahltrend, der Ergebnisse der vergangenen fünf Wochen berücksichtigt, nun rund 22 Prozent. Die FPÖ fiel von knapp 38 auf 33 Prozent. Bundeskanzler Christian Stocker, der "natürlich" auch bei der nächsten Wahl ÖVP-Spitzenkandidat sein soll, spreche "mit seiner professionellen, verbindlichen und besonnenen Art" jedenfalls nicht nur ÖVP-Stammwählerinnen und -wähler an. Die Dreierkoalition wolle zudem "wirklich Reformen anstoßen", verwies Marchetti etwa auf die Reformpartnerschaft mit den Bundesländern.
Nach dem gescheiterten Versuch einer Koalitionsbildung hat Marchetti die FPÖ zuletzt scharf kritisiert. "Was ist der Leistungsnachweis der FPÖ als Oppositionspartei?", meinte der Generalsekretär dazu, dass diese der Regierung einen "Fünfer" ausgestellt hatte. Die Freiheitlichen würden Anfragen kopieren und sie im Kreis schicken. Zuletzt hatte die FPÖ 827 parlamentarische Anfragen zum Thema Corona gestellt. Im Zuge der Reformpartnerschaft werde auch der steirische Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ) als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz am Tisch sitzen. Für einige Themen werde man eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen. Bringe sich die FPÖ nicht konstruktiv ein, "ist es auch ein klares Signal, dass sie einfach nicht willens sind, Verantwortung zu übernehmen", so Marchetti.
Das Verlangen der FPÖ für einen Untersuchungsausschuss zum Tod des Ex-Justiz-Sektionschefs Christian Pilnacek und diversen Coronamaßnahmen hatten die Koalitionsparteien zuletzt bestritten; dieses wird nun ein Fall für den Verfassungsgerichtshof. Es gehe darum, ob der Untersuchungsgegenstand verfassungskonform sei, und nicht darum, ob er der ÖVP gefalle, sagte Marchetti. Auf die Frage, ob die ÖVP einen eigenen U-Ausschuss gegen die FPÖ einsetzen könnte, meinte er, wenn es einen Anlass und Substanz gebe, dann "werden wir auch dieses Mittel natürlich in Erwägung ziehen." Es gehe bei dem Kontrollinstrument allerdings um die Bundesverwaltung und nicht um Parteien.
Uneinigkeit gab es innerhalb der Volkspartei zuletzt beim Pensionsthema. Während Klubobmann August Wöginger eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters ausschloss, sprach sich die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler dafür aus, damit "nicht ewig" zu warten. Die ÖVP versteht sich laut Marchetti als "die Enkelpartei" und sei für Reformen im Pensionsbereich - man könne "auch konstruktiv über Vorschläge diskutieren". Die Bundesregierung habe sich aber darauf verständigt, das faktische Antrittsalter zu erhöhen, mit der nun beschlossenen Reform sei man auf einem guten Weg. Insgesamt handle es sich nur um eine "theoretische Diskussion". Für eine Anhebung des gesetzlichen Antrittsalters gebe es schließlich keine parlamentarische Mehrheit, "weder in der jetzigen Konstellation noch mit der FPÖ."
Marchetti selbst übernimmt mit Sommer die Medienagenden seiner Partei von Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger. Dass das passiert sei, weil Egger eine Reform der ORF-Bestellprozesse gegenüber den ÖVP-Landeshauptleuten nicht angekündigt hatte, wie die "Presse" mutmaßte, hält Marchetti für "eine Sommerloch-Analyse". Es sei üblich, dass der Generalsekretär auch Mediensprecher sei. Die Änderung beim ORF - Landeshauptleute verlieren ihr Anhörungsrecht bei der Bestellung von ORF-Landesdirektoren - sei jedenfalls inhaltlich richtig. Der ORF müsse wie alle anderen öffentlichen Institutionen in einer Zeit der Budgetkonsolidierung zudem überlegen, wo er effizienter werden kann. Das Einfrieren der Haushaltsabgabe für die nächsten Jahre sei gut, da man damit eine gewisse Sparerfordernis festschreibe.