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Leitartikel: PR statt Politik – Wie sich Österreich schönredet

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6 min
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Kathrin Gulnerits

©Matt Observe

Die Politik inszeniert sich auf Social Media als gut gelaunte Fortschrittsmaschine – mit Selfies, Slogans und Symbolpolitik. Doch die Realität ist eine andere. Während alles schön aussieht, wird nichts wirklich besser. Was fehlt? Ehrlichkeit. Und die Bereitschaft, unbequeme Wahrheiten auszusprechen.

Es ist nur ein Foto. Auf Instagram, wo die Welt mehrheitlich noch in Ordnung ist. Auf diesem Foto winken Menschen fröhlich in die Kamera – auf einem roten Teppich im Stiegenhaus des Bundeskanzleramts. 15 junge Menschen, dazu ein junger Chef. „We proudly present“, schreibt dieser. Es ist sein Team. Und es ist ein durchaus üppig ausgestattetes Team. Allein sieben Personen sind für Koordination zuständig. Zwei für Pressearbeit. Ein Team, von dem viele Chefs nur träumen können – und das einige wohl auch mit Neid betrachten. Oder mit Verwunderung. Es ist das Team des Staatssekretärs für Digitalisierung, Verfassung, öffentlichen Dienst, Koordinierung und Kampf gegen Antisemitismus: Alexander Pröll.

Das Foto wirft Fragen auf: Wie sehen dann wohl die Teams der Minister aus? Wie viele Personen braucht es, um Politik zu organisieren, zu kommunizieren, zu koordinieren? Aufwand und Nutzen? Und: Wie wenig Gespür kann man in Zeiten wie diesen eigentlich haben?

Denn wer neu nach Österreich kommt und sich durch die Social-Media-Profile der Politikerinnen und Politiker klickt, muss glauben, er sei im Paradies gelandet. Fröhliche Gesichter überall. Es wird gewunken, gejoggt (in Nordmazedonien), geschritten (durch New York), geworben (für Sonderbriefmarken). Der Kanzler sitzt im Büro und wünscht ein erfolgreiches Schuljahr – vor allem jenen, die Matura machen. Als ob es nur diesen Abschluss gäbe. Der Staatssekretär für Digitalisierung „gaberlt“ mit Dominic Thiem am Fußballplatz – also: Wer kann öfter den Ball hochhalten, in acht Minuten? So lange dauert es, die ID Austria zu aktivieren. Für diese will er werben. Es gibt ihn also noch, den Spaß bei der Arbeit. Gut möglich, dass viele andere ihn gerade schmerzlich vermissen.

Wirklichkeit und Wirkung

Alles gut? Alles schön! Tu felix Austria?! Das alles hat auch mit den Medien zu tun. Wir transportieren diese Bilder, kommentieren sie, bohren nach. Schreiben, was ist. Das kommt nicht immer gut an. Denn: Gute Stimmung braucht das Land. Das stimmt. Sehr dringend sogar. Doch bringt es ein Land tatsächlich weiter, wenn man nicht benennt, was gerade schiefläuft? Wenn man ausblendet, schönredet, beschwichtigt, hofft – auf bessere Zeiten? Und wenn man jene, die Missstände ansprechen, kurzerhand als Schlechtredner abstempelt?

Natürlich ist nicht alles schlecht. Aber so richtig gut läuft es gerade auch nicht. Österreich lebt über seine Verhältnisse. Der Staatshaushalt ist aus dem Ruder gelaufen, die Inflation liegt auf Rekordniveau, das Wachstum ist schwach. Bei den großen Reformbaustellen ist keine Bewegung in Sicht. Selbst auf Bedrohungen aus der Luft hat man keine Antwort. Eine Expertin wurde kürzlich gefragt, wie eine Drohnenschutzstrategie für ein neutrales Land wie Österreich aussehen könnte. Als ob Neutralität eine Ausrede sein darf, sicherheitspolitische Hausaufgaben zu ignorieren. Ihre Antwort, begleitet von einem hörbaren Seufzer: „Es gibt keinen Unterschied zwischen einem neutralen Land und einem NATO-Land – Sicherheitspolitik ist überall Pflicht.“

Die Realität – wirtschaftlich wie geopolitisch – verträgt sich nicht mit dem weichgezeichneten Bild, das die Politik gern zeichnet. Die Wirtschaftskammer etwa präsentierte kürzlich ein Video: grüne Wiesen, Kinder mit Papierfliegern, die später Wissenschafter werden. Der Slogan: „Was auch kommt. Österreich kann Zukunft.“ Die Medien, so der unterschwellige Wunsch, sollen bitte mehr in Richtung Stimmungsmache arbeiten. Und helfen, ein positives Bild zu zeichnen. Denn: Österreich sei der „Place to be“. „Da geht die Post ab“ – gerade für junge Menschen. Nur schade, dass die Politik genau für die Jungen kaum noch ein echtes Angebot macht.

Der positive Blick auf dieses Land ist aktuell verstellt – von großen Brocken, die im Weg liegen

Natürlich kann Österreich Zukunft. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung. Österreich ist ein wohlhabendes, sicheres, in weiten Teilen gut funktionierendes Land. Und trotzdem müssen wir uns ehrlich eingestehen: Der positive Blick auf dieses Land ist aktuell verstellt – von großen Brocken, die im Weg liegen. Ein Abwärtstrend ist spürbar. Der lässt sich nicht durch PR-Kampagnen oder hübsche Instagram-Videos umdrehen. Oder indem Verantwortung abgeschoben wird – vor allem auf die Medien. Wenn es schlecht läuft, sind wir schuld? Weil wir Missstände sichtbar machen?

Mut zur Wahrheit

In Deutschland gibt es derzeit zwei Sichtweisen: Entweder ist die Lage schlechter als die Stimmung. Oder umgekehrt: Die Hauptursache für die schlechte Lage sei die schlechte Stimmung. So oder so: Es läuft nicht gut. Und doch tut sich in Deutschland etwas: weniger PR, mehr Ehrlichkeit. Politiker sagen offen: Wir werden mehr arbeiten müssen. Der Staat, das sind wir alle. Die Wirtschaft, das sind wir alle. Ob das gelingt, ist offen. Aber ein ehrlicher Blick auf die Realität ist ein Anfang. Und kein: Entspannt euch, wir regeln das für euch. Nur ein bisschen positiver Blick, dann wird das schon.

Gerade in einem ausgeprägten Nanny-Staat wie Österreich müssten Politik und Wirtschaft viel öfter klare Worte finden. Denn hübsche Videos werden am Ende definitiv zu wenig sein.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 41/25 erschienen.

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