Der Bildungsminister will das System Schule umkrempeln und kündigt einen Neustart an: weniger Stoff, mehr Relevanz, mehr Autonomie. Doch auch dieser Anlauf trifft auf ein System, das sich eingerichtet hat. Und auf eine Gesellschaft, die Reformen nur so lange will, wie sie selbst nicht betroffen ist.
Es geht wieder los. Erste Schularbeiten, erste Noten, erste Frühwarnungen. Abgeprüft wird, was in den letzten zehn Wochen im Schulhalbjahr irgendwie Platz gefunden hat. Viel Zeit war und ist ja nicht: Noch fünf Wochen und zwei Schultage bis zu den Weihnachtsferien.
Danach: 18 Unterrichtstage bis zur nächsten Unterbrechung, den Semesterferien. In diese Zeit bis zum ersten Zeugnis wird alles gepackt, was Prüfungscharakter hat. Wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt. Allzu oft geht es nur ums Durchkommen, nicht ums Verstehen. Ums Funktionieren, nicht ums Begreifen. Was zählt, ist der Output. Reinstopfen, ausspucken, weiter.
Nahezu revolutionäre Ansagen
Aber jetzt soll der Plan Z von Bildungsminister Christoph Wiederkehr die Weichen im Schulsystem neu stellen. In seiner Grundsatzrede hat er zumindest versucht, einen Bruch mit dem Status quo zu markieren. Die Diagnose: ungewöhnlich klar. Zu viel Auswendiglernen, zu wenig digitale Kompetenzen. Zu viele starre Strukturen, zu viel Bürokratie.
Er verspricht einen Neustart: mehr relevante Inhalte, kritisches Denken, Medienkompetenz. Mehr Autonomie für Schulen, entrümpelte Lehrpläne. Ansagen, die fast schon revolutionär klingen. Er benennt Systemfehler klarer als sein Vorgänger. Er will gestalten. Er will tatsächlich etwas verändern.
Wohlstand bremst Wandel
Doch der große Wurf wird wohl auch diesmal ausbleiben. Wie so oft. Nicht nur in der Bildungspolitik. Für einen echten Umbruch müsste Österreich seine Strukturen grundlegend umbauen: Zuständigkeiten neu denken, föderale Blockaden aufbrechen, politische Verantwortung entflechten.
An diesem Punkt sind wir noch nicht. Dafür geht es uns – ganz nüchtern betrachtet – noch zu gut. Auch, weil das (Bildungs-)System für jene, die sich arrangieren können, ja passt. Weil ihre Kinder auf den „richtigen“ Schulen landen. Weil man Brennpunktschulen und Brennpunktbezirke oft nur vom Hörensagen kennt. Weil es egal ist, was Nachhilfe kostet.
Dieses Privileg macht echte Reformen schwer: Der eigene Bildungsstatus wird allzu gern mit einem funktionierenden System verwechselt. Schule ist wahlweise ein Elitenprojekt oder bereits dem Untergang geweiht. Viel Raum dazwischen scheint es nicht zu geben.
Als Fundament eines Landes, das von Wissen leben muss, sehen wir Bildung selten. Dazu passt, dass der demografische Blick kaum vorkommt: Die Jungen werden weniger. Aber wenn (zu) viele schlechter ausgebildet sind, wird es in Zukunft in vielerlei Hinsicht eng. Die Politik adressiert das zu wenig; und wir sagen es einander zu selten. Stattdessen beruhigen wir uns mit Erzählungen, die nur einen kleinen Ausschnitt der Realität abbilden.
Bildung mit Schlagseite
Der Blick verengt sich nämlich rasch, sobald es um jene geht, die nicht maturieren. Der Kanzler wünscht per Social Media den Maturantinnen und Maturanten ein erfolgreiches Schuljahr, der Bundespräsident schickt eine Grußbotschaft, im Stephansdom wird für einen guten Abschluss gebetet. Für die anderen – jene in der Mittelschule, in der Lehre oder in den „Restlschulen“, wie Polytechnische Schulen gerne genannt werden –, gibt es keine warmen Worte, keine öffentlichen Glückwünsche, keine Rituale. Sie existieren in der offiziellen Bildungserzählung nicht oder zu oft nur als Problemgruppe.
Viele Lehrerinnen und Lehrer leisten unter schwierigen Bedingungen großartige Arbeit. Sie tragen dieses System oft weit über ihren Auftrag hinaus. Nicht alle. Aber viele. So wie überall. Trotzdem darf gute Bildung nicht vom Idealismus Einzelner abhängen. Denn am Ende landen alle im selben System: im Arbeitsmarkt oder, im schlechteren Fall, im Sozialsystem. Spätestens hier müsste jede ernsthafte bildungspolitische Debatte ansetzen.
Warum sieht eine Gesellschaft einem Teil ihrer Kinder beim Scheitern zu, statt sie mitzunehmen?
Und dann wäre da noch ein Akteur, der erstaunlich wenig beiträgt: die Wirtschaft. Sie klagt über Fachkräftemangel, betont ihre Abhängigkeit von gut ausgebildeten Jugendlichen – und mischt sich aber bemerkenswert wenig ein. Die Wirtschaftskammer, Sprachrohr der Unternehmen, sitzt auf Milliardenrücklagen und erhöht gleichzeitig das Schulgeld an der eigenen Tourismusschule Modul. Ab 2026/27: 2.530 Euro jährlich. 2020 lag es noch bei 1.800. Ein stolzer Preis für Nachwuchs, den man angeblich dringend braucht.
Jetzt also der Plan Z – in einem Land, das schon einmal mit einem Plan A alles anders machen wollte und in dem Reformen am Ende lieber vertagt als umgesetzt werden. Ein Land, das Bildung gern wie ein dekoratives Randthema, aber selten prioritär behandelt. Zu wünschen wäre, dass diesmal mehr bleibt als ein paar gut formulierte Sätze. Dafür wiederum ist eine Gesellschaft nötig, die sich ehrlich fragt, warum sie einem Teil ihrer Kinder beim Scheitern zusieht, statt sich zu bemühen, sie mitzunehmen – und warum ausgerechnet jene, die später am lautesten über „zu wenig Leistung“ klagen, heute so wenig in Bewegung setzen.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 47/25 erschienen.







