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2nd Opinion: Neuer alter Ständestaat

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Michael Fleischhacker

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Die Affäre rund um die Wirtschaftskammer-Gehälter und die Bezüge ihres Präsidenten Harald Mahrer wird bald vergessen sein. Das eigentliche Problem, dass sich nämlich Idee und Struktur des Ständestaates bis ins dritte Jahrtausend erhalten haben, will niemand angehen, am liebsten möchte man es nicht einmal sehen.

Im Zuge der jüngsten Affäre um die großzügigen Lohnerhöhungen für das Personal der Wirtschaftskammer und die kreative Interpretation der Begriffe „Machtwort“ und „Halbierung“ wurde es für den Kammerpräsidenten ein bisschen eng, aber spätestens seit Montag ist klar: Harald Mahrer bleibt auf alle Fälle ein Mann für alle Fälle – zumindest vorerst. Aus der politischen Beratung wechselte er, der sich immer als Liberaler verstanden hat, einst in die Politik, von der Regierung ging es weiter in die Parallelregierung.

Es war ein sehr ungewöhnlicher Move, den Mahrer vor acht Jahren auf Betreiben und mit Unterstützung von Sebastian Kurz vollzog, denn eigentlich gehörte der Mann für alle Fälle eher zu denen, die dem österreichischen Kammerstaat eher skeptisch gegenüberstehen. Man nahm deshalb auch eher an, dass es dem Strategen Kurz darum ging, durch die Machtübernahme in der Kammer die Macht der Kammer zu begrenzen, obwohl man hätte wissen können, dass in Österreich Strukturreformen nie das Ziel haben, die Strukturen zu verändern, aber immer den Zweck, sie den eigenen Machtbedürfnissen dienstbar zu machen.

Irgendwann war Kurz dann weg, Mahrer war noch immer da, und die Wirtschaftskammer auch. Mit der Dreierregierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS, der Fortsetzung der großen Koalition mit neuer Rhetorik, gewann die sozialpartnerschaftliche Parallelregierung wieder an Bedeutung. Man sieht das sehr deutlich an vielen Projekten, die in den alten Strukturen versanden.

Funktionierendes österreichisches Machtkartell

Wir wären nicht in Österreich, hätte sich die Kammerdebatte nicht an den Gehaltserhöhungen für die Mitarbeiter und an den Bezügen des Mehrfachfunktionärs Mahrer entzündet. Zurecht einerseits, denn natürlich war die ursprüngliche Erhöhung um 4,2 Prozent ein Affront für alle Beschäftigten außerhalb der geschützten Werkstätten, und der Schmäh mit der Halbierung durch Verschiebung eher billig. Dadurch, dass Mahrer seine Position als Präsident des Nationalbank-Generalrats aufgibt, ist wieder alles gut.

Er verdient jetzt weniger, und dass er den Schritt nicht mit dem Salär begründet, sondern damit, dass er „keine halben Sachen“ machen, sondern sich ganz auf seine Tätigkeit in der Kammer fokussieren wolle, wird nicht weiter hinterfragt. Man hätte ja wissen wollen können, warum bisher halbe Sachen kein Problem waren. Aber nein. Günstig für Mahrer war wohl auch, dass sich die potenziellen Alternativkandidaten gerade selbst eine 50-prozentige Gehaltserhöhung genehmigt hatten.

Die politische Welt in Österreich ist klein, und Rettung lauert überall. Im Standard lobte Hans Rauscher den Wirtschaftskammerpräsidenten, weil er sich, anders als die Industriellenvereinigung, gegen eine FPÖ-ÖVP-Regierung ausgesprochen hatte. Das österreichische Machtkartell funktioniert also noch immer. Zwar mäkelt man gelegentlich an der Tatsache herum, dass es den Kammern gelungen ist, sich in die Verfassung hieven zu lassen, aber eigentlich wollen alle, dass es so bleibt, wie es ist.

Das Prinzip der Sozialpartner-Parallelregierung

Es gibt für diesen Vorgang eine sehr präzise historische Vorlage: In den 90er-Jahren wurde auch von intellektueller Seite die Kritik am ständestaatlichen Prinzip der Sozialpartner-Parallelregierung laut (Robert Menasse beispielsweise veröffentlichte einen Essay über die „sozialpartnerschaftliche Ästhetik“), nachdem die ­Privilegien-Affäre um den steirischen Arbeiterkammer-Präsidenten Alois Rechberger für nationale Empörung gesorgt hatte.

Es schien so, als ob eine ernsthafte Debatte darüber stattfinden könnte, dass das Zusammenspiel zwischen der großkoalitionären Regierung und der sozialpartnerschaftlichen Parallelregierung nicht ganz auf der Höhe des zeitgenössischen Verständnisses einer liberalen Demokratie waren. Aber der Umstand, dass sich FPÖ-Chef Jörg Haider im Zuge seiner Forderungen nach einer „Dritten Republik“ die Überwindung dieser Strukturen auf die Fahnen geheftet hatte, führte zu deren Einzementierung. Weil Haider es stürzen wollte, wurde das System der sozialpartnerschaftlichen Hinterzimmerregierung vom Problem zum geschichtsnotwendigen Bollwerk gegen die Versuche der Rechtspopulisten, die parlamentarische Demokratie durch ein bonapartistisches Präsidialsystem zu ersetzen. Der woke Volksmund würde sagen: Lieber Austrofaschismus als Nationalsozialismus.

Der gelernte Österreicher weiß: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und teuer ist eh alles

Klingt doch ziemlich vertraut, oder? Es gab zwischenzeitlich immer wieder Versuche, die Macht der Sozialpartner zu beschränken, immerhin ist es gelungen, die Automatik abzuschaffen, nach der die Spitzenfunktionäre der Kammern automatisch mit Nationalratsmandaten versorgt wurden. Als aber im Nachklang zur ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel die Kluft zwischen ÖVP und SPÖ immer tiefer wurde und sich regelmäßig in hasserfüllten Attacken aufeinander äußerte, glänzten die Sozialpartner wieder in der alten Rolle: Österreich war wieder das Land, in dem man den Kompromiss schon ausverhandelt hatte, bevor noch klar war, worin der Gegensatz bestand. Das sorgte für Ruhe, war aber teuer, sehr teuer.

Der gelernte Österreicher weiß: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, und teuer ist eh alles. Wir werden von Herrn Mahrer also noch hören.

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 46/2025 erschienen.

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