Österreich steht im Vergleich zu Deutschland oft gut da – zumindest gemessen an selbstgewählten Kennzahlen. Der Vergleich mit den Besten hingegen bleibt meist aus. Eine Bestandsaufnahme zwischen Selbstzufriedenheit und verpasstem Anspruch.
Wird alles gut? Ist vielleicht schon wieder alles gut? Oder: War es je wirklich schlimm? Die Arbeitslosigkeit steigt – ja. Doch mit Blick auf die wirtschaftliche Großwetterlage heißt es schnell: alles halb so wild. Ende Oktober waren rund 388.000 Menschen arbeitslos oder in Schulung gemeldet, ein Plus von 4,4 Prozent. Die Arbeitslosenquote stieg auf 7,2 Prozent. Kein Grund zur Panik, so die optimistische Interpretation – immerhin könnte es auch schlimmer sein. Und Optimismus brauchen wir in herausfordernden Zeiten wie diesen bekanntlich wie einen Bissen Brot.
Aber stimmt das auch? Geht es uns wirklich gut – oder nur dann, wenn wir nicht nach links und rechts schauen? IHS-Chef Holger Bonin etwa nennt den österreichischen Arbeitsmarkt eine der „größten Baustellen“ des Landes. Die Arbeitslosigkeit sei „relativ hoch – höher als in Deutschland“. Ein statistischer Vergleich. Vielleicht. Es kann aber auch als eine Erinnerung gedeutet werden, dass der Blick über die Grenze unbequem sein kann – aber notwendig ist, will man sich nicht im eigenen Mittelmaß bequem einrichten.
Doch statt einer ernsthaften Auseinandersetzung mit strukturellen Problemen betreibt man hierzulande eine Spur zu oft lieber einen Schaulauf. Besonders gerne im Vergleich mit dem großen Nachbarn. Der Finanzminister etwa hat gerade vor dem „Verband der Auslandspresse“ laut Standard darauf verwiesen, dass Österreichs Industrieproduktion seit dem Jahr 2000 um 70 Prozent gestiegen sei – in Deutschland hingegen nur um zehn Prozent. Die Investitionsquote? Liegt hierzulande bei 25 Prozent, in Deutschland bei 22. Das deutsche Pensionssystem? Ein „großer Fehler“. Alles gut also – zumindest, wenn man nur das sehen will, was ins eigene Bild passt.
Lernen von den Besten
Dabei gäbe es Möglichkeiten, anders hinzuschauen. Im Mercer Pension Index 2025 landet Österreich bei der Nachhaltigkeit der Altersversorgung auf Rang 42 von 52 bewerteten Ländern. Deutschland: Rang 22. Ganz vorn: die Niederlande. Geregeltes Renteneintrittsalter: 66,3 Jahre. Tatsächliches: 63,9 bei Männern, 62,8 bei Frauen. Nettoersatzquote: 89,2 Prozent. Wer ernsthaft wissen will, wie es besser geht, könnte dorthin schauen. Vorausgesetzt, man will den Wettbewerb mit den Besten annehmen.
Auch beim Wirtschaftswachstum stellt sich gerade diese Frage. Für heuer ist ein reales BIP-Wachstum von 0,3 Prozent prognostiziert. Ein zartes Plus. Ein Grund zur Beruhigung? Oder nur die neue Bescheidenheit, jetzt, wo die Rezession vorbei und die Stagnation vorüber ist? Alles gut – und sicherheitshalber: Deutschland geht es nicht viel besser. Doch was bringt der Vergleich mit einem Land, das im wirtschaftlichen Niedergang ist? Ein gutes Gefühl? Reicht das?
Selbstlob statt Strategie
Der Blick auf die Wehrpflicht zeigt ein ähnliches Muster. In diesen Tagen hört man aus dem Verteidigungsministerium, andere europäische Länder – auch Deutschland – würden die Österreicher um ihre Wehrpflicht beneiden. Tatsächlich hatte man sich 2013 per Volksbefragung für deren Beibehaltung entschieden. Doch es ging damals kaum um Sicherheitspolitik, sondern vor allem um ganz praktische Ängste: Was passiert mit dem Rettungswesen? Wer hilft bei Hochwasser?
Dass man sich nun im Rückblick für diese Entscheidung lobt, als hätte man 2013 den strategischen Weitblick besessen, mutet eigenartig an. Statt sich der sicherheitspolitischen Realität zu stellen, inszeniert man sich lieber als Vorbild – und spielt mit falschen Karten. Für ein neutrales Land stellen sich nun mal andere Fragen. Denn welche Alternativen gibt es, außer auf sich selbst zu schauen? Trittbrettfahrer spielen beispielsweise. Aber das ist eine andere Diskussion.
Wer sich nur dann misst, wenn er dabei gewinnt, wird nie zu den Besten gehören
Beispiel Bildung. Große Jubelmeldungen gab es dieser Tage, als die Universität Wien laut aktuellem Times Higher Education Ranking erstmals unter den Top 100 weltweit landete – auf Rang 95. Eine beachtliche Verbesserung. 2018 lag sie auf Platz 165. Kanzler und Wissenschaftsministerin sprechen von einem „starken Signal“ und einer „Topplatzierung“. Doch zur ganzen Wahrheit gehört auch: Die ETH Zürich liegt auf Platz 10. Die Münchner Unis – nur wenige Stunden entfernt – auf Rang 27 (TUM) und 34 (LMU). Das könnte man im gleichen Atemzug erwähnen und einordnen. Tut es aber (besser) nicht.
Nach dem Sieg der österreichischen Football-Nationalmannschaft in der Vorwoche über Deutschland sagt der Präsident: „Das Ziel, Deutschland zu schlagen, war noch größer als das Ziel, Europameister zu werden.“ Und spricht vom „Cordoba-Moment“. Man freut sich. Aber über was genau? Über einen Sieg gegen ein Land, das offenbar immer noch als emotionaler Bezugsrahmen herhalten muss. Das Ziel Europameister? Vernachlässigbar. Praktischerweise war man aber auch hier erfolgreich.
Das Problem ist nicht der Stolz auf eigene Erfolge. Das Problem ist der Maßstab. Erst recht, wenn dabei allzu schnell ein Gefühl der Selbstzufriedenheit entsteht. So verfestigt sich Mittelmaß. Denn wo der Wille fehlt, nach oben zu streben, reicht es eben oft schon, nicht ganz unten zu sein. Und wer sich nur dann misst, wenn er dabei gewinnt, wird nie zu den Besten gehören. Alles gut? Nein. Nicht gut genug.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 45/25 erschienen.






