Sie lehnt sowohl einen Gewaltverzicht als auch die Existenzberechtigung Israels sowie die bisherigen Vereinbarungen der Palästinenser mit Israel ab: Die Hamas prägt den Nahost-Konflikt durch Gewalt, Anschläge und Machtkämpfe im Gazastreifen. Ein Überblick über die zentralen Köpfe der Terroroganisation.
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Die militante, islamistische Palästinenser-Organisation Hamas (Bewegung des islamischen Widerstandes) entstand als Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft kurz nach Beginn des ersten Palästinenser-Aufstands (Intifada) 1987 unter Führung des später von Israel getöteten Scheichs Ahmed Yassin.
Der „Heilige Krieg“ als einzige Lösung
In ihrer Charta von 1988 bezeichnet die Hamas den „Heiligen Krieg“ als einzige Lösung zur Schaffung eines palästinensischen Staates vom Jordan bis zum Mittelmeer. Sie lehnt sowohl einen Gewaltverzicht als auch eine Existenzberechtigung für den Staat Israel als auch bisherige Vereinbarungen der Palästinenser mit Israel, darunter den Osloer Friedensvertrag von 1993, ab.
Die Hamas avancierte mit der Zeit zur zweitgrößten Palästinenser-Organisation nach der moderateren Fatah. Die Hamas blieb außerhalb der von der Fatah - damals unter Yasser Arafat, derzeit unter dem heutigen Palästinenser-Präsidenten Mahmoud Abbas - dominierten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).
Wohlfahrt und Terrorismus
Die Hamas-Organisation hat viele Gesichter. Sie begann vornehmlich als Wohlfahrtsorganisation, schuf ein soziales Netz mit Kindergärten, Schulen, Suppenküchen und Arbeitsvermittlungen. Das brachte der Bewegung hohes Ansehen in der verarmten palästinensischen Bevölkerung.
Daneben ist sie eine politische sowie eine militärische und terroristische Organisation. Oberstes Polit-Organ ist ein Shura-Rat. Dieser bestimmt die Mitglieder des Politbüros, das als Exekutive die Shura-Beschlüsse umsetzt. Der militärische Arm der Hamas, die Ezzedine-al-Qassam-Brigaden, hat immer wieder tödliche Terroranschläge auf Israelis verübt. Nicht nur Israel, sondern etwa auch die USA und die EU stufen die Hamas als Terrororganisation ein.
Bruderkrieg
Bei der Parlamentswahl 2006 errang die Hamas im Gazastreifen einen überwältigenden Sieg über die Fatah. Der Westen erkannte das Ergebnis nicht an und zwang die Hamas in eine Regierung der Nationalen Einheit mit der Fatah. Das funktionierte aber nicht: Es kam zum Bruderkrieg zwischen Fatah und Hamas und zur Auflösung der Einheitsregierung. Die Hamas riss 2007 die Macht im Gazastreifen an sich und vertrieb die Fatah. Seither gibt die Fatah nur noch in den nicht von Israel verwalteten Teilen des zweiten Palästinenser-Gebiets, dem Westjordanland, den Ton an.
Die Hamas wiederum schoss seither zig Tausende Raketen und Mörsergranaten auf Israel ab. Israel reagierte mit Luftangriffen und Bodenoffensiven. So wurden etwa bei der dreiwöchigen israelischen Operation „Gegossenes Blei“ zwischen Dezember 2008 und Jänner 2009 mehr als 1.400 Palästinenser im Gazastreifen getötet und über 5.000 weitere verletzt. Im Sommer 2014 folgte die Operation Protective Edge.
Die Hamas unterhielt enge Kontakte zum im Dezember gestürzte Assad-Regime in Syrien und nach wie vor zu Israels Erzfeind Iran und der vom Iran unterstützten schiitischen Hisbollah-Organisation im Libanon. Unterstützer und Geldgeber hat bzw. hatte sie aber auch in den konservativen arabischen Golf-Monarchien, darunter Katar. In den letzten Jahren kam es allerdings im Rahmen der sogenannten Abraham Abkommen Israels mit muslimischen Staaten auch zu einer Annäherung mit Saudi-Arabien und im Fall der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrains sogar zu einem Friedensvertrag. Ägypten und Jordanien schlossen bereits 1979 bzw. 1994 Frieden mit Israel.
Am 7. Oktober 2023 erfolgte schließlich der Großangriff der Hamas auf Israel, geprägt von Massakern und Verschleppungen. Rund 1.200 Menschen wurden von der Hamas getötet und mehr als 250 Geiseln in den Gazastreifen entführt. Dies zog den laufenden Gaza-Krieg nach sich. In diesem wurden bisher bei der israelischen Militäraktion nach palästinensischen Angaben 63.000 Menschen getötet, die meisten Gebäude im Gazastreifen beschädigt oder zerstört und fast alle Einwohner zur Flucht gezwungen. Eine von den Vereinten Nationen herangezogene Beobachtungsstelle für Hunger gibt an, dass Teile des Gebiets unter einer von Menschen verursachten Hungersnot leiden, was Israel jedoch bestreitet.
Wichtige Führungsfiguren der Hamas sind bzw. waren:
Der vermeintlich Gemäßigte: Ismail Haniyeh


Der Ende Juli 2024 in der iranischen Hauptstadt Teheran bei einem israelischen Angriff im Alter von 62 Jahren getötete Ismail Haniyeh leitete seit 2017 das Politbüro der Hamas und galt als übergeordnete Führungsfigur. Er war Ministerpräsident der Einheitsregierung mit der Fatah. Nach dem innerpalästinensischen Zerwürfnis setzte er die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen fort.
Schon seit Ende der 80er Jahre war Haniyeh eine wichtige Persönlichkeit in der Hamas, etwa als Büroleiter von Scheich Yassin. Er verbrachte Jahre in israelischer Haft und auch im Exil. Zuletzt lebte Haniyeh in Katar, das im neuen Nahost-Krieg seit den Hamas-Massakern in Israel vom 7. Oktober 2023 als Vermittler bei Verhandlungen mit Israel über Geiselfreilassungen, Feuerpausen und Gefangenenfreilassungen auftritt.
Die Nr. 2: Saleh Al-Arouri


Saleh Al-Arouri war seit 2017 die Nummer zwei hinter Haniyeh. Der Vizechef des Hamas-Politbüros wurde am 2. Jänner 2024 in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut bei einem Israel zugeschriebenen Drohnenangriff getötet. Israel machte Arouri für die Planung zahlreicher Attentate verantwortlich. Er war insgesamt fast 20 Jahre in Israel in Haft. 2010 wurde er unter der Bedingung freigelassen, ins Exil zu gehen. Danach lebte er im Libanon.
Der gefährlichste Mann: Mohammed Deif


Mohammed Deif (geboren 1965) galt für Israel als gefährlichster Mann der Hamas. Deif gründete nach seiner Inhaftierung in Israel 1989 die Qassam-Brigaden. Diese sollten zunächst vor allem israelische Soldaten entführen, sie wurden aber zum voll militärischen Arm der Hamas ausgebaut.
Deif soll Bombenanschläge auf Busse in Israel geplant haben genauso wie die Gefangennahme und Tötung von israelischen Soldaten. Er soll auch federführend beim Bau des Tunnelsystems unter dem Gazastreifen mitgewirkt haben. Die Tunnel ermöglichten Waffenschmuggel in den Gazastreifen und die Terrorangriffe auf Israel vom 7. Oktober. Im Jahr 2000 ein weiteres Mal inhaftiert, gelang Deif am Beginn der Zweiten Intifada die Flucht aus einem israelischen Gefängnis.
Mehrmals entging Deif Anschlägen auf sein Leben. 2002 verlor er ein Auge, laut Israel auch eine Hand und einen Fuß. Demnach soll er auch Probleme beim Sprechen gehabt haben. 2014 entging Deif, der fast nur im Untergrund agierte, wieder seiner gezielten Tötung durch Israel im Gazastreifen; getötet wurden seine Frau und zwei seiner Kinder. Den Palästinensern galt er als „Mastermind“, Israel als „Katze mit neun Leben“.
Am 13. Juli 2024 führte Israel im Zuge des Gaza-Krieges einen Luftangriff in Khan Younis im Süden des Gazastreifens aus. Er galt israelischen Angaben zufolge Deif. Nach Angaben der Hamas wurde ein Flüchtlingslager getroffen. Ob Deif unter den Toten war, blieb zunächst unklar, getötet worden sei jedenfalls sein „enger Komplize“ Rafa Salama, hieß es vonseiten Israels. Gute zwei Wochen später gab Israel bekannt, auch die Tötung Deifs am 13. Juli sei bestätigt.
Deifs rechte Hand: Marwan Issa


Hamas-Kämpfer tragen den Sarg von Marwan Issa
© IMAGO / Anadolu AgencyMarwan Issa (geboren 1965) war Vizechef der Qassam-Brigaden und rechte Hand von Mohammed Deif bei der Planung von Anschlägen und Angriffen, zuletzt jenen vom 7. Oktober 2023. Auch er war mehrmals inhaftiert und wurde befreit. Israel versuchte, auch ihn zunächst vergeblich zu töten - u. a. durch Bombardierungen seines Hauses. Dabei wurde auch er verwundet, sein Bruder wurde getötet. Schließlich war Israel aber heuer im März erfolgreich: Nach Angaben der israelischen Armee und der USA wurde Issa bei einem Militäreinsatz im Gazastreifen getötet.
Der Drahtzieher des 7. Oktober: Yahya Sinwar


Yahya Sinwar (61) führte die Hamas an Ort und Stelle im Gazastreifen an. Auch er war Mitglied im Politbüro. Er gründete den Hamas-Geheimdienst Majd, der vor allem gegen israelische Spionage vorgeht. Auch er wurde mehrmals von Israel gefangen genommen und sogar zu lebenslang verurteilt. Bei einem Deal zur Freilassung von mehr als 1.000 palästinensischen Häftlingen im Gegenzug für die Freilassung eines israelischen Soldaten verließ er das Gefängnis aber. Yahya Sinwar kann als DER Drahtzieher der Gräueltaten vom 7. Oktober 2023 gelten. Mitte Oktober 2024 spürte ihn die israelische Armee auf und tötete ihn.
Übergeordneter Anführer und Hamas-Mitgründer: Khaled Mashaal


Khaled Mashaal (67) stammt aus dem Westjordanland und gehört zu den Mitbegründern der Hamas. 1997, als Mashaal in Jordanien lebte, wurde ihm bei einer Kommandoaktion des israelischen Geheimdienstes Mossad Gift injiziert. Die Sache flog dann aber auf. Auf Druck Jordaniens und maßgeblich auch der USA musste Benjamin Netanyahu, auch damals wie heute Israels Premier, schließlich das Gegengift bereitstellen.
Mashaal war Haniyehs Vorgänger als Chef des Politbüros, danach leitete er jahrelang die politischen Aktivitäten der Hamas im Ausland. Als Mashaal 2012 zum ersten Mal in den Gazastreifen reiste, wurde er von den Massen freudig begrüßt. Wie Haniyeh einst, lebt Mashaal offenbar nach wie vor in Katar. Seitdem Israel Yahya Sinwar ausgeschaltet hat, soll Mashaal der übergeordnete Hamas-Anführer sein.
Militärchef im Gazastreifen: Mohammed Sinwar
Mohammed Sinwar war ein Bruder von Yahya Sinwar. Die Hamas bestätigte am Wochenende seinen Tod, den Israel bereits im Mai gemeldet hatte. Demnach kam er damals bei einem israelischen Angriff um. Er wurde offenbar 49 Jahre alt. Mohammed Sinwar war Militärchef der Hamas im Gazastreifen bzw. Anführer des bewaffneten Hamas-Arms, der Qassam-Brigaden. Sein Nachfolger an der Spitze des bewaffneten Arms der Gruppe soll nun sein enger Vertrauter Iss al-Din Haddad werden.
Sprecher der Qassam-Brigaden: Abu Obaida
Der Sprecher der Qassam-Brigaden, Abu Obaida, ist nach offiziellen israelischen Angaben letzten Freitag im Gazastreifen getötet worden. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte, Abu Obaida sei bei einem gemeinsamen Einsatz des Militärs und des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet gezielt angegriffen worden.
Verbindungsmann nach Ägypten: Mahmoud Zahar


Mahmoud Zahar (geboren 1945) war Mitbegründer der Hamas und ist seither Teil von deren Führung. Auch er hat israelische Haft hinter sich. Auch er entging israelischen Tötungsversuchen mit Verletzungen, zwei Söhne kamen dabei um. Zahar hat gute Verbindungen nach Ägypten, seine Mutter war Ägypterin, er studierte in Kairo. Zeitweise war er im Gazastreifen als Arzt tätig. Zahar war auch im Außenministerium der Einheitsregierung unter Haniyeh tätig. Er dürfte noch am Leben sein.
Die „Seele“ der Hamas: Scheich Ahmed Yassin


Scheich Ahmed Yassin galt als „Seele“ der Hamas. Er wurde 1936 bei Ashkelon geboren. Sein Heimatdorf wurde 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg von jüdischen Kampfeinheiten dem Erdboden gleichgemacht. Mit seiner Familie flüchtete Yassin in den Gazastreifen. Im Alter von 67 Jahren, auf den Rollstuhl angewiesen und fast blind, wurde der Vater von elf Kindern bereits im Jahr 2004 bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza getötet. Er hatte immer wieder zu Gegengewalt und Rache aufgerufen, wenn Israel palästinensische Extremisten oder Terroristen getötet hatte.
Yassin kam beim Studium in Ägypten mit den Muslimbrüdern in Kontakt. Vor der Hamas gründete er schon andere ähnliche Islamisten-Organisationen. Eine davon und die Hamas wurden anfangs sogar von Israel gefördert, weil sie sich gegen die Fatah von Yasser Arafat bzw. die PLO richteten. Als Israel die Hamas 1989 verbot, wurde Yassin aber inhaftiert und zu lebenslang verurteilt. Nach dem gescheiterten Mossad-Anschlagsversuch auf Mashaal 1997 musste Israel ihn aber auf Druck Jordaniens freilassen. Im Triumph kehrte er damals in den Gazastreifen zurück.