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Leitartikel: Was die Debatte um Friedrich Merz und das „Stadtbild“ wirklich zeigt

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Kathrin Gulnerits

©Bild: Matt Observe

Das Bild unserer Städte erzählt viel – etwa darüber, wer dazugehört und wer nicht. Friedrich Merz' Stadtbild-Sager hat eine neue Debatte ausgelöst. Sie dreht sich auch um die Frage, was wir sehen. Und was wir lieber nicht sehen wollen.

Der Versuch, das Unbehagen in Worte zu fassen, ist im ersten Anlauf schiefgegangen. Das lag – mal wieder – am Kanzler selbst. Und an einer seiner kantigen und zugleich vagen Ansagen. 2023 nannte Friedrich Merz in einer Talkshow die Söhne von Migranten „kleine Paschas“ – und verteidigte den Begriff auch nach massiver Kritik: „Bei den Paschas bleibt’s!“ Ebenso wenig vergessen ist sein Satz zur Rolle Israels im Nahen Osten: „Drecksarbeit.“ Ausrutscher? Kalkulierte Provokation trifft es eher. Jetzt also der „Stadtbild“-Sager.

Merz wollte eigentlich nur sagen, dass man in der Migrationspolitik Versäumtes nachholt – und erste Fortschritte mache. Dann fiel der Satz: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem …“ Seine Lösung: geplante Abschiebungen. Doch das ging in der Debatte unter. Statt nüchterner Auseinandersetzung folgte, was immer folgt: Empörung. Absichtliches Missverstehen. Zuschreibungen. Unterstellungen. Der Vorwurf, Ressentiments zu bedienen und rassistisch zu agieren. Proteste auf der Straße. Dabei zeigt eine Umfrage: 63 Prozent der Befragten, vor allem Ältere, sagen, Merz habe recht.

Nicht mitgemeint

Es ist – ebenso mal wieder – auch eine Debatte über die Macht der Sprache. Über Verantwortung. Über die Grenzen des Sagbaren bei den einen und das Nicht-Eingestehen des Offensichtlichen bei den anderen. Merz, der sich in seiner Antrittsrede ausdrücklich dazu bekannte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, wollte das Problem der illegalen Migration ansprechen. Doch mitgemeint fühlen sich auch Menschen, die längst Teil der deutschen Gesellschaft sind – in zweiter, dritter Generation. Die aber – gefühlt oder tatsächlich – immer noch nicht zum „Wir“ gezählt werden. Wegen ihrer Herkunft. Ihrer Sprache. Ihrer Staatsbürgerschaft. Ihres Andersseins. Keine Wertung. Eine Feststellung.

Übrigens in Österreich genauso wie in Deutschland. Auch hier leben 1,8 Millionen Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft – das sind 20,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie sind da. Sie zahlen Steuern. Aber sie wählen nicht. Und sie werden selten mitgedacht. In den Ansprachen heißt es: „Österreicherinnen und Österreicher“. „Alle Menschen, die hier leben“ – das sagt nur der Bundespräsident. Sonst kaum jemand. Dabei wäre das bitter nötig. Denn eine Gesellschaft, die unterscheidet zwischen „mit und ohne Migrationshintergrund“, ist längst auf dem Weg in eine bedenkliche Schieflage. Nicht nur integrationspolitisch – auch demokratisch.

Die Debatte dahinter

Die Stadtbild-Debatte mag klein wirken im großen Politiktheater. Eine Randnotiz. Aber sie steht exemplarisch für das große Thema dahinter: Wer gehört dazu – und wer nicht? Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Worte entgleisen, Zuschreibungen schnell gefällt werden und echte Sorgen untergehen, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Denn ja – Merz hat einen Punkt: Das Stadtbild hat sich verändert. Durch Migration. Und durch zunehmend prekäre Lebensumstände. Weil es an Sicherheit fehlt. An Sauberkeit. An Respekt für das, was wir gemeinsam nutzen: Straßen, Plätze, Parks. Ob tatsächlich oder nur gefühlt, spielt dabei keine Rolle. Das Unbehagen ist real. Und längst politisch wirksam.

Merz präzisierte später: Die reguläre Migration in den Arbeitsmarkt sei gewollt. Problematisch seien jene, „die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, die nicht arbeiten, sich nicht an die Regeln halten“. Wer mit offenen Augen durch deutsche Bahnhöfe, Parks, Einkaufsstraßen geht, versteht, was er meint. Dazu Weihnachtsmärkte, die mit Pollern geschützt werden. Regierungsgebäude mit Gittern. Waffenverbotszonen. Es ist ein anderes Stadtbild. Zur Wahrheit gehört auch: Die gesellschaftliche Akzeptanz für Diversität ist gesunken. Vor allem mit Blick auf ethnische und religiöse Vielfalt. Denn Zugewanderte sind natürlich nicht nur weltoffene Kosmopoliten. Sondern auch Menschen, die patriarchal geprägt sind. Die ihre Religion sichtbar leben. Die mit Normen unserer Gesellschaft fremdeln – oder sie ablehnen. Man kann das benennen, ohne zu hetzen. Aber man muss es benennen.

Die eigentliche Einladung hinter dem Stadtbild-Sager: Nicht gleich empören. Erst mal hinschauen. Und sich fragen, was man im Jahr 2025 wirklich sieht

Gleichzeitig ist es bequem, sich in der eigenen Bubble einzurichten – und Kritik wie jene an einem sich verändernden Stadtbild als „unerhört“ abzutun. Der Blick über die Bubble hinaus würde zeigen: Vieles stimmt. Vieles überfordert. Und vieles verdrängt man lieber. In Wien beispielsweise führt die Mariahilfer Straße vom äußeren Teil im 15. Bezirk – dem ärmsten, dem sogenannten „Ausländerbezirk“ – durch den hippen 6. Bezirk bis in die noble Innenstadt. Ausländerbezirk hier. Beliebte Wohngegend dort. Knapp drei Kilometer. Ein 40-minütiger Spaziergang. Mittendrin ein Bahnhof – und ganz viel Bahnhofsmilieu. Schmutz. Manchmal Randale. Alkohol. Das Stadtbild einer Großstadt eben. Das gibt es auch in einer der lebenswertesten Städte der Welt.

Eine Straße – viele Realitäten. Viele Befindlichkeiten. Vielleicht ist das die eigentliche Einladung hinter dem Stadtbild-Sager: Nicht gleich empören. Erst mal hinschauen. Und sich fragen, was man im Jahr 2025 wirklich sieht.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/25 erschienen.

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